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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Mankell, Henning; nennt mich beim Titel.



Lis
29.11.2004, 22:07
Der Versicherungsmakler verspätet sich nur um 10 Minuten. Er ruft aber drei Mal an, um sich für sein Zuspätkommen zu entschuldigen. „Es tut mir Leid Frau Magistra, aber 500 Meter vor dem Zielort gab es einen Unfall! Und ich stehe im Stau.“ - Er nennt mein Stammcafé tatsächlich „Zielort“.

Ein silbergrauer, älterer Herrn und zwei wunderschöne junge Schwarzafrikanerinnen betreten das Lokal. Sie setzen sich an einen größeren Tisch, nur ein Miniaturtischchen von mir entfernt. Ein junger glatzköpfiger Mann folgt ihnen durch den Windfangvorhang.

Ich höre gutes, nordisch gefärbtes Englisch gefolgt von kehligerem afrikanischen. Der Glatzkopf sitzt mir diagonal gegenüber; ab und zu schauen wir uns an. Vom Älteren mit Haaren nehme ich nur den Rücken wahr. Die kleine Gesellschaft hat sich kaum hingesetzt, schon bittet mich der Glatzerte um Feuer. Ich krame in meiner Tasche und finde drei Feuerzeuge, die sicher nicht mir gehören. Ich schenke ihm eines, das für das Einkaufszentrum in Braunau wirbt. Er bedankt sich artig, während mir das scheinbar Peinliche dieser Situation bewusst wird: Ein Feuerzeug aus Hitlers Geburtsstadt liegt auf einem Mulitkulti-Tisch. Für einen Austausch ist es zu spät.

Mein Versicherer ist attraktiv, dienstbeflissen, und sehr laut. Er bellt durchs Lokal: „Guten Morgen Frau Magistraaa!“ Und entschuldigt sich zum 4. Mal für die Verspätung, die nicht mal akademisch war.
Ich möchte nur meine Polizze ändern und habe ihm meine Vorstellungen bereits von A bis Z gemailt. Jeden Änderungswunsch kommentiert er mit „Frau Magistra!“, wiederholt ihn wortwörtlich und sagt „Ja“.
Nach dem 20. Mal „Frau Magistra“ und meinem: „Bitte nennen Sie mich Herlis.“, grinst mich der Glatzkopf vom Nebentisch an. Fortan nennt mich der Versicherer nämlich „Magistra Herlis“, - den Glatzkopf hutscht* es vor Lachen, setzt aber sein Gespräch unbeirrt fort.
Jetzt weht Zigarillorauch vom Nebentisch; ich wage kaum noch aufzuschauen, weiß nicht, ob er vom silbergrauen Herrn oder von jemand anderem stammt. Höre aber, wie der Glatzkopf seinen Tischgenossen den Grund seiner plötzlichen Heiterkeit erklärt: Austria, titles, and history.


Der Versicherer und ich sind handelseinig; wir möchten zahlen.
Mir wird gerade in den Mantel geholfen an, als mir der Glatzkopf hinterher ruft : „Danke Frau Magistra!“ Auch der silbergraue Herr aus Schweden dreht sich zu mir um und sagt “Danke Frau Magistaar!“ Ich winke ihnen zu und grinse mein Zwangserrötungslächeln.

Erst viel später sah ich Henning Mankells Foto in der Zeitung und erfuhr, dass sein Stück ‚Butterfly Blues’ im Schauspielhaus uraufgeführt wird. Eine Produktion, die es laut Pressehäme, besser nicht/nie gegeben hätte. Die beiden Schwarzafrikanerinnen waren die Protagonistinnen, der Glatzkopf ein Kulturredakteur, der mir seither regelmäßig über den Weg rennt. Wir grüßen einander.



*schaukelt es