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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ferres, Veronika; fährt mit dem Zug zum Sprachunterricht



JPHintze
19.03.2004, 23:34
An und für sich pendele ich äusserst ungern, insbesondere als Zugreisender zwischen Lübeck und Hamburg.
Soweit man jedoch nicht zur komfortablen Gruppe der Automobilisten gehört und berufliche Umstände mit ins Spiel kommen, ist die Bahnverbindung allerdings und schliesslich unbestreitbar immer noch die ökonomischte.
Es muss wohl so in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts gewesen sein, möglicherweise auch unmittelbar um die Jahrtausendwende – ich verfügte jedenfalls über keinerlei Kraftfahrzeug und Lübeck war noch immer keine Medienhochburg.
Es kam also was kommen musste: Ich sagte einer redaktionellen Tätigkeit in Hamburg zu und reihte mich in die Massen der pendelnden Bahnreisenden ein.

Was sich bis dahin noch als alltägliche Lapalie anhört, wurde alsbald zur Tortur psychoaktiver Natur.
Denn statt attraktiver Aussenrecherchen und interessanten Produktionen wurde der Redaktionsleiter, dummerweise und aufgrund eines besserwisserischen Kommentars von mir bezüglich seiner französischen Aussprache, auf meine Sprachkenntnisse aufmerksam.
Von nun an fristete ich eintönige und mühsame Stunden in der Korrektur und Übersetzung.
Die Tage wurden kürzer und die Nächte immer länger.
Wie endlos reihte sich die tägliche Routine in eine nicht endende Schleife, in der ich im morgendlichen Schatten, stets die Mappe unter dem Arm, den ewig gleichen Film im Bahnhof beginne, um dann wieder nachts mit dem letzten Zug aus Hamburg, wenn der Mondschein durch die gläserne Bahnsteighalle scheint, den Streifen zu stoppen, stets in Angst, die Mappe doch noch zu verlieren...
Nur unterbrochen durch die nächtliche Rast fühlte ich mich, völlig ausgeliefert durch den täglichen Trip, gefangen in einem bunten Labyrinth aus den Gesichtern gelangweilten Mitreisenden, rasende Landschaften und Bahnschwellenkörpern sowie den künstlichen, akuraten Lettern des Arbeitsbildschirm.

Doch eines Tages wurde es schlagartig anders.
Mag es an einer gewisse Gewöhnung an der Monotonie der Alltäglichkeit gelegen haben oder einfach nur der profane Frühlingsanfang Schuld gewesen sein: Mir schien es so, als ob trotz ruckeliger und quitschender Fahrt der Bahn das zwitschern und tirillieren der Vögel zu hören, sogar zu spüren, wäre.
Ich weiss nicht genau, was es war: aber es lag etwas in der Luft, dass dem plötzlich sonnendurchfluteten Raumes des Abteilwaggons eine einzigartige Aura gab.
Und wer dabei gewesen wäre könnte schwören, dass es sogar den Anschein hatte, als ob es sich dabei um einen gar unwiederbringlichen Moment handeln würde.

Ich erinnere mich noch genau an diese Sekunde im Zug von Hamburg nach Lübeck, die damit begann, dass ich eine Art kichern vernahm.
Wobei ich an dieser Stelle Wert auf die Tatsache lege, mich in der Regel nicht mit Mitreisenden und anderen nicht näher bekannten Gestalten zu beschäftigen.
Ein kichern riss mich also aus der Monotonie und meiner Lektüre, der Erzählung des Tonio Krögers (dann und wann suche ich nach stadthistorischen Bezügen im Werk des grossen Lübeckers Thomas Mann, eher ein Pläsier als ein Laster meinerseits).
Wem dieses kichern galt, konnte ich jedoch nicht feststellen, es herrschte zu diesem Zeitpunkt und in jenem Wagon ein reger Durchgangsverkehr.
Gegenüber sass mir eine Dame, die vermutlich einige Jahre älter war und anscheinend, zumindest fiel es mir auf, ein bekanntes Gesicht hatte.
Die Dame las auch, wirkte entspannt und blickte zweitweise aus dem Fenster.
Noch kam ich allerdings nicht drauf, um wen es sich hier handelte.
Eine Frau mit gesunder Gesichtsfarbe und blondem Haar, dezent geschminkt der Zeit neutral gekleidet. Bereits auf den ersten Blick nicht billig, zu jung aber auch um mütterlich zu wirken.
Eine Frau also, die ältere Herren sicher als „pralles Vollweib“ bezeichnen würden; ich hingegen zog mit meinen jüngeren Jahren eher andere Paralellen.
Ich würde spontan vielmehr mein Gegenüber zur Berufsgruppe der Arzthelfer- oder Bäckereifachverkäuferinnen wähnen.
Sie konnte, so schien es mir, alles repräsentieren, doch genau das, so war ich mir angesichts der Feierlichkeit bewusst, passte hier nicht.
Während ich also so tat, als ob ich mich intensiv meiner Lektüre widmete, war ich nun einige Zeit beschäftigt und grübelte über das vermeintlich bekannte Gesicht nach.
Blickkontakt wurde weitgehend vermieden.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Dame die Grübelei ahnte, rückblickend bin ich mir sicher hingegen, instinktiv trotz Denkens regelmässig die Seiten des Buches umgeblättert zu haben.
Hoffentlich.
Plötzlich war mir nämlich klar, dass es sich bei dieser Dame da drüben um Veronika Ferres handelte, dem sogenannten „Superweib“ der Neunziger Jahre, womit der feierlichen Aura sich plötzlich wieder trister Alltag einstellte.
Es handelte sich wirklich um die Ferres, und Blickkontakt wurde weiterhin vermieden.
Als der Zug in den Lübecker Bahnhof einfuhr, wirkte sie jedoch plötzlich verkrampft und starrte minutenlang aus dem Fenster. Nach dem ersten Halt des Zuges, der Zug hält fast regelmässig vor der Einfahrt in die Bahnhofshalle zum stehen kommt, packte ich meine Druckschrift in die Mappe und entfernte mich zügig zu den Einstiegen.
Selbstverständlich stellte ich mich an die dem Bahnsteig abseitige Seite; es interessierte mich plötzlich doch, wer da eventuell die Frau Ferres vom Bahnsteig abholte.
Nach dem endgültigen Halt des Zuges am Bahnsteig stieg ich wie erwartet hinter der Ferres auf den Bahnsteig.
Niemand holte die Mimin ab, keiner nahm jegliche Notiz von ihrer Ankunft.
Zielstrebig bewegte sie sich vor mir auf der historischen Holztreppe, es hatte den Anschein, als ob Frau Ferres nicht das erste Mal in dieser Stadt eintrifft und ihren Weg kennt.
Anschliessend, oben in der Wandelhalle, trennten sich unsere gemeinsamen Wege, sie ging in Richtung Bahnhofsvorplatz, ich hingegen zum Ausgang am Steinrader Weg. Obwohl mich die Geschichte weiter nicht interessierte, fand ich dann doch die Tasache etwas komisch, dass da Frau Ferres so einfach mit der Bahn nach Lübeck fährt.
Vielleicht machte ich mir zu dieser anbrechenden Nacht aber auch kein Abendbrot, sondern Gedanken – zumindest kündigte ich bald darauf den langweiligen Job in Hamburg.

Einige Monate später heuerte ich als Komparse bei Heinrich Breloer´s Produktion „Die Manns“ an.
Der Regiesseur drehte einige Szenen seiner Thomas-Mann-Film-Biografie in der Stadt und näheren Umgebung.
Breloer war historisch korrekt, die Sache machte Spass und obendrein gab es auch noch Bares.
Das war nämlich in so fern spassig, da die gesamte Produktion im Lübecker Rathaus eingekleidet wurde und sich den ganzen Tag ein Tross von Kompaserie und Darsteller in historischer Kleidung und Uniform durch Lübeck, zu den Drehorten, bewegte.
Sinn und Grund des Spektakels war den Lübecker jedoch schwer verständlich zu machen, an der Beckergrube pöbelten mich ungebildete Punks an („Scheiss Ami!“), da ich in amerikanischer Uniform eines Soldaten des Jahres 1945 eingekleidet wurde.
Nazi-Uniformen waren unter den Darstellern beliebter.
Die bekamen nämlich kurioserweise von japanischen Touristen Trinkgeld für Beteiligungen an Gruppenfotoaufnahmen; die Asiaten durchschauten also die Medien-Show.
Der Hitler-Gruss wurde hingegen freundlich, aber bestimmt, verweigert.
In Warnsdorf am Hemmelsdorfer See gab es dann eine grössere Szene.
Ob Veronica Ferres, die in diesem Film Nelly Kröger, die Geliebte des Heinrich Mann, spielte, auch irgendwo in der Nähe war, weiss ich nicht.
Wir gaben jedenfalls eine Hand voll Presse-G.I.´s, die einem Freiluft-Interview mit dem Reichsmarschall Göring beiwohnten. Unter diesen amerikanischen Pressesoldaten befindet sich auch Klaus Mann, der vom grossartigen Sebastian Koch verkörpert wurde.
Die ganze Szenerie fand so tatsächlich kurz nach dem Krieg in England statt. Der dicke Reichsmarschall wurde später in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt und entging der Todesstrafe durch Selbstmord.
Der Plot fand übrigens vor dem Schloss Warnsdorf statt, das Gebäude hat einen passenden englischen Flair.
Auf Anweisung der Regie setzte ich mir meine Sonnenbrille auf, dass sollte authentischer wirken.
Anschliessend gingen alle Komparsen mit Herrn Koch eine rauchen.
Etwa zeitgleich erfuhr ich aus der Lokalpresse, das Veronika Ferres vor diesen Dreharbeiten regelmässig die Sprachpraxis eines Lübecker Schauspielers aufsuchte, um den norddeutschen Slang zu trainieren und sich so besser auf ihre Rolle der Nelly Kröger, immerhin eines Fischerstochter aus Niendorf (bei Travemünde), vorzubereiten.
Aber eigentlich interessierte mich das gar nicht.

Rund ein weiteres Jahr später wurde das Breloer-Werk über den Lübecker Schriftsteller dann im Fernsehen ausgestrahlt.
Ich erkannte mich anhand meiner Sonnenbrille in der betreffenden Szene und war recht zufrieden.
Weshalb ich aber Frau Ferres im Zug gegenübersitzen musste, weiss ich bis heute nicht, und dass ist auch alles.

Denn wie ich es hier auch drehe oder wende: in dieser Geschichte ist irgendwie der Wurm drin.
Dabei waren am Anfang meiner Fantasie kaum Grenzen gesetzt.
Dies sollte nämlich eine brennende Liebesgeschichte zwischen einer grossen Schauspielmimin und einem kleinem Schreiber werden.
Eine Geschichte, die ihre melancholischen Höhepunkt mit einer schmerzender Abschiedsszene inmitten dem rauchigen Nebel der stampfenden Lokomotive setzt und eine dramatische Wende im turbulenten Rückeroberungsversuch des jungen Schreiberlings am Set der findersteren Film-Mogule eingehen sollte.
Eine Geschichte also, in der selbst plumberer Gefühlsregionen animiert und gereizt werden könnten und die ein literarisches Zeugniss der klassenlosen Liebe abgegeben hätte.

Meine Freundin mahnte hingegen, bei der Wahrheit zu bleiben und ich fügte mich.

Ausserdem könnte es Ärger mit Frau Ferres geben; schliesslich würde, wenn schon nicht sie selbst, zumindest doch irgendwelche Zuträger im Internet lesen, und dass wäre dann vielleicht sehr peinlich.

Deshalb die Wahrheit, ´tschuldigung.

Frau H aus B
20.03.2004, 00:30
Kann das mal jemand redigieren, bitte?

rron
20.03.2004, 00:32
Ist das nicht der Jockel-Clackör? Falls ja, kann Jockel da mal "drübergehen" und es für die "breite" Masse lesbar machen? *knickknack*

rron
20.03.2004, 00:41
Hopperla, Frau H! Schön Sie hier anzutreffen. Aber überraschend. Eine Frau wie Sie, in dieser Umgebung!?!

Herr Genista
20.03.2004, 00:44
Der vorletzte Absatz gefällt mir ganz gut.