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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Sloan, Sam auf der Reise nach Prag



poldy
04.08.2004, 02:13
Zu meiner Schulzeit hatte ich einen Freund namens Eduard, der die seltene Gabe besaß, in allem was er tat ganz bei sich selbst zu sein, eine Gabe die leider die Wenigsten von uns besitzen, die uns, wenn wir sie denn je hatten, schon in frühester Jugend für immer abhanden kommt.
Ich weiß nicht ob es übertrieben ist, wenn ich Eduard ein Genie nenne. Nicht dass er große Dinge vollbracht hätte, im Gegenteil, er tat im Grunde kaum etwas, aber es war die Art wie er es tat. Bei ihm gab es keine Zweifel, fast alles war zum Scheitern verurteilt, aber es war sozusagen immer ein gelungenes Scheitern. Er verbrachte seine Zeit mit einem Computerspiel, das Starwars oder Starcraft hieß, laß die Romane von Stanislaw Lem und Schachbücher. In seinem Zimmer hatte er ein Terrarium mit einigen Stabheuschrecken. Das Gebiet der Stabheuschrecken war eines der vielen, auf denen er es zur absoluten Meisterschaft brachte. Irgendwann gesellte er den Heuschrecken eine Skorpionin hinzu, die Zuneigung war groß, und zwar derart, dass die Skorpionin nach und nach alle Stabheuschrecken auffraß.

Auch sein Wissen über Rauschmittel war umfangreich, er hatte zwar bis zum Ende der 11. Klasse jeden Schluck Bier mit der Begründung abgelehnt, er leide an einer schweren Alkoholallergie, schaffte es aber anschließend mehrere Jahre, sich praktisch ausschließlich von Bier, Tabak und Haschisch zu ernähren. Das Haschisch war zum Glück nie in unbegrenzten Mengen vorhanden, aber Eduard hatte alle Bücher über Rauschmittel, die es bei uns in der städtischen Bibliothek gab, gelesen. In einem Buch stand, dass Petersilie geraucht auch irgendetwas bewirken solle, also holten wir uns vom Türken ein 300g Büschel und trockneten es bei mir im Backofen. Nur wenige Menschen wissen wohl, was für einen infernalischen Gestank im Backofen getrocknete Petersilie verbreitet, allein, ich darf mich zu ihnen zählen.
Wir rauchten dann etwas von der Petersilie im Park, dass sich keine Wirkung außer leichte Übelkeit zeigen würde, wussten wir natürlich, aber das machte ja auch nichts aus.

Irgendwann im Winter vor dem Abitur kam Eduard zu mir und meinte wir müssten unbedingt nach Prag fahren. Er wolle dort nämlich Julie suchen, diesen Namen nannte die Prostituierte, an die er ein Jahr zuvor auf Studienfahrt seine Jungfräulichkeit verloren hatte. Ich war sofort ergriffen von dieser wunderbar schillernden Idee, in Prag nach einer blondgelockten Julie zu suchen.
Anfang Januar kauften wir uns zunächst zwei Fahrkarten nach Ulm, man würde dort sehen, wie man weiterkommt.
Morgens am Bahnhof hatte er neben etwas Gepäck eine Tupperdose mit Erde und einem Mistkäfer dabei. Richtigen Lehm hatte er auf die Schnelle nicht finden können, aber diese Remineszenzen an Kafka und die jüdische Tradition seien wohl das Mindeste was man zum Gelingen einer so wichtigen Pragreise benötige, und ich konnte ihm freilich nur zustimmen.
Im Bummelzug nach Ulm hörten wir vom Nachbarabteil her ein permanentes Klackern und dazu ab und zu ein seltsames Ächzen, eine Art "arf-arf". Nach einigen Minuten ging Eduard um nachzusehen, kam sofort zurück, und meinte ich solle mir das unbedingt anschauen. Im Abteil saß eine etwas verwarloste Gestalt mit wirrem Haar und einer zerknitterten Regenjacke. Immer wieder warf dieser Mann mit Wucht einen Tischtennisball zu Boden und wenn der Ball nach dem Abprall die Decke erreichte stieß er dieses "arf-arf" aus. Bei diesem Mann handele es sich ganz zweifelsfrei um den bekannten Schachspieler und Weltenbummler Sam Sloan, erklärte mir Eduard. Nun gut, wenn er, Eduard, meine, dieser Mann sei zweifelsfrei der bekannte Schachspieler und Weltenbummler Sam Sloan, dann sei das zweifelsfrei richtig, meinte ich. Wir sahen Sam eine Weile bei seinem Spiel zu, er ließ sich davon nicht stören.
Es blieb dann doch bei einem Tagesausflug nach Ulm, Erde und Käfer landeten an der jungen Donau. Natürlich war uns das schon vorher klar gewesen und es machte ja auch überhaupt nichts aus.

DREA
05.08.2004, 10:25
Feine Geschichte, poldy! Beim vergnuegten Lesen gerade fiel mir ein, was offenbar seit Jahrzehnten in der Ablage 'peinliche Misserfolge, die man am besten vergisst' herum geduempelt hat:

Irgendwann Anfang der Mittelstufe wollte meine Freundin Uschi ploetzlich dringend auswandern. Ich mochte meine Eltern auch gerade nicht sehr, meine Schwester sowieso nicht, Atomkraft war Scheisse, Pershings ebenfalls, und so war es ziemlich einfach, mich fuer einen neuen Wohnsitz im Ausland zu begeistern.

Uschi meinte, die Schweiz waere genau das Richtige fuer uns, weil da naemlich kein Krieg sein koennte und ausserdem wuerden dort nur Leute wohnen wie David Bowie. Der hatte angeblich einen grossen Park und genau dort wollten wir fuer den Anfang erst mal unser Zelt (mit Vordach!) aufschlagen. Das Zelt hatte Uschi ihrem Vater ebenso geklaut wie die 1.500 Mark, mit denen wir in der Schweiz schaetzungsweise drei Monate wuerden leben koennen. Beides nur fuer den Fall, dass Herr Bowie nicht umgehend so von Uschis Liebreiz angetan waere, um uns bei voller Logis in sein Chalet und Leben einzuladen.

Leider hat sich dann Uschis kleiner Bruder verplappert, und so waren wir noch nicht mal ueber die Grenze, als Herr F. uns wutschnaubend aus dem Zug holte. Uschi bekam 4 Wochen Stubenarrest, ich 6, Dresche und vollen Taschengeldentzug. Viel geredet haben wir danach nicht mehr miteinander.