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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Buchholz, Horst (Eine ganz und gar nicht glorreiche Begegnung)



Blutpudding
16.06.2004, 21:32
Lange habe ich die Begegnung nicht öffentlich gemacht, und dafür hatte ich wirklich gute Gründe. Aber nun ist ja alles verjährt: Horst Buchholz ist seit März 2003 tot. Und wenn ich es mir genau überlege, traf ich ihn wohl bei einer seiner letzten ICE-Fahrten.

Es war im Dezember 2002 zwischen Berlin und Hamburg – natürlich, wo sonst. Ich schlürfte gerade teuren ICE-Kaffee im "Bordrestaurant" zwischen erster und zweiter Klasse, da kam er: Hotte Buchholz höchstpersönlich, der kleine große Deutsche in Hollywood, der Maestro, bekannt in jeder Kinogeneration. Er trug einen grauen Dreireiher und war auch sonst – wie jeder echte Filmfreund weiß – schon in Würde ergraut und etwas klapprig geworden. An Bord unseres ICE schlingerte er deshalb eher wie ein altes Väterchen, als sich der Zug in Kurve um Kurve neigte. Aber er schlingerte sehr würdevoll, eben wie ein großer Hollywoodstar.

Die blau-rot uniformierte, etwas dickliche Mitropa-Bedienung erinnerte an einen Gepäckträger als an eine Kellnerin und benahm sich wie die persönliche Stewardess der VIPs: Sie schlingerte sofort auf Hotte zu: "Herr Buchholz, Sie können von Ihrem Platz aus bestellen!" Hotte schüttelte hastig den Kopf: "Ja, aber ich würd' gern eine rauchen. Kann ich hier eine rauchen?" Er zeigte Richtung Tresen, neben dem ja in jedem ICE immer die gleichen Stehtischchen angeschraubt sind, an denen meistens Raucher stehen wie angeschraubt. "Aber Sie können doch an Ihrem Platz rauchen", rief die Gepäckstewardess. "Ich weiß, ich weiß, aber ich wollt mir mal die Beine vertreten", sagte Buchholz, schlingerte an meinem Tisch vorbei zum Rauchertischchen und damit aus meinem Blickfeld.

Am Tisch neben mir hatte ein mittelalter, blondgelockter ICE-Fahrgast die ganze Zeit im kostenlosen ICE-Magazin gelesen. Ich hatte mich immer gefragt, wer sich in diesen Heften tatsächlich einen Text durchliest. So sehen die Leser also aus – ein bisschen wie eine Mischung aus Sozialpädagoge und Berufsschullehrer. Er war inzwischen auch auf den älteren Herren aufmerksam geworden, der im Stehen rauchen wollte. Das Gespräch mit der Bedienung hatte der Pädagoge offenbar nicht mitbekommen, aber nun konnte er Hotte beim Rauchen beobachten und ich sah, wie es in seinem Lehrerhirn arbeitete.

Nun hieß es, sich anzustrengen: Wie konnte man cool und doch wissend und angemessen huldigend reagieren, wenn Hotte wieder zwischen unseren Tischen hindurchschlingerte? Mir fiel natürlich zuerst "Die Glorreichen Sieben" ein: Der Westernklassiker, mit dem Buchholz als "Chico" in Hollywood einschlug – natürlich, was sonst. Ein Knaller: "Ah, das war der beste Schuss, den ich je gesehen habe", werde ich rufen, wenn Hotte mir gegenübersteht. Und er wird antworten: "Pah! Der schlechteste! Ich habe auf das Pferd gezielt!" Herrlich! Ein Knaller!

Aber Moment: So war es ja gar nicht: Chico sagt doch die erste Zeile... Nein, dann geht es natürlich nicht... Und überhaupt: Ob es Hotte wirklich witzig findet, wenn man ihm in einem ICE Ende 2002 immer noch mit einem Film von 1960 ankommt... Wo er doch in den letzten Jahren so viel Anspruchsvolles gemacht hatte! Ich wette, der Berufsschulpädagoge am Nebentisch hat schon einen Superspruch auf Lager! So wie er grinst! Mist! Er wird mich ausstechen! Belesener Affe – ich hatte mich schon immer gefragt, wie diese superschlauen Cineasten aussehen, die stets das passende Filmzitat parat haben!

Dann kam mir der rettende Gedanke. Ich hörte Hotte schon die Kippe ausdrücken und der dicken Stewardess eine heisere Verabschiedung zuraunen. Mir fiel "Das Leben ist schön" ein. Hah, ein Benigni – darauf ist sicher auch der Buchholzexperte neben mir nicht gekommen! Da spielt Hotte doch diesen Arzt mit Rätselleidenschaft. Genau: Ich werde ihm die Lösung des Rätsels entgegenzischeln, mit dem sich der "Guido" im KZ zu erkennen gibt... Ach, na eben: Das Ganze spielt ja im KZ! Mist, das ist natürlich gefährlich. Kann man ja ganz schnell missverstehen, gerade hier im ICE zwischen Berlin und Hamburg. Gerade mit so einem politisch korrekten Oberlehrer am Nachbartisch.

Verflixt! Da kommt Hotte schon zurück, hält sich an den Sitzen fest. Mein Nachbar strafft seinen Rücken, hebt den Kopf, Hotte schlingert ins Bordrestaurant-Abteil, steht vor uns – und ehe ich was sagen kann, öffnet mein Konkurrent den Mund – und – sagt: ----- "Herr Buchholz, nä?"

Wie bitte? Herr Buchholz? Nä? Was soll er denn dazu schon sagen?! Genau: Hotte nickt schüchtern, murmelt ein "Hm-hmm", grinst kurz verlegen und – ist schon an uns vorbeigeschlingert. Wenn man im Lexikon unter "Verpasste Gelegenheit" nachschlägt, ist da sicher ein Foto von dieser ICE-Szene drin.

Ich nahm mir damals fest vor, bei meinem nächsten Treffen mit Horst Buchholz schneller zu ziehen. Heute wissen wir, dass es dazu nicht mehr kam. Erst jetzt kann ich darüber sprechen, und bis heute konnte ich vor Scham keinen Kaffee mehr im ICE-Bordrestaurant trinken. Und nie – niemals! – werde ich dieses kostenlose ICE-Magazin anrühren. Man sieht ja, wozu das führt.

Gemeinplatzwart
16.06.2004, 22:18
Siebenmal schlingern, fünfmal natürlich. Ich räum das nicht weg, das sag ich Ihnen. Ich nicht.

grummelnd ab

Gedächtniskirche
16.06.2004, 23:31
Ich jonglierte ein Tablett mit Geschirr über meinem Kopf, mein rechter Arm bahnte den Weg durch die Gästemasse und verfing sich zwischen Mantel und Körper eines Mannes, der mir entgegen kam. Aber so richtig, ich musste kurz stehen bleiben und mich wieder sammeln. Schaute auf und sah Horst Buchholz vor mir stehen, 1,2,3 leuchtete es wie ein Leuchtturm in der Nacht und ich lächelte ihn an. „Darf ich ihre Toilette benutzen?“ fragte er, Klar, sagte ich und wies mit mit meinem inzwischen wieder freien Arm den Weg nach hinten, rechts, die Treppe hoch und dann nochmal rechts und dann geradeaus bis zum Ende.
Er bedankte sich wortlos mit einem Kopfnicken und ging den Weg, auf der Treppe drehte er sich nochmal um und lächelte mir zu, wahrscheinlich hatte mein sentimental-sehnsüchtiger Blick seinen camelfarbenen Kashmirmantel im Rücken kribbeln lassen

Cafe Tabac, Schillerstraße Ecke Wilmersdorfer, 1995

Herr Jakob
18.06.2004, 11:04
Der Mann war eben zu Lebzeiten schon im Nirwana. Ein anthropmorhes Textbuch bei dem die Seiten durcheinandergekommen sind, aber schön in Leder und Cashmere gebunden.

Klingeltonk
18.06.2004, 11:50
Ich habe (aufgepaßt, Jeremy!) vor einigen Monaten das Buchholzsche Grab paparazziert. Es liegt an einem Abhang, dort muß man einen Seitengang einschlagen, abbiegen, und dort, in Bauchhöhe zum Betrachter, befindet sich dann das Grab unter einem ausgedehnten Busch, der die ganze Stelle überwölbt. Es stak ein Holzstück im Boden, daran eine Klarsichfolie, darunter ein ausgerissener Zettel, darauf mit Schreibmaschine „Horst Buchholz“.
(Rekordverdächtig in der Kategorie „Lieblose Gräber“ sind zwei Kindergräber auf dem Frohnauer Friedhof: jeweils zwei Brettstücke von einer Apfelsinenkiste (o.ä.), beschriftet mit blauem Filzstift. Einmal hat er oder sie sich beim Namen verschrieben, durchgestrichen, nochmal daneben hingeschrieben.)

Uzzi Engel-Ich
19.06.2004, 10:21
ja, in der vorweihnachtszeit 2002 ist horst buchholz in ebendiesem mantel über den wiener graben gegangen. hände in den taschen, schultern hochgezogen und grau vor kälte und auch vielleicht schüchternem verdruß im gesicht. die haare standen zu berge, grauweißschwarz. aber das war die frisur. ich war angerührt, wie klein und zart und verweht er wirkte.

Benzini
19.06.2004, 12:20
Wenigstens ist Buchholz Dank dem Oberlehrer diese schreckliche Kumpelhaftigkeit erspart geblieben.

godot
22.06.2004, 14:26
juchu, danke blutpudding!
juchu, ich habe dann wohl auch horst buchholz mal getroffen, also auch mal gesehen,
auch im ICE und auch im bistro eine rauchend. das war wahrscheinlich auch 2002, aber im ICE von frankfurt nach berlin (oder vielleicht auch im ICE von berlin nach frankfurt).
bis heute dachte ich immer, dass das damals nicht wirklich horst buchholz war.
denn wieso sollte der weltberühmte hollywoodschauspieler im ICE bistro stehen? und der echte horst buchholz müsste auch größer sein und älter und nicht so klapprig und nichtraucher, dachte ich.
aber juchu, das war damals wohl doch der echte. hätte ich das damals schon gewusst, hätte ich mir mehr mühe gegeben ihn nicht so anzustarren.

Falkenhayn
11.08.2006, 16:30
wir hatten Abschlussvorstellung an einer privaten, berliner Schauspielschule, also am Semesterende zeigt man brav, was man alles gelernt hat. Wir hatten einen unkonventionellen Russen als Lehrer und zum Abschluß des Stückes galt es für zwei Charaktere des Stückes die Bühne, aber auch die Schule überhaupt zu verlassen, um leiser werdend, das Ende eines traurigen Liedes alternierend aufzunehmen. Dort rief die Stimme eines kleinen Jungen immer wieder "Hey!" so als wollte er winkend kleiner werdend seine Existenz bekräftigen und wir sollten für die Zuschauer das Lied sozusagen in die Wirklichkeit tragen. Wir also von der Bühne, ins Treppenhaus, immer feste "Hey! - Hey!", getragen auch von der Euphorie ein so tolles Stück zuende gebracht zu haben, hinaus in den Hof, und prallten fast in Horst Buchholz, der dort nonchalant rauchend in einem weißen Pelzmantel stand. Jetzt kamen wir ja von der Bühne, unsere Kleidung aber kann man mit etwas gutem Willen noch als zivil durchgehenlassen, und, ich meine, wenn einer von uns dreien kostümiert war, dann doch wohl der Herr im weißen Pelzmantel. Sei's drum, für ihn muß es so ausgesehen haben, als wenn zwei Jungens aufgekratzt und verschwitzt aus einem Treppenaufgang stürzen und alle paar Sekunden "Hey!" brüllen. Und was macht er? Tut noch einen Zug, wirft die Zigarette weg und verschwindet in einem Eingang.