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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Harald Juhnke



Herr Jakob
03.06.2004, 20:46
Der Tag, an dem ich Harald Juhnke begegnen sollte war diesig. Einer jener milden Tage in November, die nicht recht erwachen wollen, eine kurze Zeit lang trübe im Halbschatten vor sich hindämmern, um wieder, ohne rechten Übergang, in Dämmerung und Dunkelheit zu verschwinden.
Ich beschloss ins Kino zu gehen. Ich wählte das Streits Kino am Jungfernstieg. Man brachte „Greystroke“ mit Christopher Lambert. Auch das passte. Eine rührende britische Geschichte, die auf das nobelste britisches Bürgertum mit der Idee des aufrechten, reinen, damit auch tiefen Wilden in Verbindung brachte und quasi mit einander aussöhnte. Alles war bis zum Exzess gut. Die Lords, das Schloss auf dem Lande, der die bürgerliche Ettikette verachtende Wilde Lambert, der Earl, sein Großvater, der es ihm nachtat gemäß uralter Gesetze britischer Exzentrik und zu grunzen anfing und aß ohne Messer und Gabel. Schließlich die britische Lady, schön, doch nicht zu schön, vielmehr auch intelligent und nachdenklich, die in ihrer britischen Formvollendung die menschliche Größe Lamberts wie mit dem Brennglas auf sich einwirken fühlte. Schöne, beinahe wunderschön aber, dass sie sich doch nicht kriegen, dass er, der Wilde, wieder in die das endlose Grün der Regenwälder eintaucht und sie, die Schöne, am Rande stehend in perfekter Ausstattung einer adligen Gräfin in den Tropen ihm sehnsüchtig nach- und verschwinden sieht. Die Musik, ich habe sie vergessen, muss endlos melancholisch gewesen sein.
Harald Juhnke saß eine Reihe hinter mir. Ich hatte ihn nicht zuerst recht erkannt. Eigentlich war mir nur sein Mantel ein dunkelblauer Cashmeremantel, leicht tailliert, der ihm ungemein gut stand, aufgefallen. In fast jugendlichem Enthusiasmus sagte ich mir, dass ich noch nie einen so gut sitzenden Herrenmantel gesehen hätte. Erkannt habe ich ihn erst, als wir uns am Ausgang der Reihen in Gesicht sahen. Sein Blick war sehr müde, machte aber dennoch deutlich, dass er nun wüsste, dass ich ihn erkannt hätte. Was es war, konnte ich gar nicht sagen. Es gab kein Zucken oder etwas ähnliches, nur das reglose Gesicht mit den großen Juhnke-Augen. Wie ein Durchlassen, ein Hindurchgehen. Vielleicht war etwas wie ein wortloses Staunen darin, wie bei einem Tier, das einem beim Schlachter in einem letzten Moment groß und staunend anschaut.
Er ging ziemlich aufrecht, fast wie ein Mann, der, vielleicht innerlich gebrochen, Countenance bewahren möchte und, Noblesse. Vielleicht hatte er sich durch den Film inspirieren lassen. Ich habe keine Ahnung. Herrn Juhnke habe ich dort das erste und einzige Mal gesehen. Ganz allein überquerte er den Jungfernstieg, blieb eine kurze Weile nachdenklich vor einer Telefonzelle stehen, schien den Kopf zu schütteln und schritt, ich möchte es beinahe fragil nennen, denn er war nicht schnell und sein Oberkörper schien ganz leicht zu zittern, auf das vom Regen und der erneuten Dämmerung wieder trübe gewordene Weiß des Hotels Vier Jahreszeiten zu.
Ich wünschte mir, er würde im Clubraum, der sich gleich links von der Empfangshalle befand und auch für Externe zugänglich war, einen Tee nehmen., vielleicht einen Tee mit Rum, aber immherin einen Tee.
Ich ließ ihn alleine dort, erst eine Woche später, ebenfalls an einem Sonntag, kehrte ich nach einer Rilke Matinee mit Will Quadflieg im Thaliatheater dort ein. Den Kopf voller „Dichterworte“ hielt ich Ausschau nach ihm, doch er war nicht da. Ich trank einen Tee für 8,60 und verzog mich wieder.
Ein Freund erzählte mir einige Zeit später, dass die Produktion in den Kammerspielen, ich glaube, es war „Mein Freund Harvey“, bereits seit einigen Tagen abgesagt war. Herr Juhnke war abgereist, war betrunken zu Vorstellungsbeginn erschienen und hatte die Produktion nicht mehr fortführen können.

slowtiger
03.06.2004, 21:50
Hm. Zwiespältig. Schöne lakonische Begebenheit, auch gut beobachtet. Aber dann! Nein, schön geschrieben nenne ich anders. Aber das läßt sich alles noch üben.

ingwer
03.06.2004, 22:36
willkommen, herr jakob, sag ich.

vir
03.06.2004, 22:38
Eine wunderbare Geschicht bzw. ganz grosses Kino! Aber tatsächlich hat slowtier nicht völlig unrecht, vielleicht hätte man nach 'Tee' aufhören können.

Ruebenkraut
03.06.2004, 23:01
Ich rätselte gerade, wie dieser Vergleich mit dem "Tier, das einem beim Schlachter in einem letzten Moment groß und staunend anschaut" zustande kommt. Wenn ich zum Schlachter geh, sind da immer recht wenig Tiere, die mich im letzten Moment anschauen, ehrlich gesagt, eher gar keine. Ist Herr Jakob vielleicht selbst Schlachter? Oder zumindest Schlachter-Voyeur?
Ansonsten dito.

yellowshark
04.06.2004, 13:28
Beinahe hätte ich gefragt, was passiert wäre, wenn Sie Juhnkes Erscheinung tatsächlich "fragil" genannt hätten, als er ganz allein die Straße überquerte und gen Hotel zitterte.

Herr Jakob
04.06.2004, 20:22
habe ich ja und du hasts nicht bemerkt. dösbaddel!

Herr Genista
04.06.2004, 20:40
Nun werden Sie mal nicht ausfallend, Freundchen Ochse*. Soweit ich sehe, steht da oben bei Ihnen leider "ich möchte es beinahe fragil nennen". Da möchte man Sie beinahe schwer von Begriff nennen. Ach, ich werfe einfach mal alle Vorsicht über Bord und tu es. Platsch!

*vgl. Jupiter

Herr Jakob
04.06.2004, 20:47
Ich möchte ja nicht kleinlich sein, aber ich bin gar nicht nass geworden! Für den Ausfall entschuldige ich mich, war nur nett gemeint.

Ruebenkraut
04.06.2004, 23:32
und was ist mit den tieren? die wollen auch entschuldigt sein.

Herr Jakob
05.06.2004, 06:58
das (!) ....(kleine Pause, abfallende Tonhöhe)...muss ich mir noch überlegen!

Lenin
10.06.2004, 13:07
Für einen Tee oder ein Stück Kuchen an der Alster empfehle ich aufs wärmste besagten "Clubraum" im Hotel Vier Jahreszeiten, links vom Foyer. Da gehe ich das nächste Mal wieder hin, wenn ich in Hamburg bin.

Schön geschriebene Geschichte, am Wasser spielend, alte Gemäuer, November, alte Herren, englische Lords. Herr Jakob, danke.