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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Alla Pugatschowa



Claus E.
31.05.2004, 09:07
Da mir der Besuch meiner erst 16-jährigen und vor Lebenslust fast platzenden Nichte vom Lande ins Haus stand, konsultierte ich meine mütterliche, ukrainische Freundin Mascha, womit ich das junge Ding während seines Berlin-Aufenthalts für mich einnehmen könnte. Die verschwand in ihrem Denkzimmer und als sie drei Tage später wieder herauskam, verkündete sie mir, dass ich Tickets für das Konzert der Alla Pugatschowa am 30. Mai zu erstehen hätte - für die Nichte, für mich und für sie. Dass leuchtete mir ein, denn Alla P. ist ein mir lange bekanntes Faszinosum Russlands. Frau Pugatschowa hat in den 70ger Jahren das Ost-Pendant zum Grand Prix de la Chanson gewonnen und seither in der ehemaligen Sowjetunion und umzu über 200 Millionen Tonträger verkauft. Vor 20 Jahren stand ich blutjung in Moskau und wusste nichts mit mir anzufangen, da rieten mir die Russen, ich möge eine LP von Alla P. erwerben, denn die sei in den Weiten Russlands noch beliebter als Wodka. Ich tat wie mir geheißen, aber die Musik mochte mein damals zu Abba und Michael Jackson schwingendes Knabenherz nicht vom Hocker reißen.

Egal, die Nichte, die mütterliche Freundin aus der Bukowina und ich drängelten uns jedenfalls in die Berliner Skandalarena Tempodrom. Die komplette russische Gemeinde Berlins war auch schon da. Von drei bis 80 waren sie in ihren schrillen Ausgehkleidern gekommen und mit für Westeuropa gewöhnungsbedürftigem Make-up. Das nimmt nicht Wunder, denn Alla Pugatschowa ist seit nunmehr 30 Jahren ein Superstar und in ihren Liedern schwingt die Schwermut Russlands gepaart mit der Möglichkeit zum Schunkeln. Mit mittlerweile 55 Jahren hätte sie in Russland eigentlich Anspruch auf Rente, worauf sie verzichtet. Man munkelt, sie sei eine der reichsten Frauen des finsteren Riesenreichs.

Die Diva betritt die Bühne. Ich verspüre eine Aura kultivierter Zickigkeit. Frau Pugatschowa steht zu ihren Defiziten. Ihre Beine, die richtige Stampfer sind, ragen aus einer Art Minikleid heraus. Obenrum verhüllen wehende Schleier ihre Leibesfülle. Die Russen taumeln vor Glück, denn Madame hat Charisma. Beim dritten Lied steigt die Diva das kleine Treppchen vor der Bühne herab und begibt sich ins Parkett. Vorweg ein komischerweise ständig geduckt gehender Schrank von Leibwächter. Vermutlich duldet Alla niemanden, der den Blick auf den Miottelpunkt verstellt. Nach dem geduckten Bodyguard schweben die Gewänder der Diva durchs Publikum. Hinter ihr folgt eine junge Frau mit einer langen weißen Schürze. In dieser Dreierformation durchstreift sie mehrere Lieder lang die Arena. Dabei werden ihr ständig Blumensträuße gereicht, die sie ohne die geringste mimische Veränderung, geschweige denn ein persönliches Wort an den Adoranten, sofort an das weißgewandete Blumenmädchen weitergibt. Immer wenn ihr Arm voller Blumensträuße ist, wird sie von einem anderen gleichermaßen weißen Mädchen abgelöst. Auf der Bühne stapeln sich die dort von den Mädels abgelegten Sträuße. Anfassen oder Küssen verbittet sich der Superstar. Wer es versucht, wird barsch zurückgestoßen. Sie kommt sogar zu uns auf den billigsten Plätzen für € 30 im Oberrang 5. Im Parkett kosten die Tickets € 180,-. Meine Begleiterinnen befehlen mir, ich möge mich in die Menschentraube um den Star stürzen, um ein Foto aus nächster Nähe zu machen. So kommt es, dass ich in die unmittelbare Aura gelange, in der mir kalt ist. Sie schreitet direkt an mir vorbei, ich verspüre ihren Fahrtwind, die Zipfel ihres Kleides umwehen mich für einen kurzen Moment in der Zeit. Ihr Gesichtsausdruck ist kalt und konzentriert. Diese Frau hat keinen Spaß, sie arbeitet.

Das Foto, das dabei entstand, zeigt ein halbes Gesicht und ein wenig ihrer ausladenden Haarpracht am oberen Bildrand inmitten verzückter Jünger.

Nach knapp zwei Stunden lässt sich die Diva in einer Standing Ovation verabschieden. Meine Freundin übersetzt uns, dass Frau Pugatschowa ihrem Publikum glasklar mitgeteilt hat, dass es nach dem nächsten Lied nach Hause zu gehen habe. Prompt geht zum letzten Takt das Licht im Saal an und die wehenden Zipfel verschwinden hinter der Bühne.

Wir vermuten, dass man nach 30 Jahren und 200 Millionen Tonträgern auch gar nicht mehr anders kann.

Spaciba, Alla, danke, dass es dich gibt!

camilla
31.05.2004, 11:27
kataleptisch!

Aporie
31.05.2004, 14:21
enigmatisch!

Für den, der noch nie etwas von ihr gehört hat.
Aber man ahnt, dass es sich lohnen würde.

camilla
31.05.2004, 15:09
vor jahren: glasnost dräute, perestroika drohte, frau pugatschowa bekam freigang und schaffte es in die teleillustrierte (oder gar noch drehscheibe?) beim zett-de-eff. angekündigt als die sowjetische discoqueen. einmal gesehen, nie wieder vergessen.

Claus E.
02.06.2004, 16:37
Sie hat auch mal ein Duett mit Udo Lindenberg gesungen, an das ich mich aber gar nicht erinnere. Im Gedächtnis blieb jedoch ihr Outfit dabei. Sie zwängte ihre Rollen in eine wirklich sehr enge Jeans und hatte darin eine erinnerungswürdige Beinstellung. Obwohl, sie müsste schon ein langes Abendkleid tragen, um nicht immer nur anhand Form und Anmut ihrer Beine memorisiert zu werden. Auch machte sie sich vor dem Auftritt in Deutschland wohl nicht die Mühe, ortsansässige Stylisten zu konsultieren, so dass sie an der westlichen Zielgruppe vorbei frisiert und geschminkt war. Kann durchaus sein, dass wir vom selben Stück Fernsehgeschichte berichten.

camilla
03.06.2004, 09:55
>Sie zwängte ihre Rollen in eine wirklich sehr enge Jeans und hatte
>darin eine erinnerungswürdige Beinstellung

Tamara, die tanzende Knackwurst. Hier: Alla, die Tanzende Knackwurst

DonDahlmann
03.06.2004, 11:05
Schön, das. Und noch schöner mal wieder was von CE zu lesen. Ein weiteres erstaunliches Phänomen dieses Forums sind die Menschen, die mal eben ein Jahr nichts von sich hören lassen um dann plötzlich aus der Versenkung wieder aufzutauchen. Wie CE oder Edmund oder Ebbesand oder Frosch2. Gummibandforumsleben.