George Duck
21.07.2004, 19:16
München, Flughafen, 20. Juli 2004. Ich bin sehr müde. 8 Uhr früh. Gate A 19. Noch eine halbe Stunde, bis der Flug nach Berlin startet. Meine Freundin hat sich bei H&M einen Haargummi mit einer künstlichen Rose gekauft, das hört sich kindisch an, aber sie steht ihr sehr gut. Sie lehnt ihren Kopf an meinen rechten Arm, wir sitzen eng, denn viele sitzen hier mit uns. Sie döst, ich kann nicht. Keine Zeitung zur Hand. Noch eine Zigarette. Also aufstehen, wieder raus in die große Halle, in den Raucherbereich.
Neben mir zieht einer nervös an seiner Zigarette, klein, Glatze, dunkler Teint. Ich kann nichts dafür und denke: ein Terrorist? Ich hasse das. Da kommt einer, den ich zu kennen meine. Kurze, dunkle, angegraute Haare, ein grün kariertes Freizeithemd, helle Hose, braune Lederschuhe. Ein Kollege? Er strebt schnellen Schrittes an mir vorbei, ich sehe ihm in die Augen, er an mir vorbei, er kennt mich nicht. Wer ist dieser Mann?
Egal. Zigarette vorbei, wieder zurück, meine Freundin sitzt und liest den Spiegel, sie hatte ihn in der Tasche dabei. Sowas. Ich quetsche mich zu ihr, sie mag es nicht, wenn ich über ihre Schulter blicke und mitlese, ich mache das trotzdem, aber lasse mich nicht erwischen, wenn sie aufblickt, lasse ich meinen Blick über die Menschen schweifen, die noch mit uns fliegen werden.
Da ist er wieder. Jetzt steht er an dem Schalter, der uns von der engen Röhre zum Flugzeug trennt. Es ist Michael Wolffsohn, der umstrittene Militärhistoriker. Den Schalter benützt er als Lesepult für seine FAZ. Schnell blättert er sie durch, bleibt nur kurz hängen, blättert weiter. Michael Wolffsohn. Unter gewissen Umständen, hat er in einer Talkshow gesagt, sei Folter legitim. Dann Entrüstung, Einbestellung beim Verteidigungsminister, Rausschmiss? Nein. Einige Wochen später eine ganze Seite von ihm in der FAZ, Überschrift: J'accuse. Unglaublichen Anfeindungen sieht er sich ausgesetzt, schrieb er da, ein deutscher Jude, der aus der Perspektive eines Juden laut über Folter nachdenkt und dann mit der Vernichtung seiner beruflichen Existenz bedroht wird. J'accuse, ein bisserl übertrieben, habe ich mir gedacht.
Jetzt reisst Michael Wolffsohn eine ganze Seite seiner FAZ heraus, reicht sie einer kleinen rot gefärbten Frau in seinem Alter. Seine Frau? Seine Sekretärin?
Ich könnte ihn jetzt ansprechen. Er hat das alles doch missverstanden, denke ich. Man kann die jüdische Position verstehen und trotzdem Folter unter keinen Umständen befürworten, könnte ich ihm sagen. Schlechte Gelegenheit jetzt. Er plaudert mit seiner Begleiterin. Herr Wolffsohn, man kann auch einen deutsch-jüdischen Professor wegen verbaler Entgleisungen herauswerfen, ohne dass diese Entlassung antisemitisch motiviert wäre, könnte ich ihm sagen. Auch nicht gut jetzt. Unser Flug ist zum Einsteigen bereit.
Sicher sitzt Wolffsohn ganz vorne, ein VIP, und wir sitzen ganz hinten, keine VIPs, also könnte ich ihn auf dem Weg zu unseren Plätzen ansprechen, er sitzt schon, ich gehe an ihm vorbei, ein kurzes Gespräch über ein ernstes politisches Thema, denke ich. Er ist schon drin.
Wolffsohn sitzt schon, als wir einsteigen. Wir haben 19 A und C, er mit Begleitung 21 A und C. Zwei Reihen hinter uns. Keine zwanglose Ansprache möglich. Weiter nach hinten gehen? Ihn ansprechen? Nein.
Meine Freundin schläft den ganzen Flug über, in meinem Kopf rattert es. Herr Wolffsohn, George Duck mein Name, Sie kennen mich nicht, aber ich wollte Ihnen sagen: ich teile Ihre Positionen nicht, aber ich schätze Sie wegen Ihrem Mut zur Kontroverse. Wie wäre denn so das? Nein, es heisst: wegen Ihres Mutes. Vielleicht beim Aussteigen.
Beim Aussteigen geht Wolffsohn mit Begleitung schnell an uns vorüber, hinter ihm drängeln die Leute, nicht gut jetzt. Vielleicht am Gepäckband.
Berlin Tegel, 9.30 Uhr. Wir sind pünktlich. Michael Wolffsohn mit Begleitung strebt schnellen Schrittes dem Ausgang zu, Michael Wolffsohn hat nur Handgepäck. Wir haben einen Koffer. Er ist weg. Nein! Unser Koffer ist schon ausgeladen, ein Zeichen, das ist ein Zeichen. Ich den Koffer, hinterher.
Michael Wolffsohn schnellen Schrittes zum Taxistand. Ich kann ihn noch erwischen, Herr Wolffsohn, die Sache mit der Folter, auf ein Wort, meine Freundin ist irritiert, was hat er denn, sie fällt zurück. Michael Wolffsohn schon beim Taxi. Herr Wolffsohn, J'accuse, das war, ich wollte, Wolffsohn steigt ein, seine Taxifahrerin ist eine junge Türkin mit einem orangefarbenen T-Shirt, das Taxi hat das Kennzeichen B-DZ 5570, Michael Wolffsohn fährt davon. Wolffsohn!
"Bist Du verrückt?", fragt meine Freundin, keuchend, die Rose im Haar steht ihr sehr gut, ganz bezaubernd sieht sie aus.
Neben mir zieht einer nervös an seiner Zigarette, klein, Glatze, dunkler Teint. Ich kann nichts dafür und denke: ein Terrorist? Ich hasse das. Da kommt einer, den ich zu kennen meine. Kurze, dunkle, angegraute Haare, ein grün kariertes Freizeithemd, helle Hose, braune Lederschuhe. Ein Kollege? Er strebt schnellen Schrittes an mir vorbei, ich sehe ihm in die Augen, er an mir vorbei, er kennt mich nicht. Wer ist dieser Mann?
Egal. Zigarette vorbei, wieder zurück, meine Freundin sitzt und liest den Spiegel, sie hatte ihn in der Tasche dabei. Sowas. Ich quetsche mich zu ihr, sie mag es nicht, wenn ich über ihre Schulter blicke und mitlese, ich mache das trotzdem, aber lasse mich nicht erwischen, wenn sie aufblickt, lasse ich meinen Blick über die Menschen schweifen, die noch mit uns fliegen werden.
Da ist er wieder. Jetzt steht er an dem Schalter, der uns von der engen Röhre zum Flugzeug trennt. Es ist Michael Wolffsohn, der umstrittene Militärhistoriker. Den Schalter benützt er als Lesepult für seine FAZ. Schnell blättert er sie durch, bleibt nur kurz hängen, blättert weiter. Michael Wolffsohn. Unter gewissen Umständen, hat er in einer Talkshow gesagt, sei Folter legitim. Dann Entrüstung, Einbestellung beim Verteidigungsminister, Rausschmiss? Nein. Einige Wochen später eine ganze Seite von ihm in der FAZ, Überschrift: J'accuse. Unglaublichen Anfeindungen sieht er sich ausgesetzt, schrieb er da, ein deutscher Jude, der aus der Perspektive eines Juden laut über Folter nachdenkt und dann mit der Vernichtung seiner beruflichen Existenz bedroht wird. J'accuse, ein bisserl übertrieben, habe ich mir gedacht.
Jetzt reisst Michael Wolffsohn eine ganze Seite seiner FAZ heraus, reicht sie einer kleinen rot gefärbten Frau in seinem Alter. Seine Frau? Seine Sekretärin?
Ich könnte ihn jetzt ansprechen. Er hat das alles doch missverstanden, denke ich. Man kann die jüdische Position verstehen und trotzdem Folter unter keinen Umständen befürworten, könnte ich ihm sagen. Schlechte Gelegenheit jetzt. Er plaudert mit seiner Begleiterin. Herr Wolffsohn, man kann auch einen deutsch-jüdischen Professor wegen verbaler Entgleisungen herauswerfen, ohne dass diese Entlassung antisemitisch motiviert wäre, könnte ich ihm sagen. Auch nicht gut jetzt. Unser Flug ist zum Einsteigen bereit.
Sicher sitzt Wolffsohn ganz vorne, ein VIP, und wir sitzen ganz hinten, keine VIPs, also könnte ich ihn auf dem Weg zu unseren Plätzen ansprechen, er sitzt schon, ich gehe an ihm vorbei, ein kurzes Gespräch über ein ernstes politisches Thema, denke ich. Er ist schon drin.
Wolffsohn sitzt schon, als wir einsteigen. Wir haben 19 A und C, er mit Begleitung 21 A und C. Zwei Reihen hinter uns. Keine zwanglose Ansprache möglich. Weiter nach hinten gehen? Ihn ansprechen? Nein.
Meine Freundin schläft den ganzen Flug über, in meinem Kopf rattert es. Herr Wolffsohn, George Duck mein Name, Sie kennen mich nicht, aber ich wollte Ihnen sagen: ich teile Ihre Positionen nicht, aber ich schätze Sie wegen Ihrem Mut zur Kontroverse. Wie wäre denn so das? Nein, es heisst: wegen Ihres Mutes. Vielleicht beim Aussteigen.
Beim Aussteigen geht Wolffsohn mit Begleitung schnell an uns vorüber, hinter ihm drängeln die Leute, nicht gut jetzt. Vielleicht am Gepäckband.
Berlin Tegel, 9.30 Uhr. Wir sind pünktlich. Michael Wolffsohn mit Begleitung strebt schnellen Schrittes dem Ausgang zu, Michael Wolffsohn hat nur Handgepäck. Wir haben einen Koffer. Er ist weg. Nein! Unser Koffer ist schon ausgeladen, ein Zeichen, das ist ein Zeichen. Ich den Koffer, hinterher.
Michael Wolffsohn schnellen Schrittes zum Taxistand. Ich kann ihn noch erwischen, Herr Wolffsohn, die Sache mit der Folter, auf ein Wort, meine Freundin ist irritiert, was hat er denn, sie fällt zurück. Michael Wolffsohn schon beim Taxi. Herr Wolffsohn, J'accuse, das war, ich wollte, Wolffsohn steigt ein, seine Taxifahrerin ist eine junge Türkin mit einem orangefarbenen T-Shirt, das Taxi hat das Kennzeichen B-DZ 5570, Michael Wolffsohn fährt davon. Wolffsohn!
"Bist Du verrückt?", fragt meine Freundin, keuchend, die Rose im Haar steht ihr sehr gut, ganz bezaubernd sieht sie aus.