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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Vogts, Berti



Scylla
11.07.2004, 12:54
Flughafen Amsterdam, Juni 2004 – ich eile zum Flug nach Hannover.
Die letzten sieben Tage waren aufregend, zu aufregend für mein phlegmatisches Gemüt: Konferenz in Glasgow, mein erster Vortrag auf englisch, dabei kann ich gar nichts....die ganzen letzten Wochen habe ich gelitten wie ein angeschossenes Reh, musste im Fernsehen immer umschalten, wenn da jemand zu sehen war, der vorgetragen hat, das war nicht zu ertragen. Gerade ich, die verklemmter ist als jeder, den ich persönlich kenne, muss vor erfahrenen und kritischen Oberschlauen referieren. In den Stunden vor meinem Vortrag habe ich (ernsthaft!) gehofft, einen Unfall zu haben - Lieber 3 Monate im Krankenhaus, als vor 300 Leuten in die Hose zu machen. Das war kein Lampenfieber, dass war pure Panik.
Dabei wollte ich sogar hin, freiwillig, um es ‚mal gemacht zu haben’, ich Idiotin - selber Schuld.
,Nun ja, ich hab’s überstanden, ohne großen Ruhm, aber auch ohne nasse Hose. Ich bin wieder frei, frei von dieser Last und auf in’s sichere Hannover, zurück in mein Bett, Fernbedienung, Lindenstrasse - alles ist wieder schön.
Voll freier, luftiger Gedanken und einem leichten Anflug von Selbstbewusstsein erreiche ich den Warteraum zu meinem Flug. In meinem Gehetze sehe ich ein bekanntes Gesicht. Instinktiv grüße ich, um eine zehntel Sekunde später zu wissen, dass die Bekanntheit nur einseitig ist: Berti, unser Berti Vogts, braun gebrannt, sehr gut gekleidet, genauso klein wie im Fernsehen, steht da so rum und wartet. Auf meinen Gruß reagiert er nicht, nehme ich ihm aber auch nicht krumm. Berti fand ich immer doof. Irgendwie weinerlich, schlechter Verlierer, hat komisch geredet, ich mochte ihn nicht. Ich setze mich auf einen Platz in seiner Nähe und kann in den nächsten 30 Minuten beobachten, wie er da so rumsteht und ein paar Mal von Leuten angesprochen wird, einmal sogar sehr überschwänglich von einem alten Mann im Schottenrock (das stimmt wirklich!). Berti reagiert jedes mal sehr nett, irgendwie bescheiden, ein bisschen unsicher, aber wirklich sehr freundlich. Leider kann ich nicht hören, was gesprochen wird. Aber ich habe ihn auf Anhieb lieb, aus Antipathie wir absolute Sympathie. In den 30 Minuten wächst in mir der Wunsch, ihm was Nettes zu sagen, so was wie: ‚Viel Glück für die EM!’, bevor ich mich aber traue, muss ich los zum Flieger.
Während des Starts fällt mir dann ein, das Schottland gar nicht qualifiziert ist, und ich gratuliere mir selbst zu meiner Schüchternheit.

Benzini
11.07.2004, 14:46
Immerhin. Es kommt eine Hose vor.

Aporie
11.07.2004, 15:17
Mir gefällt an dieser Geschichte die unaufdringliche Beschreibung der eigenen Befindlichkeit, in der der Paparazzte nur Scharnierfunktion zu haben scheint, die Befindlichkeit aber gleichzeitig spiegelt.

Ralf Schlehöfer
11.07.2004, 20:06
Thematisch guter Vergleich deiner Gefühle vor dem Vortrag mit Berti. Jetzt kennst du doch jemanden, der noch verklemmter...

Gruss
Ralf

Klugscheisser
11.07.2004, 21:05
Deutschlehrer, Herr Schlehöfer?

Ralf Schlehöfer
11.07.2004, 21:13
Deutschlehrer, Herr Schlehöfer?

Verdammt, ich bin widerlegt.


Gruss
Ralf Schlehöfer

Herr Genista
11.07.2004, 22:12
Mein lieber Herr Schlehöfer,

Ich frage mich, ob widerlegt hier wirklich das richtige Wort ist. Damit würden Sie ja, Herr Schlehöfer, sagen, dass Ihre obige, wohlabgewogene Aussage über die thematischen Ströme der Vogtsgeschichte, ihr quasi schon literaturwissenschaftlicher Seitenaufriss der tragenden Balken im Gebäude der Narrative, allein schon dadurch falsch würde, dass sie Deutschlehrer wären, dass also mithin keinem Deutschlehrer je eine korrekte Analyse eines Textes geraten könne. Wollten Sie, Herr Schlehöffer, dergleichen denn wirklich sagen?

Wollten Sie nicht vielleicht vielmehr in einem kurzen Ausruf ihrem überraschten Unbehagen darüber Ausdruck verleihen, dass sie nach so kurzer Zeit des Postens bereits in ihrer Profession erkannt jegliches Überraschungsmoment verloren haben, oder, im Falle Sie gar kein Deutschlehrer wären, mit einer äquivalenten, schlau eingenommenen Scheinhaltung den Eindruck vorerst nähren, um ihn später triumphierend und unter Vorlage ihres zum Beispiel Buchhalterscheins wieder zerstören? Herr Schlehäufen?

Oder womöglich wollten Sie, Herr Seehöfer, sagen: "ich bin ertappt", und so, ganz unabhängig von ihrem tatsächlichen Lehrersein, in sarkastischer Weise mit dem Lehrerklischee spielen, den Komplexen, die der Lehrkörper in der Volksmythologie ja mit sich trägt, weil er nicht über die enge Welt der Schule hinausgelangt sei. Spielen womöglich wollten Sie mit diesem Motiv - über dessen Wahrheitsgehalt, wie den aller Klischees, übrigens nicht leicht zu entscheiden ist, - aber die Wortwahl missriet Ihnen.

Oder wollten Sie halt doch sagen, dass ein Deutschlehrer per se und ab ovo immer unrecht habe? Ich will da gar nicht widersprechen, Herr Schlehöfer. Mir kam es nur eine sonderbare Sache vor, in so kurzen Worten so Gewichtiges zu behaupten. Aber nur Sie können, Herr Schlehofer, diesen Irrtum aufklären. Zitieren Sie ruhig mein ganzes Posting, Herr Schlehöffer, um dann in den Ihnen eigenen, prägnanten Worten ihren "Senf" (wie das ja leider heisst) "dazuzugeben". Ich freu mich schon.

Mit freundlichen Grüßen und hochachtungsvoll der Ihre,
Genista, Herr

P.S. Ich hoffe, mit diesem nun einigermassen freien Vortrag mich nicht blamiert zu haben, Herr Schleienofen. Aber andererseits, sehen Sie es mal so, wäre das ja praktisch ein thematisch guter Vergleich mit der Einstiegsgeschichte. Punkt Punkt

Benzini
11.07.2004, 22:33
Schlehöfers Halbwertzeit als neuster Forumsverstrahlter dürfte hiermit abgelaufen sein. Was mir an dem Vortrag nicht gefällt: es kommt keine Hose darin vor.