PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Jürgens, Udo



mueller-gucci
30.09.2004, 13:01
Mitte September 2004. „Die Tasche, die is schick“, denke ich so bei mir. So eine zusammenklappbare Kleidertasche für Anzüge. Schwarzes Leder, mit Seitenpochetten für Schuhe etc. Zeitlos, dezent, praktisch. Das Ding ist ziemlich vollgepackt und sieht auch sehr schwer aus. So wandert mein Blick vom Zuglaufschild zurück über die Tasche auf den überfüllten Aschenbecher in der „smoking area“ auf Gleis 3. Kleidertaschen weisen meistens denselben Fehler auf. Es passiert sehr häufig, dass die Kleiderbügel aus dem Haken in der Innenseite der Tasche rutschen. Hemden und Anzüge wickeln sich ein. Kommt man irgendwo an und packt den Kram aus, stellt man fest, dass Mutti umsonst gebügelt hat. Bei dieser Tasche auf Gleis 3 ist es bestimmt das Gleiche. Trotzdem schick. Abgesehen von den Initialen des Besitzers. „U.J.“ baumelt am Griff. Der Typ daneben schaut auf den einfahrenden Zug. Ich drück die Kippe aus. Der übliche Tumult beim Einstieg. Einer muss sich immer vorn an die Tür drängeln. Heute bin ich das. Hinter mir die UJ-Kleidertasche. ICE-Neigetechnik, die kleine Stufe in die erste Klasse helfen nicht. Der Typ kriegt die Tasche einfach nicht in den Zug gehievt. Ich bücke mich zu ihm runter, nehme ihm kommentarlos die Tasche ab. Ist gar nicht schwer. Der Mann bedankt sich freundlich. Vor mir steht Udo Jürgens himself. Der Mann dessen live-Alben ich mir bei jedem Weihnachtsbesuch bei meiner Mutter anhören muss. Und dann immer ihr Schwelgen in Erinnerungen an diese nacht mit ihm. In der Phillipshalle in Düsseldorf. Sie und er und 20.000 andere kreischende Hühner. Der deutsche Elvis, ein schnellfickender Entertainer, ein Schlagerstar und Traum meiner Mutter. Da steht er am Bahnhof Zoo, im Trenchcoat, getönter Brille und kriegt die Tasche nicht in den Zug. Kaum sitze ich auf meinem Platz schicke ich meiner Mutter eine SMS. Sie ruft sofort zurück. „Er sitzt hinter mir“, hauche ich ins Telefon. „Wo denn?“ „Na, im Zug.“ „Du musst lauter reden.“ „Ich kann nicht lauter reden, er sitzt direkt hinter mir.“ „Weißt Du noch die Phillipshalle?“ „Mutter, ich war zwei.“ „Hast Du was zu Essen dabei?“ „Nein! Für 71 sieht er aber echt gut aus.“ „Wo fährt er denn hin?“ „Woher soll ich das wissen? Warte mal... Reserviert bis Hannover. Ich ruf wieder an.“
Über mir baumeln ein U und J. Irgendwo schnarcht jemand. Wolfsburg, wir fahren am Stadion vorbei. Tabellenführer. „Wartet bis die Gladbacher kommen“, denke ich und steh auf. Udo Jürgens` Arme hängen schlaff aus den Schultern. Kopf im Nacken, die Brille schief, der Mund sperrangelweit offen. Es dröhnt aus seinem Rachen. Eine SMS von meiner Mutter: „Was macht er?“

Mutti
30.09.2004, 13:15
Mei, is des liab.

Stig
30.09.2004, 13:22
Bis "Tabellenführer" glaube ich jedes Wort.

Goodwill
30.09.2004, 17:25
Mal abgesehen von der kichernmachenden Telefonpassage finde ich auch das Timing recht gelungen. Der Mann, der da am Ende schnarcht, begeht heute seinen 70. Geburtstag. Schätzungsweise mit Wein, Sahne und Cherie-Schokolade.

mueller-gucci
30.09.2004, 17:40
...mit dick Rama drauf.