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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Judith Herrmann steht herum



eben
30.03.2004, 14:34
Ich habe vorgestern eine Doku über Bert Kaempfert gesehen, sehr schön zusammengeschnipselt aus Interviews und alten TV-Aufnahmen. In den 50zigern hat die große Freude über das Farbfernsehen den redaktionellen Spielraum offensichtlich stark eingeschränkt. Man guckt völlig wehrlos ausschließlich auf die ganzen Damen auf dem Bildschirm, die grellorangene Overalls mit Rüschen tragen mussten, oder sehr pinkfarbene Tellerröcke, die Gesichter nur notdürftig versteckt unter riesigen Mobfrisuren. Jedenfalls habe ich heut auf dem Spielplatz, wegen einer Unterzuckerung plötzlich auch alles so bunt gesehen, lauter erhebliche Farbkontraste. Ich war ganz in Schwarz und fühlte mich völlig unsichtbar, und habe auch sonst niemanden gesehen, weil mein Blick immer nur an den Farben hängengeblieben ist. Der erste Mensch, den ich erkannt habe, ist Judith Herrmann mit ihrer Tochter, vielleicht weil ihre Haare so hell sind. Das fällt eher ins Bunte. Zwei Mütter von Jungen, mit denen mein Sohn in seiner ersten Bande ist, habe ich nicht mal wahrgenommen, bestimmt weil sie sehr dunkle Haare haben. Wegen Frau Herrmann habe ich dann anstatt über meinen Blutzucker darüber nachgedacht, wie man mit Autoren über deren Bücher spricht. Man sagt zum Beispiel nicht, dass die Geschichten ja alle gleich aufgebaut sind, sondern dass die sehr unterschiedlichen Erzählungen durch ihre feinen strukturellen Ähnlichkeiten doch miteinander verwandt sind. Andrerseits hatte ich mich damals erst nach einer der mittleren Geschichten gelangweilt, und eine Szene hab ich immer noch im Kopf: auf einer Veranda unterhalten sich zwei. Auf einer Insel glaub ich. Schöne Szene.
Frau Herrmann lehnte derweil am Zaun und rauchte ununterbrochen, in hochgekrempelten Jeans über naturbraunen Lederstiefeln mit etwas Absatz, ganz Lokalkolorit. Eine farblose Jacke mit einem hellen Pullover drunter. Schön entspannt monochrom. Ich hatte tatsächlich kurz den Gedanken, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Ich wollte sie fragen, wie sie zu all dem Bunten hier steht und wie denn ihr zweites Buch geworden ist. Ich stand mitten auf dem Platz, suchte meine Kinder und habe ein paar Minuten lang versucht, eine Verbindung zwischen Frau Herrmann und den vielen Farben herzustellen, den Mützen, hellgrünen Lederjäckchen, bunten Sneakern, Kopftüchern. Dann habe ich endlich an meine Kekse gedacht und mich wieder in einen vernünftigeren Zustand hineingefuttert.
Es ist ein Spielplatz mit eher coolen Müttern, auf dem lokale Größen sonst nicht weiter auffallen. Inzwischen weiß ich auch, warum mir Frau Herrmann, die man sehr oft herumlaufen sieht, an diesem Tag so aufgefallen war: Sie guckt exakt so wie meine Freundin Franziska Uhl, die nicht so berühmt ist, aber auch mit so einem genauen und etwas altklugen Blick links und rechts von ihrer Nase herumläuft. Und sie heißt wie ein anderer Bekannter, an den zu denken sonst nicht lohnt. Mein unterzuckertes Hirn hat die Analogien (alles ist gleich) sofort zugunsten einer netten Metonymie (etwas ist gleich) fallengelassen, damit ging es aus dem Chaos der Farben heraus, und das passt ja genau zu dem was ich Frau Herrman über ihre Bücher nicht gesagt habe.

joq
30.03.2004, 14:43
In den 50zigern hat die große Freude über das Farbfernsehen den redaktionellen Spielraum offensichtlich stark eingeschränkt.

Satz des Tages.
Very big, mate.

Ich erinnere mich an Pausenfüller beim WDR Fernsehen, bei der eine Band live (!) im Studio unerträgliche Fusion-Musik einspielte und währenddessen der Bildmischer LSD nahm und an allen Reglern drehte. Schöne Zeit.

Aporie
30.03.2004, 14:55
Passt. Hello and welcome!

DREA
30.03.2004, 15:07
was der Mann sagt. Bienvenue und so, eben.

Amarante
30.03.2004, 20:04
Oh - offenbar achten wir auf denselben Spielplatz darauf, dass sich unsere Kinder nicht gegenseitig abschlachten. Ich meine Frau Herrmann heute gesehen zu haben, immer hinter ihrem Kind her und in halbhohen Lederstiefeln durch den Sand stakend. Vielleicht hat sie nur ein Paar.
Was ich an Spielplätzen so mag, ist der Aspekt des parallelen Erschöpftseins. Alle hocken erschlagen rum, halten ihre bleichen Beine in die Sonne, sagen automatisch alle drei Minuten in vermuteter Kind-Richtung "Jaaaahaa" und essen den Kindern die Kekse weg. Auch die Semiprominenz. Sobald auch nur einen Sonnenstrahl rauskommt, lüften alle ihre Kinder, wohl immer in der Hoffnung, dass sie deswegen Abends dann mal früher Ruhe geben. Muss mich selber oft wehren, die Kinder nicht unnötig anzustacheln - "Los, ja, nochmal. Schauma der andere macht das auch." Bekomme dann so einen kalten Blick, wie diese russischen Eiskunstlauftrainerinnen.

DREA
30.03.2004, 20:14
Mal ganz neugierig nachgefragt, Amarante: Fallen Sie in die Kategorie "coole Muetter" oder "lokale Groessen"?

Ruebenkraut
30.03.2004, 20:34
50ziger und Farbfernsehen? Hier ist ja nicht das Alles Bonanza Forum, aber bist du sicher, dass das richtige Jahrzehnt ist? In meiner Erinnerung habe ich den Beginn des FarbTV in Deutschland miterlebt. Nämlich als unsere (aus meiner damaligen Sicht stinkreichen) Nachbarn kurz vor der Mondlandung für 5000 DM ein solches Gerät kauften. Farbfernsehen gabs da noch nicht so lange, vielelicht ein zwei Jahre. Und in den Fernsehzeitschriften waren die ein bis zwei täglichen Farbsendungen noch extra hervorgehoben.

Aber schöne Geschichte.

Amarante
30.03.2004, 20:37
Weder noch. Gar nicht was "lokale Größen" angeht und zumindest nicht vor ein paar Minuten was "coole Mütter" angeht, da ich gerade versuchte den Filzstift von meinen einzigen, tragbaren hellen Paar Schuhe runter zu bekommen, was ziemlich uncool aussieht, wenn man das auf den Knien im Flur macht. Aber Prada macht ganz groß in Mode.

joq
30.03.2004, 20:38
Wir können ja mal alle zusammen auf den selben Spielplatz gehen.

joq
30.03.2004, 20:43
Also ich bin ja immer da in dem Dings, im Volkspark Schöneberg. Superspielplatz. Am RIAS. Wegen "TONI am Rias", der schlimmsten Pizzeria der Welt. Da ess ich dann immer meine Pizza Funghi aus dem Pappdeckel, während der kleine Gnom anderen Kindern die Förmchen klaut, und trinke einen Larte Markiarto aus dem bedenklichen Automaten, aus dem ein bedenklicher Schlauch in eine bedenkliche H-Milch-Tüte reicht.

Mein Immunsystem ist dadurch derart gestählt, man könnte mit meinem Skalp eine Woche lang Kindergartenklos auswischen, ich würd nicht krank werden.

joq
30.03.2004, 20:45
Ich erwarte nächsten Sonntag 15:30:

Judith Hermann,
eben,
Amarante,
Drea (darf auch ohne Kind)

eben
30.03.2004, 21:13
Amarante: Heut waren wirklich alle da. Sie hatten nicht zufällig so ein grünes Kopftuch auf sehr vielen Haaren und haben versucht, auf einem hochhackigen Nix durch den Sand geradeaus zu laufen? Das gab ein nettes Schwanken. So ein bisschen Glamour freut uns arme Spielplatzhocker immer sehr. Aber das waren defintiv keine tragbaren Schuhe an der Dame.

Jockel: Bis nach Schöneberg trau ich mich nicht. Meine Kinder kriegen auf nicht übervölkerten Spielplätzen sofort Schreikrämpfe.

Frau H aus B
30.03.2004, 21:21
Mir wird ganz anders, Jockel, da habe ich als Kind oft gespielt, auf dem"Abenteuerspielplatz", damals ein revolutionaeres Konzept, weil es neben der ueblichen Rutsche und den genormten Eisenstangenklettergeraeten auch hoelzerne Bauten gab. Steht das Piratenschiff noch? Und die mit Holzpfaehlen befestigte Grube, in der muffig riechende Pilze wuchsen?

joq
30.03.2004, 21:23
Frau H, ja das steht noch. Alles. Es gibt jetzt auch zwei "Seilbahnen".

Frau H aus B
30.03.2004, 21:24
Die gab es damals auch schon! Hatte ich vergessen!

tupft sich eine Traene aus dem kraehenfuessigen Augenwinkel

joq
30.03.2004, 21:25
ach, jugend.

Frau H aus B
30.03.2004, 21:29
Unter dem Piratenschiff fand man manchmal interessante Sachen, Murmeln oder Plastikspielzeug, meist aber bloss die roten und blauen Ringe aus den Spielzeugpistolen, leergeballert. Man musste aufpassen, nicht den Sand in die Augen zu bekommen, der durch die Ritzen rieselte, wenn andere Kinder ueber einem herumliefen.

Wer hat noch mehr so tolle Erinnerungen?

Amarante
30.03.2004, 22:11
Viele Haare vielleicht, aber niemals hochhackige Schuhe. Jedenfalls nicht im Sandkasten. Tut mir leid, Jockel1.

joq
30.03.2004, 22:13
ich glaube Sie meinten "eben"