delminio
21.05.2004, 19:19
Verregnete Sommerferien im Burgenland und Fred Sinowatz
Im Sommer 1993 verbrachte ich mit einer Freundin die Ferien in Eisenstadt am Leithagebirge, das ist im österreichischen Burgenland. Ein gemeinsamer Freund aus Düsseldorf hatte uns ein Appartement vermittelt, in dem seine Eltern oft ihren Sommerurlaub verbrachten. Es war ein regnerischer Sommer, und das Appartement war überaus folkloristisch eingerichtet mit bemalten Holzmöbeln und viel Keramik- und Kupfergefäßen, Zinnfiguren, Holzgeschnitztem, Fähnchen und rustikalen Weingläsern, so daß es uns dort rasch beklommen zumute wurde. An Wandern, wie wir ursprünglich geplant hatten, war bei dem Wetter nicht zu denken, deshalb mieteten wir uns einen Wagen und fuhren viel herum; einmal über die Grenze nach Sopron, dann für zwei Tage nach Wien. Auf dem Rückweg von Wien fuhren wir die Leitha entlang bis fast zur ungarischen Grenze und bogen dann ab, um einmal den Neusiedler See zu umrunden. Wir machten viel Station, so auch in Neufeld an der Leitha, und besahen uns während zweier ausnahmsweise sonniger Stunden die Stadt.
Als es am frühen Nachmittag wieder zu regnen begann, kehrten wir in einem schönen, fast leeren Gasthof ein, wir aßen sehr gut und tranken einen leckeren burgenländischen Weißwein dazu. Am Nebentisch fiel uns ein Mann auf, der allein vor einem Wildragout saß, das er in kleinen Portionen nur sehr verhalten unter einer markanten Nase, die an jedem Happen einen Moment lang zu schnuppern schien, in die dünnlippige Öffnung zwischen seinen herunterhängenden Backen schob; auf jedem Bissen kaute er bedächtig herum. Der Mann wirkte sehr distinguiert, zugleich aber auch etwas schläfrig. Er kam uns bekannt vor, ohne daß wir gleich gewußt hätten, woher. Ich dachte erst, er sieht ein bißchen aus wie ein Pavian, aber das ist es nicht, weshalb ich ihn zu kennen glaube. Dann kamen wir drauf: Es war Fred Sinowatz, der 1986 als österreichischer Bundeskanzler hatte zurücktreten müssen. Er war in die Affäre um den Präsidenten Waldheim verwickelt worden, obwohl er da meines Wissens gar nichts dafür konnte, und irgendeine Waffenhandelsgeschichte hatte ihm den Rest gegeben. Über die Waldheimaffäre war in den italienischen Medien häufig berichtet worden, und ich hatte damals über Monate hinweg viel darüber gelesen.
Er aß sein Ragout nicht zu Ende, trank nur seinen Schoppen Wein aus und bestellte sich bei der jungen, üppigen Frau, die ihn mit spürbar großem Respekt bediente, abschließend einen Kaffee. Von ihrem prachtvoll aus der weit geöffneten Bluse sich hervorwölbenden Busen nahm er offenbar kaum Notiz, höchstens, daß seine Zungenspitze einmal kurz über die schmale Oberlippe fuhr, konnte ein Zeichen dafür sein, daß er sie überhaupt wahrnahm. Nach einem Schluck vom Kaffee setzte er eine Lesebrille auf und zog aus einer Tasche ein Buch hervor. Es war ein Buch von einem Reinhard Johler, wie ich erspähte. Den Titel konnte ich nicht genau entziffern, recherchierte aber später, daß es wohl Johlers Buch „Industriegeschichte und Arbeiterkultur in Österreich“ gewesen sein muß. Sinowatz las sehr aufmerksam und schrieb zwischendurch wiederholt etwas in ein kleines Notizbuch hinein.
Kurz bevor wir gingen, hatte die reizende Blondine Schichtwechsel und kassierte bei Sinowatz und dann bei uns. Sinowatz gab ein großzügiges Trinkgeld und schenkte der Schönen ein schmelzend freundliches Lächeln, das wie durch einen dichten Schleier von Apathie und Lebensmüdigkeit hindurchbrach. Wir fragten sie, als sie an unseren Tisch gekommen war, ganz leise, ob der Herr dort denn wirklich der frühere Bundeskanzler Fred Sinowatz sei. Sie strahlte uns an, nickte heftig und sagte, indem sie sich zu uns herunterbeugte, mit Nachdruck, aber auch ganz leise und diskret, anscheinend, um Sinowatz nicht zu stören: „Jo freili, dös is er. Dös is fei o ganz o feiner Herr, der Herr Sinowatz!“ Wir zahlten und verließen gleich darauf den Gasthof mit einem guten Gefühl. In der nächsten Buchhandlung fragten wir gleich nach, ob denn der Sinowatz hier in Neufeld lebe. Das wurde uns bestätigt; und er wurde uns noch zusätzlich sympathisch, weil er zum Essen in dem Gasthof in einem altmodischen, aber durchaus städtischen Anzug erschienen war, nicht, wie die meisten Einheimischen, - das fiel uns jetzt im Kontrast dazu auf der Straße auf - in irgendeinem Trachtenanzug.
Im Sommer 1993 verbrachte ich mit einer Freundin die Ferien in Eisenstadt am Leithagebirge, das ist im österreichischen Burgenland. Ein gemeinsamer Freund aus Düsseldorf hatte uns ein Appartement vermittelt, in dem seine Eltern oft ihren Sommerurlaub verbrachten. Es war ein regnerischer Sommer, und das Appartement war überaus folkloristisch eingerichtet mit bemalten Holzmöbeln und viel Keramik- und Kupfergefäßen, Zinnfiguren, Holzgeschnitztem, Fähnchen und rustikalen Weingläsern, so daß es uns dort rasch beklommen zumute wurde. An Wandern, wie wir ursprünglich geplant hatten, war bei dem Wetter nicht zu denken, deshalb mieteten wir uns einen Wagen und fuhren viel herum; einmal über die Grenze nach Sopron, dann für zwei Tage nach Wien. Auf dem Rückweg von Wien fuhren wir die Leitha entlang bis fast zur ungarischen Grenze und bogen dann ab, um einmal den Neusiedler See zu umrunden. Wir machten viel Station, so auch in Neufeld an der Leitha, und besahen uns während zweier ausnahmsweise sonniger Stunden die Stadt.
Als es am frühen Nachmittag wieder zu regnen begann, kehrten wir in einem schönen, fast leeren Gasthof ein, wir aßen sehr gut und tranken einen leckeren burgenländischen Weißwein dazu. Am Nebentisch fiel uns ein Mann auf, der allein vor einem Wildragout saß, das er in kleinen Portionen nur sehr verhalten unter einer markanten Nase, die an jedem Happen einen Moment lang zu schnuppern schien, in die dünnlippige Öffnung zwischen seinen herunterhängenden Backen schob; auf jedem Bissen kaute er bedächtig herum. Der Mann wirkte sehr distinguiert, zugleich aber auch etwas schläfrig. Er kam uns bekannt vor, ohne daß wir gleich gewußt hätten, woher. Ich dachte erst, er sieht ein bißchen aus wie ein Pavian, aber das ist es nicht, weshalb ich ihn zu kennen glaube. Dann kamen wir drauf: Es war Fred Sinowatz, der 1986 als österreichischer Bundeskanzler hatte zurücktreten müssen. Er war in die Affäre um den Präsidenten Waldheim verwickelt worden, obwohl er da meines Wissens gar nichts dafür konnte, und irgendeine Waffenhandelsgeschichte hatte ihm den Rest gegeben. Über die Waldheimaffäre war in den italienischen Medien häufig berichtet worden, und ich hatte damals über Monate hinweg viel darüber gelesen.
Er aß sein Ragout nicht zu Ende, trank nur seinen Schoppen Wein aus und bestellte sich bei der jungen, üppigen Frau, die ihn mit spürbar großem Respekt bediente, abschließend einen Kaffee. Von ihrem prachtvoll aus der weit geöffneten Bluse sich hervorwölbenden Busen nahm er offenbar kaum Notiz, höchstens, daß seine Zungenspitze einmal kurz über die schmale Oberlippe fuhr, konnte ein Zeichen dafür sein, daß er sie überhaupt wahrnahm. Nach einem Schluck vom Kaffee setzte er eine Lesebrille auf und zog aus einer Tasche ein Buch hervor. Es war ein Buch von einem Reinhard Johler, wie ich erspähte. Den Titel konnte ich nicht genau entziffern, recherchierte aber später, daß es wohl Johlers Buch „Industriegeschichte und Arbeiterkultur in Österreich“ gewesen sein muß. Sinowatz las sehr aufmerksam und schrieb zwischendurch wiederholt etwas in ein kleines Notizbuch hinein.
Kurz bevor wir gingen, hatte die reizende Blondine Schichtwechsel und kassierte bei Sinowatz und dann bei uns. Sinowatz gab ein großzügiges Trinkgeld und schenkte der Schönen ein schmelzend freundliches Lächeln, das wie durch einen dichten Schleier von Apathie und Lebensmüdigkeit hindurchbrach. Wir fragten sie, als sie an unseren Tisch gekommen war, ganz leise, ob der Herr dort denn wirklich der frühere Bundeskanzler Fred Sinowatz sei. Sie strahlte uns an, nickte heftig und sagte, indem sie sich zu uns herunterbeugte, mit Nachdruck, aber auch ganz leise und diskret, anscheinend, um Sinowatz nicht zu stören: „Jo freili, dös is er. Dös is fei o ganz o feiner Herr, der Herr Sinowatz!“ Wir zahlten und verließen gleich darauf den Gasthof mit einem guten Gefühl. In der nächsten Buchhandlung fragten wir gleich nach, ob denn der Sinowatz hier in Neufeld lebe. Das wurde uns bestätigt; und er wurde uns noch zusätzlich sympathisch, weil er zum Essen in dem Gasthof in einem altmodischen, aber durchaus städtischen Anzug erschienen war, nicht, wie die meisten Einheimischen, - das fiel uns jetzt im Kontrast dazu auf der Straße auf - in irgendeinem Trachtenanzug.