berndmatzner
17.08.2004, 20:19
Vorausschicken möchte ich dem Bericht dieser formidablen Begegnung Folgendes, in meinen Augen nicht minder Amüsantes: Die Protagonisten des Geschehenen heißen Schnatti, Hums und Nackscher, Peg, Motschekiebschen und Bazi. Nur ich hab keinen so glänzenden Spitznamen, dafür aber der Held der Geschichte, von dem ich hier berichten möchte: Gorbi. Die Spitznamen tun ja auch wirklich nichts zur Sache, aber weil es nun mal jenseits von S'Arenal sicher nur wenige Freundeskreise Überdreißigjähriger gibt, deren bürgerliche Namen einander nur schemenhaft bekannt sind, wollte ich's nicht unter den Tisch fallen lassen. Die sieben höflichen Paparazzi - sagen wir der Einfachheit halber und mit einiger geografischer Toleranz allesamt aus Leipzig - befanden sich wenige Tage vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 2004 auf Segeltörn im Ionischen Meer. Angelegt auf Korfu, zogen wir gegen Abend zu "Yiannis Taverne" am Rande von Korfu-Stadt, ein wenig abseits der touristischen Pfade und mit vorrangig heimischem Publikum. Die Taverne galt als Geheimtipp, da hier exquisite traditionelle korfiotische Gerichte zubereitet werden, die man bei einem Rundgang durch die Küche in Augenschein nehmen und auswählen kann. Im noch recht leeren Speisegarten saß am Eingang eine gut gelaunte fünfzehnköpfige Familie und auf einem der äußeren Plätze ein Mann, der verdammte Ähnlichkeit mit Michail Gorbatschow hatte. Nachdem die ersten ungläubigen Scherze über den vermeintlichen Doppelgänger verklungen waren ("Rumbalotte"), weil dieser Mann wirklich verblüffende Ähnlichkeit mit dem ehemaligen Vorsitzenden des ZK der KPDSU hatte, wurden Kundschafter zur Toilette ausgesandt, um "ihn" auch mal im Profil zu sehen. Leider hatte Gorbi keinen Harndrang, um ein joviales Gespräch von Mann zu Mann zu beginnen, aber auf dem Weg konnten wir uns überzeugen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der freundliche Senior da am Tisch kein anderer war als Mr. Gorbatchev himself, the man who tore down the wall. Letzte Zweifel wurden ausgeräumt, als wir in der Küche (s.o.) das Tagesangebot begutachteten und Peg (s.o.) fragend auf den leeren Topf wies, der das legendäre "Rabbit Stifado" beinhaltet hatte, woraufhin der Küchenchef meinte "Rabbit Stifado is out, Gorbatschow ordered it all". Auf Nachfrage bestätigte der Inhaber der Taverne, dies sei tatsächlich Gorbatschow. Die Herkunft unserer Gruppe (s.o.) bringt es mit sich, dass Gorbatschow uns mehr bedeutet als irgendein Promi (ich hab auch schon zweimal Billie Zöckler beim Shoppen getroffen, Angela Winkler sogar dreimal und einmal heulend vor dem Deutschen Theater - das war zwar auch emotional, aber nicht so!). Hier saß schließlich der Mann, der wie kein anderer maßgeblichen Anteil daran hat, dass wir überhaupt in der Lage waren, einen entspannten Segelurlaub in Griechenland zu machen statt auf dem Greifswalder Bodden! Es packte uns also eine Ergriffenheit, die uns davon abhielt, so profane Dinge wie Autogramme oder Gruppenfotos zu erbitten. Aber Gorbi so gruß- und danklos ziehen lassen? Vielleicht eine der sorgfältig im Russischunterricht memorierten Lieder anstimmen? Die Wolgaschlepper? Angara? Die Internationale? Oder etwas mit inhaltlichem Bezug? "Danke"? "Du hast den Farbfilm vergessen"? Schließlich war es Nackscher, der die bodenständige Idee formulierte, dem Tisch doch einfach eine Runde Ouzo auszugeben. Und so geschah's. Der Ex-Präsident wurde per Dolmetscherin befragt, ob wir ihm einen Ouzo spendieren dürften, er nickte, der Schnaps wurde verteilt, Gorbatschow und seine Freunde erhoben sich, prosteten uns zu, wir erwiderten herzlich. Prost. Mehr war's eigentlich nicht, aber ich hoffe inständig, dass er die Größe unserer kleinen Geste gewürdigt haben mag. Zumindest mag's bei der Verdauung des Rabbit Stifado geholfen haben, den er meiner Freundin weggefressen hat.