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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Schloendorf, Volker sucht Luecken



DREA
31.08.2004, 00:46
Der gemeine Vertriebler ist ein Wesen, das gern draengelt, schubst und sich einfach nicht gerne ueberholen laesst. Schon gar nicht, wenn es mit einem "Flieger" nach Hause geht und man im Flughafen schon das eine oder andere Feierabenbier „gezischt“ hat. Wer unverlangten Koerperkontakt nur schwer ertragen kann, sollte tunlichst vermeiden, zwischen 16 und 19 Uhr zu fliegen, beispielsweise von Muenchen nach Berlin.

Von weitem sieht der klein gewachsene Mann aus wie Guenther Wallraff, der versucht, sich verkleidet auf ein Gartenfest gut verdienender Gruener einzuschmuggeln. Er schlaengelt durch die uniformierten Maennermassen, ihre Notebooktaschen und Musterkoffer, sucht Luecken und ist dabei bemueht, so viel Abstand wie moeglich zwischen sich und das Business Pack zu bringen. Das klappt natuerlich nicht ohne kleine Rempeleien, denn der gemeine Vertriebler... s.o.

Beim Naeherkommen wirkt der auffaellige, leicht angejahrte Mann wie eine dieser abgehangenen Kreativen- oder Journalistenfiguren, wie man sie aus den Eigenproduktionen der Privatsender kennt. Der schlabberig sitzende Anzug ist aus Leinen und hat eine Farbe irgendwo zwischen Khaki und Senf mit einen winzigen Schuss Orange darin. Dazu ein Hut, eine Art Borsalino aus ungefaerbtem Stroh, den ein Seidenband mit roetlichem Paisley-Muster ziert; die Bequemschuhe sind aus roetlich braunem Leder einer hochwertigeren Sorte. Seine Aktentasche ist dieses Modell fuer aeltere Kunstschaffende, Agenturmuckel, Marketingtussen usw.: fast A3 Format, mit langem Schulterriemen, schwarz mit echten Silberbeschlaegen und so weich gegerbt, dass sie Falten wirft, wenn sie ihrem Traeger um die Knie schlingert.

Diese Sorte Tasche haengt uebrigens selbst bei groesser gewachsenen Menschen immer irgendwo an den Knien. Das ist im Grunde recht unpraktisch, zumal, wenn man mehr als ein paar Stifte und dieses Notizbuch mit Gummiband dabei hat oder Blaetter, die glatt bleiben sollen. Aber vielleicht ist diese Art des Taschetragens ja auch ein Geheimzeichen echt erfolgreicher Kreativer, und was weiss man schon wirklich von denen.

Jetzt wird der arme Kerl schon wieder an der Schulter gerammt und der Rammer bemerkt es noch nicht mal. Der Schnauzbart, den ich jetzt als Schloendorffs erkannt habe, weil er nur noch etwa 3 Meter entfernt ist, sinkt noch einige Milimeter nach unten, unter der Strohutkrempe erscheinen Stirnfalten echten Zorns. Volker Schloendorff hat die Faxen dicke, soviel steht fest. Dem naechsten Rempler wird er auf die Fuesse treten, oder sich so steif machen, dass die Verkaeufernase ins Wanken kommt.

Doch zuvor faellt sein Blick auf die wahrscheinlich einzige Person, die ihn an diesem Mittwochabend im August des Jahres 2004 erkennt und einen Hauch von Mitgefuehl und Interesse fuer ihn zeigt. Wir gucken uns kurz in die Augen, er deutet ein Laecheln an, ich ebenfalls, und dann ist der Moment auch schon wieder vorbei. Denn grad vor uns tut sich eine neue Luecke auf. Und Luecken, die sich auftun, soll man nuetzen. Das sehen Regisseure und Vertriebler offenbar genau gleich.

chrislenz
31.08.2004, 06:27
Herrlich, der Feingeist mit Strohhut und Stolpertasche eingekeilt zwischen den Panzergrenadieren der Volkswirtschaft.

Ich hatte mal eine Firma als Kunden, die ein hübsches Portfolio diversester Spirituosenmarken besaß. Die Marketingmenschen waren jung, schön und kompetent und hatten nichts zu melden. Wie das bei Spirituosenmarken immer so ist, befand sich gleich im Meetingraum eine große Bar mit allen Produkten. Eines Tages öffnete sich mitten in der Besprechung, es war so etwa ein Uhr mittags, die Tür. Ein stattlicher Bauch schob sich ins Zimmer, auf ihm ruhend eine Krawatte, wie sie nur Vertriebler tragen. Ihr Rot kämpfte einen stillen Krieg gegen die leuchtende Knollnase darüber. Der Mann sagte nichts, stapfte durch den Raum zur Bar, goß sich eine Handbreit vom besten Whiskey ein (kein Eis), und ging wieder Richtung Tür. Unvermittelt hielt er inne und warf einen Blick auf das projezierte Powerpoint-Chart (es zeigte ein "Design"). Dann ging er wortlos hinaus.

Ich schwöre, dass bei diesem kurzen Besuch des Vetriebsdirektors Deutschland niemand geatmet hat. Er war ein Klumpen Macht mit einem Glas voll Whiskey in der Hand. Er wusste genau, dass er mit einem Grunzen, einem Lidschlag, einem angedeuteten Kopfrucken alles zunichte machen kann. Das hat er kurz genossen, um dann in Ruhe an seinen Eichenschreibtisch zurückzukehren und noch ein bisschen den Geist des Weines zu vertreiben. Seitdem mag ich die Vertriebler, irgendwie.

Ignaz Wrobel
31.08.2004, 09:58
Das ist eine sehr plastische Beschreibung des "Typs" Volker Schlondroff (wie er im englischsprachigen Raum genannt wird). In Wirklichkeit war es natürlich nicht Schlondroff, sondern Dr. Ansgard Hugendübler, der zum "Kongress deutscher Kunsterzieher der gymnasialen Oberstufe" flog.

DREA
31.08.2004, 10:20
Hugenduebler hatte dann auch nur gebremste Herzlichkeit fuer den mitteljungen Mann im Jeremy-Anzug, der am Ausgang in Tegel mit einem Schild stand, auf das "Herr Schloendorff" gekrakelt war.

exilsylter
31.08.2004, 19:13
Erinnert mich sehr an meinen Freitagabendflug mit Dieter Wedel. Auch mit Strohut, ohne Kreativentasche, aber dafür mit grossem Blumenstrauss, der im grossen Bellheim vielleicht den Flug überlebt hätte, im Gepäckfach der Lufthansa aber keine Chance hatte.

Gulaschgustloff
01.09.2004, 09:35
DREA, das heisst "Jeremy-Aufzug".