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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wie Franz Kafka mal über meine Großmutter schrieb



Hendrik
07.05.2004, 14:31
Müritz
Meine Mutter wurde geboren in dem Ostseebad Müritz, das zwischen der Rostocker Heide und dem Fischland liegt. Ihr Großvater mütterlicherseits, Karl Schütt, besaß dort eine Pension namens „Haus Glückauf“. Mein Urgroßvater warb in Zeitungsinseraten um Gäste. Nach dem Ersten Weltkrieg tat er das vor allem in Prager Zeitungen, und er hatte damit Erfolg: Es kamen viele Gäste aus Prag in seine Pension, und zwar vor allem deutschsprachige jüdische Bürger. Im Juli 1923 mietete Franz Kafka, wohl veranlaßt durch ein solches Zeitungsinserat, ein Zimmer in „Haus Glückauf“. Kafka war bereits schwer an Lungentuberkolose erkrankt, und der Urlaub am Meer bedeutete für ihn den ersten Schritt einer Lösung von den ihn peinigenden Abhängigkeiten in Prag. Das Meer und das Klima in Müritz schienen ihm gut zu tun, jedenfalls schrieb er am 13.7.1923 an Else Bergmann: „Das Meer ist wahrhaftig in den 10 Jahren, seitdem ich es nicht mehr gesehen habe schöner, mannigfaltiger, lebendiger, jünger geworden.“
Was ihm aber den Briefen zufolge in Müritz am besten gefiel, war das Ferienheim des Berliner jüdische Volksheims, das sehr nahe bei seiner Pension lag. So schrieb Kafka an Hugo Bergmann: „Um meine Transportabilität zu prüfen, habe ich mich nach vielen Jahren der Bettlägerigkeit und der Kopfschmerzen zu einer kleinen Reise nach der Ostsee erhoben. Ein Glück hatte ich dabei jedenfalls. 50 Schritte von meinem Balkon ist ein Ferienlager des Jüdischen Volksheims in Berlin. Durch die Bäume kann ich die Kinder spielen sehn. Fröhliche, gesunde, leidenschaftliche Kinder. Ostjuden. Durch Westjuden vor der Berliner Gefahr gerettet. Die halben Tage und Nächte ist das Haus, der Wald und der Strand voll Gesang. Wenn ich unter ihnen bin, bin ich nicht glücklich, aber vor der Schwelle des Glücks."

Kafka, die Vase und meine Großmutter
Mein Urgroßvater hatte vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter; die jüngste, Christiane (meine Großmutter), war 1920 geboren worden, zur Zeit von Kafkas Aufenthalt in Müritz also drei Jahre alt, und über sie schrieb Kafka in einem Brief vom 3.8.1923 an Tile Rösler. Von Tile Rösler hatte Kafka anscheinend eine Vase geschenkt bekommen, die er mit in den Urlaub genommen hatte, jedenfalls schrieb er in dem Brief:
„Um die Vase, die ich von Dir habe, muß ich manchmal mit Christl kämpfen, der dreijährigen Tochter unseres Wirts, einer jener kleinen, blonden, weißhäutigen, rotwangigen Blumen, wie sie hier in allen Häusern wachsen. Wann sie zu mir kommt, immer will sie sie haben. Unter dem Vorwand, ein Vogelnest auf meinem Balkon ansehn zu wollen, drängt sie sich ein, kaum aber ist sie beim Tisch, streckt sie schon die Hand nach der Vase; sie macht nicht viele Umstände, erklärt nicht viel, wiederholt immer nur streng: die Vase! Die Vase!, und besteht auf ihrem guten Recht, denn da ihr die Welt gehört, warum nicht auch die Vase? Und die Vase fürchtet sich wohl vor der grausamen Kinderhand, aber sie muß sich nicht fürchten, ich werde sie immer verteidigen und niemals hergeben.“

Der weitere Lebensweg meiner Großmutter
Ich möchte es kurz machen: Nach der Volksschule in Müritz folgte das Lyzeum in Rostock. Nach der Mittleren Reife 1936/37 ein Jahr auf einem Mädchenpensionat in Marburg, wo sie Kochen, Haushaltsführung und Repräsentieren lernte. 1938 lernte sie auf einer St Lucia-Feier einen Medizinstudenten kennen, meinen Großvater, den sie nach einem kurzen Intermezzo mit einem anderen Medizinstudenten samt Ver- und Entlobung schließlich 1942 heiratete. Einwöchige Hochzeitsreise nach Berlin mit Bombenangriff. Zuvor, ebenfalls 1942, hatte mein Großvater sein medizinisches Staatsexamen abgelegt. Anfang 1943 absolvierte er in Stettin eine kurze Ausbildung zum Unterarzt und kam danach sofort an die russische Front. Im August 1943 Geburt meiner Mutter. Im Spätsommer letzter Heimaturlaub meines Großvaters. Im September 1944 russische Kriegsgefangenschaft, aus der er im Oktober 1948 entlassen wurde. Ende 1948 Flucht von Müritz über die Grenze bei Helmstedt, via Hannover nach Wiesbaden. 1949 Geburt einer zweiten Tochter. 1959 Erwerb eines Hauses in Wiesbaden-Biebrich. Arbeit in der gynäkologischen Praxis ihres Gatten.

Hobbies: Haustiere (2 Streifenhörnchen, 1 Nymphensittich, zuerst 2 Cockerspaniel, schließlich 1 Yorkshireterrier), Blumen, Briefmarken, Nähen, Reisen (vor allem 20mal in das selbe Hotel auf Gran Canaria), Tennis, Familie
Lieblingsfernsehserie: „Dallas"
Lieblingsopernarie: „Lache, Bajazzo“ von Leoncavallo
Lieblingssänger: Joseph Schmidt
Lieblingsschlager: m. W. "Griechischer Wein", "Strangers in the Night"
Lieblingspolitiker: Gerhard Stoltenberg
Lieblingszeitschrift: „Die Bunte“
Lieblingsprominente: Grazia Patrizia von Monaco


1984 starb meine Großmutter an einem Gehirntumor.

Von Franz Kafka hat sie zeitlebens nie etwas gelesen. Sie hat überhaupt nur sehr wenig gelesen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie irgendetwas mit dem Namen hätte verbinden können. Erst vier Jahre nach ihrem Tod veröffentlichte der Müritzer Heimatforscher Werner Timm im „Freibeuter“ Nr. 38 einen Artikel über Kafkas letzten Sommerurlaub, in dem er anhand von Kafkas Briefen rekonstruierte, daß Kafka in der Pension meines Urgroßvaters gewohnt haben und daß die dreijährige Tochter seines Wirts meine Großmutter gewesen sein muß.

Bintje Akerblom
07.05.2004, 14:52
Kafka hatten wir noch nicht, sehr cool!

Aber warum können Sie jetzt nicht frisch drauflos erzählen? Oder keine Prominenten paparazzen? Die Vorbemerkung bleibt unverständlich.

Hendrik
07.05.2004, 15:17
Es ist die Furcht, zu banal zu sein.

joq
07.05.2004, 15:18
Legen Sie sie ab. Diese Geschichte ist schön.

Bintje Akerblom
07.05.2004, 15:34
Wenn Sie sich mit Kafka messen wollen, werden Sie nicht umhin können, banal zu sein.

Dann werden Sie sich aber auch mit Mutter Teresa, Teofilo Stevenson, Albert Einstein, Jefffrey Dahmer, Julius Cäsar, Adolf Hitler, Diego Maradona oder Fips Asmussen messen müssen. Und auch da werden Sie auf der Banalitätsskala im Vergleich eher schlecht abschneiden.

Entspannen Sie sich und genießen Sie die Banalität der Welt.

sigurdmayo
07.05.2004, 15:42
Geht's uns nicht gut, B. A.? Sind wir forumsmüde?

Graf Berghe von Trips
07.05.2004, 15:47
"... von einem der Gründe zu berichten, die es mir zum Problem machen, frisch drauflos zu erzählen, und unmöglich, Prominente zu paparazzen."

Kafka ist an Ihrem Genpool vorbeigeschwommen, deshalb fehlen Ihnen Frische und Sozialkompetenz? Zauberhaft. Wenn nicht sogar geheimnisvoll. Tun Sie mir doch bitte einen kleinen, unverständlichen Gefallen, Hendrik, und ändern die Überschrift Ihrer Geschichte in "Starrendes Bedeutungsgeflecht".

Hendrik
07.05.2004, 15:56
Nein, GBvT, so hatte ich es nicht gemeint, nicht als Bedeutungshuberei, wirklich nicht.

Werrnerr
07.05.2004, 23:45
Wer zum Teufel ist bintje Akerblom?

Ruebenkraut
08.05.2004, 00:03
irgendwann fingen wir an, unsere sommer in müritz zu verbringen. fuhren dann jedes jahr wieder hin und vergangenes jahr stellten wir fest, dass wir dies schon zehn jahre tun. dieses (wie jedes) jahr "vielleicht zum letzten mal". dank für die geschichte, die diesen ort erstmals mit dem anderen verbindet, an dem ich mich regelmäßig aufhalte.

(pappentreffen im august in müritz, heute teil des ostseebades graal-müritz?)

Frau H aus B
08.05.2004, 00:09
Ich bin fuer Pappentreffen im Juni in Juneau, Alaska. Das waere sehr praktisch fuer mich, weil ich zu der Zeit zufaellig auch dort bin.

Elpenor
08.05.2004, 00:45
Quoten:

1,1 Paparazzitreffen findet in Müritz statt
4 Treffen findet nicht in Müritz statt


4 Jockel1 ist Genista
4 Jockel1 ist Stimmen
4 Jockel1 ist Murmel
2 Jockel1 ist jemand aus dem Senatorium
1,2 Jockel1 ist jemand ganz anderes

Herr Genista
08.05.2004, 01:09
Vorgestern in Florida, am Strand mit den selbstleuchtenden Algen, sagte eine deutsche Doktorandin zum britischen trunkenen Forscher, als er sich darüber erregte, dass sein Apartment, das er immer zur Konferenz buche, für nächstes Jahr schon an jemand anderen vergeben sei, und er aber, hier schwoll seine Stimme zu einem Drohen an, rausfinden wolle, wer das Buchungsschwein gewesen sei, zu ihm also, der schnauzbärtig neben mir am Grill lehnte, sagte sie: "that is almost german, the way you do this", denn so sah es nunmal in ihrem Kopf drinnen aus. Ha, machte der trunkene Forscher, das sei ja Unfug, und reckte das trunkene Kinn, er habe doch noch nie ein wehrloses Land überfallen. Kurzes, tiefes Schweigen, in das jemand als Rettungsring "she didn't call you an American" hineinruft. Gelächter, gutgegangen! Der trunkene Forscher spricht nun darüber, daß man für 200.000 Doller eins der Apartements kaufen und dann mit jährlichen Einnahmen in Höhe von 20.000 Dollar rechnen könne. Ich wiege bedenklich mein bartloses Haupt, da fährt er nun mich an: Das sei ja wohl eine Bombenrendite, es sei denn ich verstünde beträchtlich mehr vom Aktienmarkt als er und wüsste um ein Geheimnis. Da wurde mir wie in einem inneren freien Fall zum ersten Male bewusst, was für ein Aktienmarktlaie ich eigentlich bin. Wegsperren müsste man mich.

Was ich eigentlich fragen wollte: was bedeuten denn die Zahlen bei den Wetten da? Hab ich jetzt 100 Euro gewonnen?

Elpenor
08.05.2004, 01:32
Einfach vergnüglich mitwetten. Wenn jockel1 Stimmen ist, bedeutet das bei einer Einzahlung von 10 Euro schlanke 40 Euro Gewinn, na, da zittert das Spielerherz. Alle mitmachen!

Herr Genista
08.05.2004, 01:39
Huch, die Zahlen haben sich ja geändert! Zauberei!

Wenn ich jetzt 40 Euro auf Müritz und 11 Euro auf Nichtmüritz setze, gewinne ich dann auf jeden Fall 4 Euro?

Elpenor
08.05.2004, 02:14
Nicht Brutto mit Netto verwechseln. 40 auf Müritz = 4 Euro Gewinn. 11 auf nicht Müritz = 33 Gewinn, d.h. bei 51 Einsatz 37 Euro Gewinn.

Gott, ich war kurzzeitig verunsichert. Aber alles im sicheren Bereich, Marge über 10%

Elpenor
08.05.2004, 02:30
Es ist jeder herzlich eingeladen besser Quoten anzubieten. Alles kann, nichts muss:

Honz schreibt mehr als 10 Beiträge in den nächsten 3 Tagen:
Ja: 1,05
Nein 5

Etwas ganz und gar unerwartetes geschieht:
Niemals: 1,5
Ich weiß nicht, könnte sein: 2,3
Unerwartet, könnten wir uns auf nicht Erwartetes einigen: 3,2
Sicher, absolut sicher: 1,9

Ruebenkraut
08.05.2004, 12:00
Vorausgesetzt: Pappentreffen ist, wenn sich zwei Pappen treffen, dann könnte das Wettergebnis von einem Mitwetter leicht beeinflusst werden. Nicht so günstig.

slowtiger
08.05.2004, 14:01
Ist Müritz1 jetzt Jockel?

Juri
14.10.2012, 15:33
Sonntagswiederfund. Und Hendrik soll sich hier mal wieder blicken lassen.

Alberto Balsam
14.10.2012, 19:32
mein Reden seit `33

Saposcat
15.10.2012, 13:08
Hendrik ist eigentlich nie richtig weg gewesen, hat aber sein damaliges Passwort verlegt, dankt und lässt schön grüssen.

Saposcat
15.10.2012, 13:25
Elpenors Postings mit diesen Wettquoten verstehe ich übrigens auch heute noch beim Wiederlesen nicht. Und Graf Berghe von Trips war ein Fünftnick von Stimmen?

Graham
15.10.2012, 18:24
Verloren gegangene Passwörter lassen sich übrigens wieder zurücksetzen - wer das möchte, möge mir eine PN schreiben.

Ruebenkraut
15.10.2012, 20:05
Eine Wuchtung, die aufs peinlichste mein nachlassendes Gedächtnis decouvriert. Als meine Liebste neulich beim Zeitungslesen sagte: Wusstest du, dass Kafka in Müritz war?sagte ich voller Überzeugung: Nö, wusste ich nicht.
Dabei weiß ich es seit 2004, da oben ist der Beweis.

Benzini
15.10.2012, 20:55
Elpenors Quote auf Honz

Ja: 1,05
Nein: 5

ist natürlich mafios. Nein muss mit mindestens 16 bezahlt werden, alles andere ist unseriös. Aber so war er, der wilde Westen.