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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Mit Harry Valerien im Zug nach Mannheim



Juergen Broemmer
04.11.2004, 21:22
Nachdem mich kürzlich schon einmal Uwe Seeler in einer Berliner Hotelbar fast umgerollt hätte, saß nun der außerordentlich berühmte Sportreporter Harry Valerien auf einer Zugfahrt bei mir im Nebenabteil. Die Kunde über seine Anwesenheit verbreitete sich rasch in unserem Wagen. Eine ältere Dame und ihr Begleiter, mit denen ich nach der Abfahrt aus München das Abteil teilte, weihten mich beschwingt in ihre neugewonnene Erkenntnis ein, dass nebenan der überaus beliebte Herr Valerien sitze. Die Beiden waren guter Dinge, - man kehrte gerade vom Besuch einer großen Spielwarenbörse zurück. Ich wuchtete der Dame ihre robuste Ledertasche ins Gepäckfach, die vermutlich ein Dutzend gusseiserne Boccia-Kugeln enthielt.

Die Senioren zeigten sich jetzt die gerade erworbenen Spielwaren. Sie hatte ein Memory erworben, das in einer Art Büchse verstaut war, in der heutzutage eigentlich der noblere Kartoffelchip angeboten wird. Stolz wies sie darauf hin, dass auf der Büchse zwar der Name des Designers verzeichnet sei, nicht jedoch der Begriff „Memory“, was den Herrn zu der lebensklugen Bemerkung veranlasste „Was die einen zuviel haben, haben die anderen zuwenig“.

Die Senioren trugen übrigens sämige Breitcordhosen und unterhielten auch weiterhin eine angeregte Konversation, die sich vornehmlich um die leider zahlreichen Nachkommen der Dame rankte.

Sie: Meine Schwiegertochter gibt Kurse in Selbstfindung.“
Er: „In was?“
Sie: „In Selbstfindung.“
Er: „In Selbstfindung. Ach Gott ja.“

Wir erfuhren auch, dass die Selbstfindungstrainerin und der Sohn - von Hause aus eigentlich Querflötist aber mittlerweile Saxophon - gerade ein Steinhaus bei Domodossola erworben haben, wo das ganze Baumaterial mit der Seilbahn hingebracht werden muss. Die Baumassnahmen wurden dann im wesentlichen 1:1 besprochen und ich verdrückte mich auf den Gang um einen Blick auf Harry Valerien zu werfen. Die grauen Haare trägt der Sportmoderator jetzt kragenlang. Um 12:30 Uhr bestellte er sich ein Bier.

In Augsburg stiegen die vitalen Alten dann endlich aus. Sogleich drängten nun junge – vermutlich alleinerziehende – Frauen mit Kindern herbei. Ich war wieder behilflich, bleischwere Reisekoffer, Rucksäcke und Einräder ins enge Gepäckfach zu hieven, was mir das Wohlwollen der Mütter und das Misstrauen ihrer Brut eintrug.

Als im Abteil Kindergeschichten über sprechende Traktoren vorgelesen wurden, vertrat ich mir wieder die Beine. Das Abteil von Harry hatte sich mittlerweile in eine Talkrunde verwandelt. Harry, lässig in den bequemen Erste-Klasse-Sitz gesunken, moderierte routiniert das Gespräch zwischen zwei Herren und einer Dame.

Als ich in Mannheim umsteigen musste, sah auch Harry aufbruchbereit aus, blieb jedoch eisern im Abteil sitzen und schob sich nicht wie wir anderen Anschlussparanoiker schon zum Ausgang. Wer weiß, vielleicht ist er ja in Mannheim geblieben.

raumoberbayern
04.11.2004, 23:53
also Cord ist jawohl sowas von angesagt

Goodwill
05.11.2004, 12:41
Zu der schönen Geschichte will ich gar nicht mehr sagen, als dass sie 1:1 aus einem Guss ist. Außerdem kann ich frisch erworbenes Wissen zum Thema "Memory" beisteuern: Auf diesem Namen hockt der Ravensburger Spieleverlag wie ein Drache, der Boule-Kugeln für seine Eier hält. Die an sich harmlose Gattung-Bezeichnung für ein Kartenspiel wird so eifersüchtig verteidigt, dass es mich - nach allem was ich so gehört habe - nicht wundern würde, wenn sogar gegen dieses Posting juristisch vorgegangen würde. Wegen Missbrauchs, Verletzung der Markenrechte und weil den RAs immer nur Ravensburger Spiele spielen zu Recht keinen Spaß macht.

Klaus Caesar
05.11.2004, 13:02
Wenn Harry im bequemen Erste-Klasse-Sitz saß, fuhr er, vermute ich, in der Ersten Klasse. Folglich war auch das Nachbarabteil ein Erste-Klasse-Abteil, denn bei der Bahn erfolgt die soziale Apartheid waggonweise. Senioren mit Breitcordhosen sowie alleinerziehende Frauen mit Kindern und Rucksäcken reisen aber doch eher selten bourgeois. Sehr verwirrend.

Lenin
05.11.2004, 13:09
Ich habe die verwirrende Logik-Kette noch weiter aufgezogen:
Auch Juergen Broemmer fährt erster Klasse!

Lenin
05.11.2004, 13:11
Als ich oben das vom "Memory" laß, wusste ich Cleverle bereits, worum sich das Posting von "Spiele-Zar" Goodwill drehen würde.

Klugscheisser
05.11.2004, 13:20
Memo ohne ry scheint zu gehen:

Ignaz Wrobel
05.11.2004, 13:21
Diese verdammte Forumsuhr macht mich wahnsinnig! Kann die nicht mal "jemand" umstellen?

Ignaz Wrobel
05.11.2004, 13:32
Pardon, wollte nicht vom Memo-ry-Thema ablenken.

Nochmal zum Cordhosen-Thema: Die Senioren trugen "sämige" Breitcordhosen. Was ist das? Generell fällt mir dazu ein, daß ja Cordhosen traditionell viel nobler sind, wenn man sich im wohlverdienten Ruhestand befindet als Handelsvertreter-Bügelfalten. Außerdem gibts die in seniorenfreundlichem Stretchcord. Meine
Mutter hat sogar extrem teure Hosen, die angezogen ungefähr die doppelte Breite erreichen als vorher.

Juergen Broemmer
05.11.2004, 14:16
"...und roch: Erbsensuppe. Die hatte ich mir beim Koch bestellt, mit Speck, ohne Zwiebeln, aber sämig, sämig. Sie wissen sicher nicht, was sämig ist; es würde zu lange dauern, wenn ich es Ihnen erklären wollte: Meine Mutter brauchte drei Stunden, um zu erklären, was sie unter sämig verstand."

Heinrich Boell, Monolog eines Kellners

Werrnerr
05.11.2004, 19:51
Aus der Sendung "Hausmeister Krause" kenne ich die Weisheit: "Ein juutes Bier muss säämich sein." Das ist so ein rheinischer Begriff, ähnlich wie "spack" oder "manx". Erklären kann man die nicht; man muss sie erfahren. Dann wird alles klar.

Uzzi Engel-Ich
05.11.2004, 21:13
sämig etc.: broemmer, sie sind ein meister des beiwortes! sehr vergnüglich. chapeau.

Ruebenkraut
06.11.2004, 12:27
@ KC: Zur Not geht "nebenan" auch noch durch als korrekte Bezeichnung, wenn dazwischen ein Waggonübergang liegt. Schließlich muss man, um den Waggon zu wechseln, nicht mehr wie früher zunächst ins Freie treten, was ich übrigens bedaure.

Edmund
07.11.2004, 12:56
Schoene Geschichte. Im letzten Absatz las ich: "Harry... blieb gusseisern sitzen".

Originalzitat aus dem film mundtot: "apfel ist sauer, mango ist sämig, so sämig, das pelzt auf der zunge."

Klaus Caesar
07.11.2004, 16:24
@ Rübe: Deine Kulanz kann ich nicht teilen. Es handelte sich doch offenbar um einen ICE, also war mindestens ein Speisewagen resp. BordRestaurant dazwischen. Die Geschichte suggeriert aber eindeutig, daß Herr Brömmer nicht erst durch den halben Zug stiefeln mußte, um nachzuschauen, was Harry treibt. Natürlich können wir uns noch tagelang müßig die Köpfe zerbrechen, Auskunft kann nur Herr Brömmer selbst geben, der aber lieber über die Sämigkeit von Erbsensuppen schwadroniert. Verdächtig? Höchst verdächtig, mein Lieber!

Juergen Broemmer
07.11.2004, 18:00
Die Erbsensuppe ist natuerlich nur ein Bild, Herr Caesar.

Hier uebrigens ein Bild von einer Erbsensuppe:

http://uckermark-erleben.de/images/ruhe_genuss/essen/erbsen.jpg

Erst die Wurst teilt die Suppe in unten und oben!

Alberto Balsam
07.11.2004, 18:14
Die schlimmsten "Anschlussparanoiker", von denen wohl eher die meisten Aussteigparanoiker sind, sind allerdings die im Flugzeug. Tragisch wie die Irren da immer 10 Minuten, nachdem das Anschnallzeichen erloschen ist vom Sitz aufstehen und mit schrägem Kopf unter dem Gepäcksfach stehen. Warum? Weil das Flugzeug weiterfliegt, wenn sie nicht rechtzeitig aussteigen?

Frau Rossi
07.11.2004, 19:27
Meine Mutter ist Einsteigeparanoikerin, gerade wenn sie mit dem ICE fahren muss. Die zwei Minuten Halt erscheinen ihr einfach viel zu kurz, um würdevoll einsteigen zu können. So steht sie, scharrenden Hufs und mit einem Blutdruck um die 180 auf dem Gleis und kann die Anderen kaum aussteigen lassen, so pressiert es ihr.

Ruebenkraut
07.11.2004, 19:59
Frau Rossi, sie steht "auf dem Gleis" und erwartet dort den ICE? Das ist schon ziemlich paranoid, äh, suizidal, meine ich.

Wilfried Wieser
08.11.2004, 13:35
Sailer: Bei den Spielen in Sapporo, da haben sich auf einem Bahnhof mal die Leute aufs Gleis gelegt, bis ich aus dem Zugabteil gekommen bin und Autogramme gegeben habe. Weißt du noch, Harry, wie damals diese Mädchen bei der Gruppenmassage mit den Füßen auf unseren Rücken rumgetrampelt sind?

Valerien: Ja, ich erinnere mich.

(DIE ZEIT 07/2003 (http://www.zeit.de/2003/07/Sport_2fValerien))