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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Semmelrogge, trug mich auf Händen



Lis
06.04.2004, 21:47
Der Oberkellner hatte nur wenig Zeit mich zu briefen: „Dort im Roten Salon sitzt Michaela May, und im Gelben ist der Wildbolz neben der dünnen Alten. Herr Lippert sitzt in der Halle rechts, den Herbert Fux kennst eh!“
Dies begab sich zu einer Zeit als in Österreich ausländisches TV-Programm nur von jedem 10. Haushalt empfangen wurde. So konnte ich die ersten 3 Namen nicht zuordnen, nur Herbert Fux war mir aus 23. 30 Uhr ORF- Softpornos bekannt. Daher war ich wenig beeindruckt. Wollte aber selbst beeindrucken, denn immerhin war ich keine gewöhnliche Kellnerin, sondern eine, die maturieren und studieren wird, und mußte dies auch bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck bringen. So fragte ich Herbert Fux, als er die Rechnung verlangte, ob er sich denn wie das „Viech“ oder wie der Barockkomponist Johann Joseph Fux schreibe? „Natürlich wie der Komponist“, antwortete er mit pelziger Weinzunge, und: „da haben wir ja fast eine Frau ‚Doktor Kellnerin‘!“ Dann setzte er sich wie jeden Abend in die Hotelhalle, um - nicht uncharmant - jede Frau unter 50 anzusprechen.

Die Dörfer Wildermieming und Affenhausen dienten als Kullisse für den „Bergdoktor“ , der in „Sonnenstein“ praktizierte, und die Schauspieler nächtigten großteils in jenem Hotel, in dem ich mein Praktikum absolvieren mußte. Abgesehen von meinem Bildungsdünkel leistete ich gute Arbeit, rotierte beidhändig und rundum effektiv , was mit „beispielhaft tüchtig“ im Zeugnis übersetzt wurde. Aber ich war 17, spindeldürr, mit einem zu großen Gesicht, und sogar für das zu große Gesicht mit zu großen Augen gesegnet. Trotzdem fanden mich die Hotelgäste (100 % Deutsche) ‚richtig niedlich‘. Ein Herr Castell, der den Pfarrer in der Serie verkörperte, nannte mich jedoch „Salome“, da ich angeblich der „jungen Salome“ seiner Phantasie ähnelte. Wahrscheinlich hielt er meine Augen für bedrohlich. Auch sein Tischnachbar rief fortan stets: „Salome, bitte noch ein Bier!“ Dieser Tischnachbar spielte auch in der Serie mit und war höchst amüsiert, als ich seine Zimmerrechnung auf „Semmelrobbe“ ausstellte.
Ich Landei, ich.

Das schönste am Hotel war der Obstgarten, ein ca. 2 ha. großer Park mit Pool. Um die Intimsphäre der Gäste zu wahren, standen die Liegestühle in größtmöglicher Entfernung voneinander entfernt. Ich rannte fußbett-freundlich und schwarz-weiß gekleidet unter alpiner Sonne umher und servierte Drinks. Es war mir egal, dass Menschen in Badekleidung nur selten Bar- und somit Trinkgeld bei sich haben. Ich hatte Spaß bei meiner Arbeit und genoß die erstaunten Blicke, wenn ich nach einer Bestellung in Gesundheitsschuhen zur Bar sprintete, um das Gewünschte in Rekordzeit heranzubalancieren. Martin Semmelrogge äußerte nie einen Wunsch aus dem Liegestuhl heraus: „Ne, Danke Salome , ich geh‘ dann an die Bar!“
Teennager-Körper und Seelchen sind leider ziemlich empfindlich: Nach einem Kuss des Junior-Chefs und 3 Stunden Dienst im Obstgarten fiel ich mit einem Tablett voll leerer Gläser einfach um. Eine halbe Minute später blickte ich in die 12 Augen des Martin Semmelrogge, der mir Luft zufächelte, meine Beine hochlagerte und mir Wasser einflößte: „Wird schon, Kleine, geht schon meine Kleine. Hey Salome, wieder unter den Lebenden?“ Er schleppte mich gemeinsam mit dem Oberkellner zurück ins Hotel und regte sich währenddessen darüber auf, dass ich zuviel arbeite. Dann versuchte er den Arzt zu überzeugen, mich ins nächste Krankenhaus zu bringen. Doch der Arzt und ich winkten ab, - zuviel des Aufwandes wegen eines Kreislaufproblems! 10 Stunden später wollte ich nur noch sterben – Nierenkolik, die ich wahrlich lieber im Krankenhaus, als alleine in einem Personalzimmer durchgestanden hätte.
Martin Semmelrogge reiste leider 2 Tage später ab, an dem Tag als ich mich wieder für diensttauglich hielt. Ich begegnete ihm auf meinem Weg zum Hotel. Er hielt an, und ich war „schmähgschtaad“ (der Eloquenz beraubt), brachte nur ein „Danke für Alles“ über die Lippen.
Kurz darauf lieh ich mir „Das Boot“ aus. Mein Held - Dein Held.

Werrnerr
06.04.2004, 21:55
Herzig.

vir
07.04.2004, 00:18
Das ist die beste Geschichtw seit Mensche3ngedenken und Semmelrogge isdt ein Gueter, was ich eigentlich schon immer wusste.

Aber wieso können Oesterreicher, nein Oesterreicherinnen, besser Deutsch als WIR? ARUM? Astrid, warum?

oha
08.04.2004, 05:47
schmähgschtaad! Ach, ach, ach!*





*Hier sollte zuerst was anderes stehen, war aber im falschen Strang und wurde deshalb durch Obiges notdürftig ersetzt. Man, also ich, sollte einfach nicht vor acht Uhr posten. Ach, ach, ach!

Aporie
08.04.2004, 09:29
Sprichst Du jetzt, wenn Du WIR sagst, als Schweizer, als Deutscher oder als vir?

Bei Schweizern und Österreichern könnte die Erklärung sein: Je fremder einem die eigene (geschriebene) Sprache ist, desto sorgfältiger geht man damit um.

vir
08.04.2004, 09:59
Die Schweizer können überhaupt kein Deutsch schreiben und sprechen, wenn aber doch (Dürrenmatt, Frisch, Jent), dann aber oho!

Und wenn ich wir sage meine ich natürlich wir vier!

klesk
08.04.2004, 14:46
sympathische geschichte, sympathischer promi. davon kannst du ruhig noch ein paar bringen, salome.

bloss nich am baer packen
09.04.2004, 17:56
Supa geschichte,bei uns war der mal in Zirkus.

Lis
11.04.2004, 19:53
Jetzt bin ich wirklich froh, dass ich nicht diese Geschichte gepostet habe:
"Als ich die Forelle des Herrn Wildbolz filetierte und zerfaserte, er aber nicht böse war, da ich ihn permanent 'Herr Buchholz' nannte"

Das Urteil wäre anders ausgefallen.

Mrs. Passmore
11.04.2004, 20:04
DIESE Geschichte ist ja irgendwie ganz anders, nichtsdestotrotz aber auch ganz und gar entzückend.
Würde gerne mehr von Ihnen lesen!

Werrnerr
11.04.2004, 21:03
Herlis, bis dahin ist mir das nicht so sehr aufgefallen, aber jetzt kokettieren Sie doch. Und zwar gewaltig!

Mrs. Passmore
11.04.2004, 21:25
Das mag ja sein, aber das macht sie gut, oder etwa nicht?

Werrnerr
11.04.2004, 21:27
Etwas plötzlich.