eben
14.04.2004, 08:58
Inzwischen sind mir Theaterpremieren nicht mehr so wichtig. Man kriegt sie praktisch geschenkt, anstellen, warten, fertig, und teuer sind sie auch nicht. Vor einigen Jahren war ich nur auf Premieren. Das lag an meinen prägenden Erfahrungen mit italienischen Theaterkassen, bei denen man außer schlechten Theaterkarten nichts bekommt, und die auch nicht. Diese Kassen hatten damals, Anfang Achtziger, sehr originelle Öffnungszeiten und einen autarken Bürokratismus entwickelt: Man mußte zu bestimmmten Zeiten mit einer bestimten Dame telefonieren, deren Nummer nicht mit der Kassennummer identisch war – Nie!- um sich dann an dem Tag, aber nicht zu den normalen Öffnungszeiten, sondern zu den Zeiten für vorbestellte Karten, und auf keinen Fall heute, eine Karte abholen zu dürfen. Und Premierenkarten? Die gab es auf dem freien Markt gar nicht. Heute ist es dort eventuell anders. Die zeitgenössichen Stücke werden von Berlusconi gerne verhindert, entweder weil er drin vorkommt oder weil er nicht drin vorkommt, es läuft nur harmlose oberklassische Moderne, und die Karten sind so teuer, dass man problemlos welche kaufen kann.
Es gab eine einzige mir bekannte Ausnahme, wo wahre und selbstverständliche Demokratie herrschte: und zwar bei den Rangkarten für die Mailänder Scala, also den Sitz- und Stehplätzen in den allerobersten beiden Etagen des Zuschauerraumes. Auf einer Skala von 0 bis 10 haben Scalapremieren nur Platz sieben, weil es dort auch die jährliche Saisoneröffnung gibt, und die ist top of the pops, wo Gott und die Welt, so sie hat Geld, herumwandeln. Über eine heute leider längst verblichene Verbindung war ich auch einmal auf einer solchen Verdi-was-sonst-Eröffnung, aber da weiß man dann vor lauter Berühmtheiten weder aus noch ein, und es ist bloss noch für Leute mit einer Schwäche für teure Kostümierungen interessant. Man musste sich, für eine normale Premiere, um 13.30 vor der Abendkasse der Scala einfinden, in den schönen Arkaden neben dem Haupteingang mit Blick auf die Piazza. Dann öffnete nicht etwa der Schalter, sondern es kam um 14.00 ein bucklicht Männlein hervor, mit einem großen spitzen Hut und einer dicken Messingtröte. Auf seinen Block mit linierten Blättern schrieb er die Namen aller Wartenden, nummeriert und sortiert, und wanderte danach herum wie der Trompeter von Jericho, tauchte auf und verschwand wieder und blickte schräg von unten auf alle herab. In leider nicht ganz voraussagbaren Zeitabständen blies er kräftig in sein Horn und verlas die Namen von seiner Liste, und wer fehlte, ward gestrichen. Ohne Ausnahme. Besonders durchgängig kultivierte Familien konnten einander mit mehreren Generationen beim Warten ablösen, denn die Karten wurden erst kurz vor Beginn der Vorstellung vergeben, für lächerliche 5000 Lire. Dieser Usus verlangte also unbedingte Anwesenheit und verleitete zur Mitnahme von Picknickkörben, beliebt bei den Kulturprofis genauso wie bei den zahlreichen Oma-Tochter-Enkel-Kombinationen. Ich war damals allein unterwegs und in meine Tasche passte kein Essen. Andererseits kann so ein Nachmittag doch lang werden. Aber den Schauplatz verlassen? Alles riskieren wegenn eines Hüngerchens? Der Kampfgeist wich so gegen 17.30 und außerdem gingen mir die Zigaretten aus. So bat ich dann eher schwungvoll als elegant eine Gruppe älterer Herren um Feuer und fragte, ob sie mir nicht einen kurzen Wink geben könnten, falls der Mann mit der Hupe wieder vor der Scala und ich noch in der Bar...
Der Herr mit Hut, vor dem ich mit diesem Satz zu stehen kam, zog seine ganz und gar unverkennbaren Augenbrauen hoch und sagte: Sie rauchen? In ihrem Alter? Dann gab er mir Feuer und sagte: Beeilen sie sich mit ihrem Toast!
So kam es, dass Marcello Mastroianni mir quer über die Piazza della Scala zuwinkte bis ich zurückwinkte. Ich bekam eine Karte und saß mit einem Fernglas oben im Rang und suchte nach Mastroianni, aber von so weit oben konnte man vor lauter Decolletés den Mann einfach nicht mehr herauskennen.
Es gab eine einzige mir bekannte Ausnahme, wo wahre und selbstverständliche Demokratie herrschte: und zwar bei den Rangkarten für die Mailänder Scala, also den Sitz- und Stehplätzen in den allerobersten beiden Etagen des Zuschauerraumes. Auf einer Skala von 0 bis 10 haben Scalapremieren nur Platz sieben, weil es dort auch die jährliche Saisoneröffnung gibt, und die ist top of the pops, wo Gott und die Welt, so sie hat Geld, herumwandeln. Über eine heute leider längst verblichene Verbindung war ich auch einmal auf einer solchen Verdi-was-sonst-Eröffnung, aber da weiß man dann vor lauter Berühmtheiten weder aus noch ein, und es ist bloss noch für Leute mit einer Schwäche für teure Kostümierungen interessant. Man musste sich, für eine normale Premiere, um 13.30 vor der Abendkasse der Scala einfinden, in den schönen Arkaden neben dem Haupteingang mit Blick auf die Piazza. Dann öffnete nicht etwa der Schalter, sondern es kam um 14.00 ein bucklicht Männlein hervor, mit einem großen spitzen Hut und einer dicken Messingtröte. Auf seinen Block mit linierten Blättern schrieb er die Namen aller Wartenden, nummeriert und sortiert, und wanderte danach herum wie der Trompeter von Jericho, tauchte auf und verschwand wieder und blickte schräg von unten auf alle herab. In leider nicht ganz voraussagbaren Zeitabständen blies er kräftig in sein Horn und verlas die Namen von seiner Liste, und wer fehlte, ward gestrichen. Ohne Ausnahme. Besonders durchgängig kultivierte Familien konnten einander mit mehreren Generationen beim Warten ablösen, denn die Karten wurden erst kurz vor Beginn der Vorstellung vergeben, für lächerliche 5000 Lire. Dieser Usus verlangte also unbedingte Anwesenheit und verleitete zur Mitnahme von Picknickkörben, beliebt bei den Kulturprofis genauso wie bei den zahlreichen Oma-Tochter-Enkel-Kombinationen. Ich war damals allein unterwegs und in meine Tasche passte kein Essen. Andererseits kann so ein Nachmittag doch lang werden. Aber den Schauplatz verlassen? Alles riskieren wegenn eines Hüngerchens? Der Kampfgeist wich so gegen 17.30 und außerdem gingen mir die Zigaretten aus. So bat ich dann eher schwungvoll als elegant eine Gruppe älterer Herren um Feuer und fragte, ob sie mir nicht einen kurzen Wink geben könnten, falls der Mann mit der Hupe wieder vor der Scala und ich noch in der Bar...
Der Herr mit Hut, vor dem ich mit diesem Satz zu stehen kam, zog seine ganz und gar unverkennbaren Augenbrauen hoch und sagte: Sie rauchen? In ihrem Alter? Dann gab er mir Feuer und sagte: Beeilen sie sich mit ihrem Toast!
So kam es, dass Marcello Mastroianni mir quer über die Piazza della Scala zuwinkte bis ich zurückwinkte. Ich bekam eine Karte und saß mit einem Fernglas oben im Rang und suchte nach Mastroianni, aber von so weit oben konnte man vor lauter Decolletés den Mann einfach nicht mehr herauskennen.