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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Jürgen Rüttgers steht rum



buka
08.02.2006, 17:43
Auftritt I

Anfang Dezember ließ ich mich von einem Kommilitonen zu einem kleinen Job überreden, der zu meiner drittliebsten Jobkategorie – geringer Lohn, hoher Erzählwert – gehört.
Mit einem Dutzend anderer Studenten waren wir für einen Abend Chauffeure der „Wetten dass“ - Produktion in Düsseldorf. Da wir erst nach der Sendung Gäste und ausgewählte Zuschauer zur After-Show-Party ins Hotel Hilton fahren sollten, standen wir die meiste Zeit des Abends im Backstagebereich, was erwartungsgemäß recht kurzweilig war.
Günther Netzer, Ann-Sophie Mutter, Ben Kingsley, Gottschalk (der Bruder) und 50 Cent rauschten mit mehr oder weniger großen Entourage an uns vorbei. Die Strahlkraft von Prominenten scheint allerdings relativ zu sein und bemisst sich am größten anwesenden Star. Dieser war an jenem Abend zweifelsohne Robbie Williams, der sogar körperlich größer ist, als ich vermutet hätte.

Als sich draußen ein Konvoi mit Blaulichtbegleitung näherte, wusste ich als ehemaliger Bonner, dass es sich nur um einen politischen Mandatsträger handeln konnte. Natürlich war es Ministerpräsident Rüttgers. Das Blaulicht und seine Personenschützer verschafften ihm eine Aufmerksamkeit, die seine Persönlichkeit trotz des energischen Ganges und der entschlossenen Mimik allein nicht hätte erzeugen können. (Was ist eigentlich das Gegenteil von Charismatisch?) Im Geiste malte ich mir aus, wie sein Auftreten spektakulärer sein könnte, wenn er seine Leibwächter gegen die von 50 Cent (schwarz, groß, geschätzte 300 Pfund) eintauschen würde.
Als Rüttgers nach der Sendung zügigen Schrittes die Halle verließ, verblüffte er uns im Vorbeigehen mit der in alle Richtungen halblaut gemurmelten und routiniert wirkenden Verabschiedung: „Auf Wiedersehen, Tschüss, Servus und Goodbye“. Probierte er nun, lustig zu sein? Ratlos ließ er uns zurück….


Auftritt II

Im Süden Kölns gibt es eine kleine Stadt namens Hürth
Über Hürth könnte man berichten, dass dort neben Soaps und Rateshows die ersten Big Brother Staffeln produziert wurden, und vielleicht noch dass es ein Studentenwohnheim gibt, in welches man gesteckt wird, wenn man zu kurz auf der Warteliste des Studentenwerkes war um ein Wohnheimzimmer in Köln zu ergattern – mit anderen Worten: in Hürth ist man, wenn anderswo kein Platz für einen ist.
Aber es gibt es in Hürth ein Schwimmbad namens „De Bütt“. Es wird als „Familienbad“ beworben und hat so zeitlose Eintrittspreise, dass es sich für klamme Kölner rechnet, dorthin zu fahren.

Ebendort badete ich an einem Nachmittag zwischen den Jahren.
Bei einem Verschnaufstopp am Beckenrand (aus Stolz tue ich dann immer so, als ob etwas mit der Schwimmbrille nicht stimmt) hörte ich plötzlich, wie eine Frau zu ihrer ca. 9jährigen Tochter sagt: „….und jedes Bundesland hat einen Ministerpräsidenten. Der von unserem Land steht da drüben!“
Erwartend, dass sie sich täuscht, blickte ich in die gewiesene Richtung – doch tatsächlich! Unverkennbar trotz Badehose, dünnen Beinen und kleiner Plauze stand dort Jürgen Rüttgers. Mein erster Gedanke war: Muss der nicht arbeiten?
Der Ministerpräsident stand einsam und tatenlos zwischen Schwimmer- und Kinderbecken. Seine Frau schwamm in dem einen während seine Kinder im anderen tollten. Personenschützer waren leider nicht zu sehen. Rüttgers wusste anscheinend nichts mit sich anzufangen. Kein Mikro in das er bedeutend hätte Sprechen, keine Hand, die er telegen hätte schütteln können. Fast tat er mir leid und während ich mich wieder abstieß, überlegte ich sehr kurz, ob ich ihm von meinem Freund Gerd erzählen sollte, der in jenem Moment gerade als „Villensitter“ im feinen Köln-Marienburg seine Studiengebühren verdienen musste und gleichzeitig durfte.

Nachdem ich mein Pensum geschwommen, einmal gerutscht und übertrieben im Whirlpool gesessen hatte, ging ich zur Lichtliegefläche.
Dort waren noch zwei Plätze in der Mitte frei. Die Lichtschalter für die Liegeplätze befinden sich an einer Betonsäule seitlich der Liegefläche. In dem Moment, in dem ich dort ein Licht einschaltete, legte sich Frau Rüttgers unter dieses ohne mich zu beachten. Also drückte ich für den anderen Platz und legte mich neben sie. Einige Minuten später kam Jürgen. Er hätte auch noch Platz neben seiner Gattin gehabt, blieb aber lieber deplaziert abseits stehen. Wiederum wirkte er hilflos. Welch ein Aufsehen hätte Johannes Rau hier wohl zu seiner Ministerpräsidentenzeit erzeugt. Ich überlegte, wofür der politische Rüttgers eigentlich steht – doch es wollte mir nichts einfallen (außer der kurzlebige Wahlslogan: „Kinder statt Inder“. Lautete der so?).
Als das Licht nach gemessener Zeit ausging stand ich rasch auf, um es erneut einzuschalten. Einmal am Schaltpult, schaute ich fragend zu Frau Rüttgers und zeigte auf ihre ebenfalls erloschene Lampe. Sie schien nicht zu verstehen und guckte sehr verwirrt. Rüttgers stand daneben, schaute aufmerksam, was passiert. Also ging ich ein paar Schritte auf seine Frau zu und erklärte ihr, dass ich nur wissen wollte, ob ich auch ihr Licht noch einmal einschalten solle. Sie war überrascht und sagte mit sehr rheinischem Dialekt: „Ach, ich dachte das geht automatisch.“ Ich erklärte ihr, dass ich auch schon zuvor das Licht für sie eingeschaltet hätte. Sie lachte und meinte, dass sie sich ja dann bedanken müsse. Auch Rüttgers lächelte und freute sich offenbar, dass er einen Grund zum Lächeln hat und seine Frau so nett ist.

Schlussendlich.
Ich passierte das Drehkreuz Richtung Ausgang. Hier wartet, wer zuerst fertig wird - meist Mann, weil Frau sich noch fönt. Auch Rüttgers. Da stand er nun wieder, allein zwischen Menschen. Ich war erschrocken wie unscheinbar und frei von Ausstrahlung der Landesfürst ist. Unsere Blicke trafen sich kurz. Was ging wohl in ihm vor? Zählte er die Tage, bis der Urlaub zu Ende ist?

Annelix
08.02.2006, 18:00
Schade, schon zu Ende.

slowtiger
09.02.2006, 12:31
Das Gegenteil von charismatisch ist Übersehstuhl.

Freewheelin_Biller
09.02.2006, 13:26
Charismatisch, das war doch der, der bei Werder nix geworden ist und dann nach Holland ging, wo er auch nix geworden ist, Klede fragen, der weiss das sicher besser.

joq
09.02.2006, 14:16
"In Hürth ist man, wenn anderswo kein Platz für einen ist."

Ein Satz von hoher Leuchtdichte.

Herr Genista
09.02.2006, 21:22
Leuchtdichte? Wie jetzt? Glitzerts, funkelts oder rockts?

Ruebenkraut
09.02.2006, 21:59
im WDR gabs mal eine Serie, bei der Promis für ein paar Alltage eine ihnen fremde Rolle übernehmen sollten - Rüttgers machte (vor der Wahl) mit und übernahm die Rolle einer Alleinerziehenden mit drei Teenagern in deren Haushalt.
Was Rüttgers auszeichnete war, dass er da überhaupt mitmachte, denn er konnte praktisch nur verlieren - musste z.B. erstmal Gebrauchsanweisungen lesen, bevor er ein Küchengerät benutzte, versuchte auf eine linkische Weise mit diesen Jugendlichen umzugehen und machte insgesamt das Gegenteil eines coolen Eindrucks. Was hier oben geschildert wird, entspricht total meinem Eindruck aus dieser Sendung - Rüttgers erscheint auf eine besonders unbedarfte Art "volksnah".

Benzini
10.02.2006, 03:14
Die Verklärung und Beschönigung von Politikern sollte verboten werden. Rüttgers bildet da keine Ausnahme.

vir
10.02.2006, 12:44
Zwei neue Wörter gelernt, Benzini? Dann musst Du jetzt ja nur noch ein paar passende Zusammenhänge üben.

joq
10.02.2006, 12:59
Herr Genista, wenn ich dieses (http://www.hoeflichepaparazzi.de/forum/showpost.php?p=184044&postcount=1) Posting richtig deute, gefällt Ihnen das Wort "funkeln" in allen Beugungsformen am Besten. Sie dürfen also gerne "funkeln" an dieser Stelle einsetzen.