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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Hermann Nitsch, Freilufterwachen mit Nitsch



Lis
28.03.2004, 17:37
Neben den Jobs, die in die Rubrik „Ich war jung und brauchte Geld“ ihre virtuelle Ruhestätte gefunden haben, gibt es auch solche, die man nur in der juvenilen Hoffnung auf gute Credits nach dem Studium annimmt. Zu letzteren gehört mein Volontariat im Sommer 1998 in einem Büro der Wiener Innenstadt. Die gebotenen ATS 3.000,-- für eine 45 Stunden Woche waren ein Schmerzengeld, das ich am Wochenende durch Kellnern in der Steiermark vervielfachte.

In meiner 30-minütigen Mittagspausen genehmigte ich mir regelmäßig ein Menü in der Dorotheergasse, um mich für die Nachmittagtortur zu wappnen. Nur an Montagen, nach einem durchkellnerten Wochenende, verweigerte ich regelmäßig jeglichen Beisl-Besuch da mir der Gastgewerbemief noch in allen Poren saß. Es wird daher wohl ein Montag gewesen sein, als ich um 12.30 Uhr von einer Parkbank vor der Konditorei Oberlaa der Sonne entgegengrinste. Und Grinsen ist eher eine Untertreibung, denn leider war ich stets von Menschen umgeben, deren Kommentar zu Sonnenschein in Schul-/Uni- und Bürogebäuden immer gleich lautete: „Können wir die ‚Rollo‘ runterlassen, es blendet so!!“

Ich glaubte noch immer der Sonne mit geschlossenen Augen entgegenzulachen, als ich blinzelte und sehr viel graue Wolle in allen Schattierungen vor mir wahrnahm. Der Geruch von Kräutern kitzelte meine Nase. Nach der endlosen Zeit des tatsächlichen Erwachens blickte ich in den Bart und das Gesicht von Hermann Nitsch. Er sah mich mit dem gleichen Ausdruck an, wie ihn auch mein verblichener Kater an den Tag/Morgen gelegt hatte, als dieser noch regelmäßig auf meinem Brustbein ausharrte, um mich beim Aufwachen zu beobachten: Interessiert, abwartend und allwissend wie ein Arzt.
Ich glich zu dieser Zeit nicht dem Klischee der Parkbank- schläferin, sondern trug die Tracht der „ReSowi“-Studentinnen, die es einmal zu etwas bringen wollen“, nämlich schwarzen Rock, schwarzes Oberteil, grauen Blazer und Perlenkette. Vielleicht setzte sich Nitsch deshalb zu einem ‚beinahe Kuriosum‘, vielleicht aber. wollte er einfach nur sitzen, und der Platz neben mir war gerade frei.
Ich brachte nur ein unausgeschlafenes: „Jetzt muß ich aber wirklich ins Büro“, hervor und eilte mit einer Stunde Verspätung zu meinem Arbeitsplatz. Den Nachmittag verbrachte ich mit dem Verfassen von geeigneten und geistreichen Statements zu meinem Aufwachszenario. Doch Hermann Nitsch wird sie nie hören.