Hemingway
31.12.2005, 17:25
An Häuserwänden, Ateliers, Brasserien oder Squares entdeckt man in Paris in jeder zweiten Straße ein Schild, auf dem steht, welcher prominente Künstler oder Politiker in welchem Jahrhundert gerade in diesem Gebäude oder in jener Gegend geboren, gelebt oder gestorben ist. Man wird in dieser Stadt von Prominenz an allen Ecken und Enden erschlagen. Und mit Glück erwischt man auch noch einen der Lebenden.
In meinen ersten Wochen in Paris habe ich mich mit dem Buch „Adieu Paris“ der Journalistin Ursula von Kardorff auf den Streifzug gemacht. Ein Buch aus dem 70ern, in dem sie Prominente, ob tot oder lebendig, der einzelnen Quartiers präsentiert und in dem auf einigen Seiten schon damals dem bekannten „deutschen Modemacher“ Karl Lagerfeld ein Kapitel gewidmet ist. Am Schluss beschreibt sie, wie sie ihn nach dem Interview zufällig erneut trifft, kurz vor Mitternacht, bekleidet in einem langen Cape, in der Buchhandlung „La Hune“ neben dem „Café les Deux Magots“, nahe der Kirche Saint Germain. Er stöbert dort gern und meint „Bücher kann man doch nur am Abend kaufen“.
Die Buchhandlung „La Hune“ hatte auch zwanzig Jahre später noch um diese Zeit geöffnet und ich genoss ebenfalls, ungefähr zwei Wochen nach meiner Lektüre von Kardorffs gesammelter Prominentengala, dort nach Spaziergängen in der Abendstunde kurz reinzuschauen und mich in die französische Literaturwelt zu stürzen. Einen Schmöker zu ergattern und gleichzeitig während der kalten Winterzeit Wärme in den Räumen aufzutanken. Mein beliebtes Ziel war der erste Stock, zu dem man auf einer Wendeltreppe emporsteigt und wo sich meterdicke Bild- und Fotobände stapeln. Jedes Exemplar unbezahlbar und bei meinem damaligen Geldbeutel nur zum Staunen gedacht.
Eines Abends also, ich blätterte gerade in einem der Bände, kam eine ganze Truppe Männer die Treppe empor. Vorneweg der Besitzer oder ein Angestellter von „La Hune“, immer „oui, oui, ah, oui“ sagend und mit dem Kopf nickend, und hinter ihm, mit langem Cape und mit lautem, französischen Redeschwall, die Legende persönlich, inzwischen weltberühmter Modezar, Karl Lagerfeld. Klassisch mit dem Zopf aus weißen, langen Haaren und einer großen, schwarzen Brille. Es fehlte nur der Fächer. Dafür lief direkt hinter ihm eine Entourage von drei jungen, hübschen Männern, die sich dann im ersten Stock angekommen, stumm und eng um ihn versammelten. Ich vermutete mehr Freunde, als Mitarbeiter.
Und dann legte er los. Laut, und ganz und gar nicht unauffällig und sich der Blicke der Umstehenden bewusst, war er bereits die Treppe hochgekommen, und schritt nun gemessen wie ein König durch die Reihen der Büchertische und Stapel und zeigte mit gestrecktem Finger auf ein Buch hier und da und sagte nur „ca ... et ca ... et là-bas, ...et je prends ca“. Auf prächtig bebilderte Mode-, Kunst oder Fotobände, die ich vorher nur bewundernd angefasst und deren Preis auf dem Cover geflissentlich ignoriert hatte. Er bestellte sie wie im Dutzend billiger und der Buchhändler notierte genauso fleißig wie euphorisch die Titel und Autoren in sein Notizbuch. Die Meute junger Männer lief immer noch stumm und bewundernd hinterher.
Stumm war ich auch. Und ich bereue es noch heute. Wo begegnet man Karl Lagerfeld? In der Regel nur als Zuschauer bei Interviews in deutschen Talkshows, in denen er sich nicht nur redegewandt und offen zeigt, sondern auch humorvoll. Ganz sicher hätte er das für mich erstaunliche Déjà-vu mit literarischer Vorlage und um zwei Wochen verzögerter realer Begegnung amüsant gefunden, vielleicht sich an das Interview von früher erinnert. Ich konfrontierte ihn nicht damit. Stattdessen starrte ich die seltsame Truppe noch eine kurze Weile an, schaute zu, wie König Karl die gesamte Etage leer kaufte, und dann von einer Sekunde auf die andere aus der Buchhandlung rauschte und mit einer schwarzen Limousine auf der Straße entschwand. Ich dagegen verließ „La Hune“ langsam und ohne Buch. Aber immerhin. Mit einer guten Geschichte.
In meinen ersten Wochen in Paris habe ich mich mit dem Buch „Adieu Paris“ der Journalistin Ursula von Kardorff auf den Streifzug gemacht. Ein Buch aus dem 70ern, in dem sie Prominente, ob tot oder lebendig, der einzelnen Quartiers präsentiert und in dem auf einigen Seiten schon damals dem bekannten „deutschen Modemacher“ Karl Lagerfeld ein Kapitel gewidmet ist. Am Schluss beschreibt sie, wie sie ihn nach dem Interview zufällig erneut trifft, kurz vor Mitternacht, bekleidet in einem langen Cape, in der Buchhandlung „La Hune“ neben dem „Café les Deux Magots“, nahe der Kirche Saint Germain. Er stöbert dort gern und meint „Bücher kann man doch nur am Abend kaufen“.
Die Buchhandlung „La Hune“ hatte auch zwanzig Jahre später noch um diese Zeit geöffnet und ich genoss ebenfalls, ungefähr zwei Wochen nach meiner Lektüre von Kardorffs gesammelter Prominentengala, dort nach Spaziergängen in der Abendstunde kurz reinzuschauen und mich in die französische Literaturwelt zu stürzen. Einen Schmöker zu ergattern und gleichzeitig während der kalten Winterzeit Wärme in den Räumen aufzutanken. Mein beliebtes Ziel war der erste Stock, zu dem man auf einer Wendeltreppe emporsteigt und wo sich meterdicke Bild- und Fotobände stapeln. Jedes Exemplar unbezahlbar und bei meinem damaligen Geldbeutel nur zum Staunen gedacht.
Eines Abends also, ich blätterte gerade in einem der Bände, kam eine ganze Truppe Männer die Treppe empor. Vorneweg der Besitzer oder ein Angestellter von „La Hune“, immer „oui, oui, ah, oui“ sagend und mit dem Kopf nickend, und hinter ihm, mit langem Cape und mit lautem, französischen Redeschwall, die Legende persönlich, inzwischen weltberühmter Modezar, Karl Lagerfeld. Klassisch mit dem Zopf aus weißen, langen Haaren und einer großen, schwarzen Brille. Es fehlte nur der Fächer. Dafür lief direkt hinter ihm eine Entourage von drei jungen, hübschen Männern, die sich dann im ersten Stock angekommen, stumm und eng um ihn versammelten. Ich vermutete mehr Freunde, als Mitarbeiter.
Und dann legte er los. Laut, und ganz und gar nicht unauffällig und sich der Blicke der Umstehenden bewusst, war er bereits die Treppe hochgekommen, und schritt nun gemessen wie ein König durch die Reihen der Büchertische und Stapel und zeigte mit gestrecktem Finger auf ein Buch hier und da und sagte nur „ca ... et ca ... et là-bas, ...et je prends ca“. Auf prächtig bebilderte Mode-, Kunst oder Fotobände, die ich vorher nur bewundernd angefasst und deren Preis auf dem Cover geflissentlich ignoriert hatte. Er bestellte sie wie im Dutzend billiger und der Buchhändler notierte genauso fleißig wie euphorisch die Titel und Autoren in sein Notizbuch. Die Meute junger Männer lief immer noch stumm und bewundernd hinterher.
Stumm war ich auch. Und ich bereue es noch heute. Wo begegnet man Karl Lagerfeld? In der Regel nur als Zuschauer bei Interviews in deutschen Talkshows, in denen er sich nicht nur redegewandt und offen zeigt, sondern auch humorvoll. Ganz sicher hätte er das für mich erstaunliche Déjà-vu mit literarischer Vorlage und um zwei Wochen verzögerter realer Begegnung amüsant gefunden, vielleicht sich an das Interview von früher erinnert. Ich konfrontierte ihn nicht damit. Stattdessen starrte ich die seltsame Truppe noch eine kurze Weile an, schaute zu, wie König Karl die gesamte Etage leer kaufte, und dann von einer Sekunde auf die andere aus der Buchhandlung rauschte und mit einer schwarzen Limousine auf der Straße entschwand. Ich dagegen verließ „La Hune“ langsam und ohne Buch. Aber immerhin. Mit einer guten Geschichte.