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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Eppelmann, Rainer und die Auferstehung der defekten Paparazza



eskaorange
08.02.2005, 22:34
Vor dem Eingang einer Landesvertretung stand ich herum und wartete. Nach und nach kamen Leute, offensichtlich auf der Suche nach dem richtigen Gebäude, wer kennt sich schon aus in der Tiergartenstraße. Ein paar begrüßten sich lautstark per Handschlag, gehörten halt dazu. Ich kannte niemanden, wie immer. Mein Freund rammte seinen Ellbogen in meine Seite und zischte möglichst unauffällig in meine Richtung: „Das war der Eppelmann“. Meine Rippen schmerzten und ich hatte ihn nicht recht verstanden. „Wer?“ fragte ich laut. Mein Freund leierte mit den Augen und zeigte mit spitzem Kinn auf den Rücken des Mannes, der zwei Meter hinter mir stand. Jetzt schnallte ich es auch. Ein Beobachter der Szene grinste in unsere Richtung und dachte: „Häppchen essen wollen aber kennt nicht einmal Eppelmann.“ Das sah ich ihm an. Dazu will ich zur Verteidigung sagen, dass ich als Paparazza nicht funktioniere. An mir kann vorbeilatschen wer will, meist erkenne ich weder die Leute, mit denen ich schon gesprochen habe und erst recht nicht solche, die mir irgendwann geschminkt und größenverzerrt auf der Mattscheibe begegnet sind. Aber zum Glück habe ich in so wichtigen Situationen aufmerksame Beobachter des Weltgeschehens an meiner Seite, so auch an diesem Tag. Also Eppelmann. Als „Begleiterin“ hatte ich die Gelegenheit Einlass zu finden zu einer Lesung eines Jugendbuchautors, ausgerichtet von der „Stiftung Aufarbeitung“. Die Stiftung wurde gegründet, die SED-Diktatur aufzuarbeiten, wie ich nach dem Einlass auf herumliegenden Flyern nachlesen konnte. Und der Vorsitzende der Stiftung war Rainer Eppelmann. Hätte ich mich also im Vorfeld darum gekümmert, wo ich eigentlich hingehe an diesem Abend, hätte ich schon mit Herrn Eppelmann rechnen und – noch besser – gleich nach ihm Ausschau halten können! Aber ich gehöre nicht zu diesen Vorbereitern, die immer schon vor dem Kino die Story des Films kennen, einen Tag vor dem Theaterbesuch die Handlung des Stücks nachlesen und im Urlaubsflieger längst die Geschichte des Landes kennen. Ich lass mich halt gern überraschen. Immerhin wusste ich, dass ich zu einer Lesung gehen würde. Das dachte ich jedenfalls. Vor der Lesung gab es lange, lange Ansprachen von mir unbekannten Menschen. Die Stiftung wollte nicht eine Lesung finanzieren, sondern ihre Mission verbreiten. Während irgendwelche Männer quatschten, konnte ich eine Frau zwei Reihen vor mir beobachten. Sie war eine außerordentlich beeindruckende Erscheinung, wie ich fand. Sicher um die 60, sehr groß, sehr schlank, fast knochig. Ihr langes schwarzes Haar war mit grauen Strähnen durchsetzt und hochgesteckt. Sie trug einen weißen langen Mantel und wilden Ohrschmuck, allein deren Verschlingungen machten mich besoffen. Sie sah gelangweilt aus und trotzdem hochaufmerksam, eigentlich rechnete ich jeden Moment mit ihrem Einspruch: „Der Meinung bin ich nicht, Herr Eppelmann!“ Ob die Frau auch lächeln konnte, fragte ich mich? Ich konzentrierte mich zwischendurch wieder auf das Podium, auf dem Herr Eppelmann sich zurechträusperte. Hin- und Herschauend zwischen Ihm und Ihr vergingen die Minuten, gerade war ich wieder bei Eppelmann angekommen, als er von der Bedeutsamkeit der „Stiftung Auferstehung“ sprach – ich glaubte kurz mich verhört zu haben, als der gesamte Saal anfing zu kichern und giggeln, doch Herrn Eppelmann ließ sich davon überhaupt nicht beeindrucken sondern sprach einfach weiter. Als ich wieder zur strengen Frau vor mir schaute, huschte ihr für einen kurzen Augenblick ein Lächeln übers Gesicht, ich bin mir ganz sicher!

Ich fragte nach dem Ende von Eppelmanns Rede meinen Freund: „Hast du die da vorne gesehen?“

„Ja, sicher“ antwortete er. „Das ist Lea Rosh.“

„Oh…“

slowtiger
09.02.2005, 11:28
Ich finds schön.

Ruebenkraut
09.02.2005, 12:17
vir, jetzt habe ich ganz lang auf dem letzten satz rumgekaut und dann gedacht: hey, vir will hier ganz subtil andeuten, dass er zwar kokette autorinnen kennt, aber nicht selbst einer sind, gell?