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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wilson, Brian



Salarimann
28.06.2004, 00:20
Im Juli 1999 war ich in Japan. Meine Freundin hatte sich eben von mir getrennt. Dann hatte sie ein DAAD-Stipendium nach Osaka angenommen. Kaum war sie in Japan, rief sie mich mindestens einmal am Tag an, anfangs immer um die falsche Uhrzeit. Sie fühle sich allein, so der Tenor, und mit der ganzen Distanz zwischen uns wäre sie sich gar nicht mehr sicher, ob sie sich wirklich trennen wolle. "Wie siehst du das?" Ich hatte mich nicht von ihr trennen wollen, was sollte ich sagen? Ich nahm Urlaub und flog nach Japan. Ich war mir nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Ich wollte aber immer schon nach Japan. Hier war ein Anlaß.

Ruth holte mich vom Flughafen ab. Ruth heißt Karin, aber gleich nachdem wir uns kennenlernten bestand sie darauf, dass ich sie Ruth nennen soll. Warum habe ich nicht gefragt, ich hatte nichts dagegen. Der Kansai-Flughafen war mir ein Begriff. Ich habe beruflich mir Architektur zu tun. Von dem Gebäude (Renzo Piano) hatte ich oft schon Fotos gesehen. Er liegt auf einer aufgeschütteten Insel im Meer vor der Stadt und ist so klug gebaut, dass das Erdbeben 1995 keinen Schaden anrichtete. Von dem Bau habe ich nicht viel gesehen. Ich war müde vom langen Flug, um mich rannten Japaner. Ruth lotste mich heraus. Wir nahmen eine Fähre zu einer anderen Insel - jetzt sah ich den Bau - dann einen Bus. Ruth hatte mich in einer Art Studentenwohnheim untergebracht. Bei ihr ging es nicht, sagte sie, es sei gegen die guten Sitten und auch zu klein. Dafür ganz bei ihr in der Nähe. Sie schob mich in ein Miniappartment, dann musste sie los, unterrichten. Ich schlief sofort ein. Als ich aufwachte war es dunkel. Ich schaltete den Fernseher ein. Mir fiel ein, dass ich vergessen hatte mein Notizbuch mit Ruths Nummer einzustecken. Ich blätterte durch ein englisches Magazin das herumlag. Da sah ich: Morgen würde Brian Wilson in Osaka spielen.

Ich liebe die Beach Boys seit ich zehn bin. 1975 kam ich ins Gymnasium und wurde neben R.P. gesetzt. R.P. war das, was man heute einen Nerd nennt. Dicke Brille, feuchte Hände, Elektrobastler und Petrifaktensammler. Ich wollte nicht neben ihm sitzen. (Ich kürze den Namen ab. Ich habe ihn eben gegooglet. Er ist KFZ-Schlosser und Mitglied im REP-Ortsverein in meiner alten Heimat). Dann begann er, mir Kassetten aufzunehmen. Die Kassetten klaute er im Elektroladen in seinem Vorort, meist Volksmusik und Schlager. Er klebte Tesa über die Schlitze und überspielte die Kassetten. Eine der ersten Kassetten war eine Sammlung von Beach Boys-Liedern. Das hörte damals kein Mensch. Ich habe keine Ahnung, woher er das hatte, wahrscheinlich von seinen Eltern. Seitdem liebte ich die Beach Boys. In den Jahren seither habe ich mir erst alle LPs, dann alle CDs usw. gekauft. Die Beach Boys hatte ich aber nur einmal live gesehen, 1991 in Dinkelsbühl. Ich war enttäuscht. Brian Wilson war nicht dabei gewesen. Danach mochte ich nicht mehr.

Und jetzt Brian Wilson in Osaka. Ich schlief trotzdem gleich wieder ein. Ich erwachte, da war es hell. Mir fiel auf, dass es in dem Minizimmer kein Telefon gab. Ruth hatte sich nicht gemeldet. Ich wußte nur, dass ich irgendwo in Osaka, Japan war und das heute Abend Brian Wilson hier spielte. Ich schaute im englischen Heft nach, da stand "Osaka Festival Hall" (es war der 9.Juli, ich habe eben das Ticket herausgesucht).

Ich duschte, zog mich um und verließ das Gebäude. Ich wusste nicht mal die Uhrzeit. Ich hatte vergessen, meine Uhr umzustellen. Auf der Straße sah ich eine Uhr, es war Nachmittag. Ich lief in die Richtung, in der ich die Innenstadt vermutete. Ich fand sogar einen Geldautomaten, der meine Karte mochte und hatte Yen. In einer Suppenstube fragte ich nach "Osaka Festival Hall"? und bekam freundliches Nicken und eine Suppe, die gut schmeckte. Ich wollte nicht noch eine Suppe und schrieb also "Osaka Festival Hall?" auf einen Zettel und zeigte ihn der Frau hinter der Theke. Sie lächelte und zeigte nach hinten. Ich folgte ihrem Finger. Dort saß noch eine Langnase (oder sagen das die Chinesen?). Ich ging zu ihm hin. Bevor ich ihn ansprechen konnte sprang er eckig von seinem Stuhl. Er war groß, er sah schräg nach unten an mir vorbei. Er sagte: "Do you speak Japanese?" Ich sagte "No, I don't" oder etwas in der Art. Er setzte sich wieder und sagte in irgendeine Richtung: "Well, everybody else does. Funny." Ich fragte ihn nach der Osaka Festival Hall. Jetzt sah er mich fast an und sagte, er müsse auch dort hin. In diesem Moment erkannte ich ihn. Ein jugendliches Gesicht in einem alten Drumherum, alt und linkisch: Brian Wilson. Er zog einen Pager aus seiner Jacke die überm Stuhl hing und sagte: "I have to press a button. Then somebody will pick me up." Er drückte einen Knopf und verstaute den Pager.

Mir fiel nichts ein. "You are Brian Wilson!" Das wäre peinlich gewesen. Also: "I would like to see your concert, sir." (Woher kam das "Sir"?) Stimmte aber. "I'm a great fan of yours from Germany." Er nickte. "We'll get the limo and see." Ein Mann in dunklem Anzug kam herein und sagte: "Mr. Wilson, sir?" Brian Wilson nickte mir zu und wir gingen hinaus. Wir stiegen in eine Limousine. Ich saß neben Brian Wilson. Er sagte nichts. Ich sagte: "I've just arrived from Germany and I'm totally lost. And I saw about your concert. I'm a great fan. I've never seen you on stage, and I would really appreciate it." ('really appreciate it'? - woher kam dieses Englisch auf einmal?). Er nickte nach vorne. "Bob will see to that. Bob?" Und von vorne wurde mir ein Ticket gereicht. Dann waren wir bei der Festival Hall. Wir stiegen aus. Brian Wilson sah mich zum zweiten mal fast an. Er sagte: "See you tonight." Ich hielt mich an dem Ticket fest. "I am so thankful. Thank you so very much." Oder etwas in der Art. Er hatte sich schon weggedreht. Aufrecht und steif ging er auf das Gebäude zu, ein Bein schleppte er nach.

Ich wartete die Stunden bis das Konzert begann vor der Festival Hall. Ich hätte mich nicht weggewagt. Das Konzert war großartig. Als Zugabe sang Brian Wilson u.a. "Caroline No" - mein Lieblingslied. Ich habe alle Zugaben hindurch geweint, vielleicht auch schon davor. Mit Karin ist es nichts mehr geworden.

DREA
28.06.2004, 00:55
Warmes Willkommen, einstweilen.

Angelika Maisch
28.06.2004, 01:16
zum zweiten Mal heut die Erinnerung an diesen Film "Erleuchtung garantiert"
"jetzt singen sie gerade das Han Nya Shin Gyo" dachte ich abermals und da hing von irgendwoher ein Mikro ins Leben.
Daher:
Nice to see you, Salariman.
Erstmal, also.

Ruebenkraut
28.06.2004, 06:46
Vor einem vermutlich sehr anstrengenden Tag: Tolle Geschichte.

Ich mochte (neben allem anderen) dies so nebenbei Gesagte: "Ich kürze den Namen ab. Ich habe ihn eben gegooglet. Er ist KFZ-Schlosser und Mitglied im REP-Ortsverein in meiner alten Heimat"

christoph
28.06.2004, 08:54
Ich mußte über die Suppe lachen. Sehr coole Geschichte.

Aporie
28.06.2004, 09:16
Hatte sofort einen "Lost in Translation"-Kick, der die ganze Lektüre über ungestört anhielt. Auch sprachlich gut und unprätentiös dosiert.

mueller-gucci
28.06.2004, 10:06
wieviel einwohner hat tokyo? acht, neun? ach ja osaka. egal. da kriegt der kollege irgendwo ne suppe statt einer auskunft, hat keine ahnung, wo er sich befindet, und neben ihm sitzt auch noch dieser wilson!?! wahnsinn. schön geschrieben ist es auch.

George Duck
28.06.2004, 10:29
Ich mochte die Beach Boys nie. Aber Salarimann mag ich. Vielen Dank für diese schöne Geschichte. Gerne hätte ich mehr über Karin/Ruth erfahren.

Goodwill
28.06.2004, 11:26
Angenehm melancholische Geschichte. Klingt so, als würden Weiße in Japan zusammenhalten.

Uzzi Engel-Ich
28.06.2004, 12:12
sehr schön, sehr klar, fast japanisch. mehr, bitte, salariman! z.b. über architektur?

klesk
28.06.2004, 12:17
sehr schön, wenn auch leicht dillig im abgang.

Effe Oberg
28.06.2004, 15:12
Auch ich hätte gern eine Erklärung für das merkwürdige Verhalten der Frau Karin, die sich in plötzlich Ruth nannte - zumindest einen Erklärungsansatz oder eine Mutmaßung.

Sopran
28.06.2004, 15:17
Ach nein, Enthaltsamkeit in Liebesdingen bekommt der Geschichte wunderbar.

Das Gefühl von Jetlag, Zeitverlust, Sprachlosigkeit, Fremdheit ist genau getroffen.

honz
30.06.2004, 16:07
Wenn ich eine Geschichte faken würde, würde ich dafür sorgen, daß das Datum, was so vordergründig nach "Ist alles echt!" schreit, nicht allzuzleicht zu googeln (http://members.tripod.com/~fun_fun_fun/7-9-99.html) wäre, denn ich würde davon ausgehen, daß die intelligenteren und klügeren der Leser dann erst recht mißtrauisch werden.

Ansonsten, routiniert geschrieben, aber willkommen bei Stille Tage in Klischee, Brian Wilson, Nudelsuppen und Jet Lag, auch wenn mir die Jet Lag Passage sehr gut gefallen hat.

Edding Kaiser
30.06.2004, 16:19
Was honz sagt, aber noch um die Dinkelsbühl-Nummer erweitert. Wenn man die googlet, dann landet man wenig überraschenderweise als erstes auf der Seite, die auch honz verlinkt hat.
Irgendwie nicht egal.

duden
30.06.2004, 16:55
Das verstehe ich nicht. Wird die Geschichte mehr oder weniger fakedächtig, weil sie in die Wirklichkeit verlinkt ist?

Edding Kaiser
30.06.2004, 18:53
Sie ist fadenscheinig.

PeterLu
30.06.2004, 22:21
Diese lakonische Geschichte lässt auf eine Nordpappe schliessen. Hamburg oder so? "Erleuchtung garantiert" ist mir auch sofort eingefallen, minus der Dörrieschen Geschwätzigkeit und so.

Salarimann
06.07.2004, 17:49
Die Konzerte der Beach Boys kann man alle googeln. Sind die Personen berühmt, kann man ziemlich alles über sie googeln, oder?

Über Karin / Ruth möchte ich nicht schreiben. Sie war daran Schuld, daß ich nach Osaka kam und daß ich Brian Wilson traf. Was sonst war ist unwichtig.

Alberto Balsam
06.07.2004, 18:00
Hat schon irgendwer die neue Brian Wilson CD gehört? Ich trau mich nicht, sie zu hören, ich fürchte, dass die ganz ganz schlimm ist, wegen Eric Clapton, Paul McCartney, Elton John, die da mitmachen. Die letzte, die die er mit Van Dyke Parks gemacht hat war ja so unfassbar schön, die neue KANN nur schauderhaft sein

Herr Genista
06.07.2004, 19:12
Meine Güte, was für ein Jurysermon, sehr schön geschrieben, sehr klar, coole Geschichte, unprätetiös, angenehm melancholisch, genau getroffene Gefühle, hat Salamimann jetzt den Sparkassenpreis des Paparazziforums gewonnen?

In Alaska gibt es Geldautomaten, die ihrem Benutzer die schöne Sprache Hmoob anbieten, wenn man den entsprechenden Knopf drückt fühlt man sich in einer sonderbaren Parallelwelt, das sollte es überall geben, Knöpfe, mit denen man an der Vetrautheit seiner Umwelt schrauben kann. Die Leute würden viel weniger verreisen und die fossilen Brennstoffe könnten fürs Heizen verwendet werden oder für Ölteppiche.

I AM WEASEL
14.07.2004, 17:28
Famose Geschichte. Werde auf jeden Fall versuchen, mich Anfang August in allen Bonner Suppenrestaurants gleichzeitig herumzutreiben, um so ebenfalls von der Großzügigkeit des Herrn Wilson zu profitieren.

Noch eine kleine Anmerkung, da es meinen Japanologenaugen gar zu sehr schmerzt. Den Buchstaben L gibt es in keiner der mir bekannten Umschriften des Japanischen. Korrekt ist in diesem Fall: Sarariman - das R wird allerdings - wie in Stammtischwitzen üblich - wie ein L ausgesprochen. Bitte um Änderung.