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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Eine Wohnung in Wien



en corè
13.03.2004, 00:51
Es war kurz vor dem Jahreswechsel 1999/2000 und ich lebte gerade in Wien.

Mein Freund R. hatte keine Wohnung, wenig Geld und ein kleines Engagagement in einem winzigen Musicaltheater in der Nähe der Oper.

Ein Freund seiner Schwester vermittelte ihm dann anderthalb Zimmer zur Untermiete in der Leopoldstadt.

Die Zimmer waren hell, preiswert und möbliert. R. war sehr zufrieden.

Er lud mich und meine Freundin zum Schnitzelessen ein.
Die Wohnung war in der Springergasse.

Das Treppenhaus war riesig und dunkel, an der Tür der Wohnung waren viele durchbrochene Polizeisiegel. Im Flur ging es links zu den Zimmern vom Mitbewohner Siggi und geradeaus zu einer Wohnküche, von der wiederum Rs anderthalb Zimmer abgingen.

Vor der Küche stand ein Kiefernbohlenregal mit vielen kleinen Flasche drin. Flaschen, wie man sie auf Flohmärkten zusammenkauft, wenn man sowas sammelt. Jede Flasche hatte eine andere Farbe und ein sorgfältig beschriftetes Etikett ("Marille 1998", "Boskop 1996", "Latschenkiefer" usw.)
Es standen immer nur vier oder fünf in einem Regalfach mit viel Platz dazwischen.

Die SChnitzel waren schlimm. R. hatte aus Versehen oder aus Sparsamkeit 'Siedfleisch' (bin mir nich sicher), auf jeden Fall kein SChnitzelfleisch gekauft und die Dinger waren zäh, voll mit Sehnen, einfach unvergesslich schlecht.

R.s Zimmer waren wirklich schön: das kleine nach vorne zur Springergasse mit SChreibtisch und Regal, das grosse mit weitem Doppelbett nach hinten zum ruhigen Hof.

Das Joy Divison Poster an der Wand war bestimmt nicht von R,, der war mal Wiener Sängerknabe gewesen und hat mit sowas nix am Hut.

Irritierenderweise war der schöne Parkettboden weitgehend ruiniert, als hätte jemand alle Bretter einmal rausgehackt und dann irgendwie wieder draufgelegt,Teppich drüber und fertig.

Ich fragt R. danach und er erzählte, dass bevor er eingezogen ist zwei deutsche Terroristen in den beiden Zimmern gewohnt hätten. Dann wäre die Polizei dagewesen, hätte alles umgestülpt, den Boden aufgehackt und jetzt wäre er halt eingezogen. Und ja: das Joy Divison Poster und die Likörflaschen im Regal wären auch von den Terroristen gewesen, hätte die Polizei aber dagelassen.

Er hat mir dann das Joy Division Poster geschenkt (hab ich beim Umzug verloren, mochte díe Musik auch nie) und eine Flasche mit dem Latschenkiefernlikör, die hab ich noch. Hab mich nie getraut sie zu öffnen, vielleicht stinkt es dann und ich muss sie wegwerfen. Sie ist mit einem kleinen selbstgeschnitzten Korken verschlossen und mit feiner Handschrift beschriftet. Ein kleiner Zweig steckt auch drin.
Das war bestimmt Andrea Klump, die den Likör gemacht hat. Ich glaube nicht, dass ihr Kompagnon Liköre hergestellt hat. Das war der der erschossen worden ist, auf der Flucht.

Andrea Klump lebt noch, habe ich gelesen. Ihren Namen hab ich mir gemerkt, weil ich die noch von den Steckbriefen in den Achtzigern auf den Postämtern kannte.
Die Diskrepanz zwischen ihrem schönen Gesicht und ihrem komischen Nachnmamen hatte sich mir eingeprägt. Sie sah so ähnlich aus wie die Stummfilmfrauen, in dem Buch "Sexus, Eros, Kino", das ich regelmäßig aus dem Regal meiner Eltern lieh.
Ich fand sie wahnsinnig schön.

elinor
13.03.2004, 01:04
Schenken Sie mir das Wort Engagagement?

Ein Plakat von Joy Division zu verlieren und deren Musik nicht zu mögen - hmm.

Alberto Balsam
13.03.2004, 01:10
Der Boden ist wohl von der Polizei aufgehackt worden, um Waffen, Geld, Beweise oder sowas zu suchen. Ich erinnere mich an die Geschichte, 2 Untergetauchte, wie traurig, in ihrer "Freizeit" Likör anzusetzen, vielleicht ist ja in der einen Likörflasche irgendwas, ein Röllchen mit Tausendmarkscheinen

Herr Genista
13.03.2004, 01:12
Oder ein Kassiber. Ich glaube übrigens, daß man mit Gedanken an Siedfleischschnitzel einem hungernden Menschen Linderung bringen kann.

Alberto Balsam
13.03.2004, 01:18
Siedfleisch, Siedfleisch, was mag das sein? geräuchertes Fleisch? Also Selchfleisch, wie man hier sagt?
Aber Sieden ist ja Abkochen, hm.
Ich, Matjesfan, frag mich immer mal wieder, was eigentlich passiert, wenn man Matjes brät, was da so rauskommt.

Herr Genista
13.03.2004, 01:28
Siedfleisch ist Fleisch minderer Qualität, zur Versuppung und Auskochung verwandt, soweit ich weiss. A Gselchts hingegen ist die Höh des Geschmacks, und jetzt weiss ich endlich auch, was der Kreisler meint, wenn er das singt.

Herr Genista
13.03.2004, 01:29
Der König der Wortspieler (http://www.google.com/search?q=Matjestät).

Alberto Balsam
13.03.2004, 02:16
Ich hab mal in Schweden, auf einer der Alandinsel einen unfassbar sauren Fisch gekauft, der war aber nicht in Essig eingelegt, der war nur sauer, natursauer, und mein Freund Thomas briet ihn, ich hab leider vergessen, was rauskam, irgendwie ungenießbar zumindest, wir haben ihn über Nacht auf einen Ameisenhaufen gelegt, am nächsten Tag war er weg. Thomas meinte, eine Waldkatze hätte ihn geschnappt, ich wollte ihn von der Gierigkeit der Ameisen überzeugen, weil ich mal in meiner Jugend einen toten Spatz auf einen Ameisenhaufen gelegt hab, und täglich beobachten konnte, wie sie, meine kleinen Brüder, ihn zerlegten, zuerst alle Federn abknabberten, dann das Fleisch, dann die Knochen in Bröckchen in den Haufen schleppten, ok, das ging über Tage, der saure Fisch wär nicht so schnell abtransportabel gewesen, aber man verklärt doch so manches im einsamen Wald, wo unsere Hütte und unser Haufen stand. Vielleicht wars wirklich eine Waldkatze, ich muss ihn mal morgen anrufen, "Thomas, ich glaub es war wirklich eine Waldkatze, damals, der Fisch auf dem Ameisenhaufen, tut mir leid wegen dem Streit, du hattest recht"
Aber fressen Katzen saure Fische?
Atmen Eier?
Was trinken Wale?

http://www.hoeflichepaparazzi.de/forum/showthread.php?s=&threadid=20645

Bartholmy
13.03.2004, 02:28
Ich glaube nicht, dass Katzen Sauerfisch fressen; andererseits: Schwedische Waldkatzen - wer weiß. Deutsche Hauskatzen fressen Spitzmäuse nicht, bzw. sie versuche das schon, wenn sie noch jung sind und kotzen hernach die Wohnung voll. Dann tun sie es nicht mehr, sie töten die Spitzmäuse natürlich trotzdem, wie üblich, legen sie dann aber - so zumindest Karlo und Kalle - sauber als Strecke gereiht (pro Nacht kamen gelegentlich in der Spitzmaussaison bis zu Stücker fünf zusammen) auf den Allwetterteppich auf der Terrasse.
Ich habe dann mehr als einmal eins der Spitzmäuschen - das wusste ich aus Sachkunde oder aus "Knall auf Fall" in eine Pappschachtel gesteckt und um die Ecke in den Wald getragen und auf einen Ameisenhaufen gelegt. Kurze Zeit später konnte man sie Schachtel abholen und das Spitzmausskelett studieren - sehr kleine Knochen.

Alberto Balsam
13.03.2004, 02:32
ich hätte die Gehörknöchelchen rausgefummelt, Spitzmaushammer, -steigbügel, -amboss, gute Aufgabe eines Pfadfinders

Bartholmy
13.03.2004, 02:41
Die Spitzmaushämmer und -ambosse entnehmen bereits die Ameisen, sie fertigen damit aus verlorenen Schusternägeln Notrufsäulen die dann die Ameisenstraßen säumen. Die Spitzmaussteigbügel brauchen die Ameisen auch um Blattläuse aufzuzäumen auf denen sie dann im Ameisentempo die Ameisenautobahnen entlangsausen - bis es eben auch mal kracht. Dann kommen die Notrufsäulen ins Spiel.

Alberto Balsam
13.03.2004, 02:46
Bart, wenn du in Wien bist, gehen wir ins naturhistorische Museum, da gibts tausende von Singvögelgehörknöchelchen, in Schubladen

Bartholmy
13.03.2004, 02:54
Machen wir. Ich war eben bereits am Grübeln, wie sich der Ameisen-ADAC rekrutiert - und mir fiel keinekeine Antwort ein. Aber in Österreich gibt's ja keinen ADAC, also Problem gelöst.

Singvogelgehörknöchelchen in Schubladen - zuvor muss ich dann noch eine Stimmgabel kaufen. Machst Du ein Foto, wie ich die Stimmgabel schlage, neben den Schubladen mit den feinen Knochen die's, fein oder nicht, doch nicht mehr hören können?

Herr Genista
13.03.2004, 03:03
Kann man auch verblichene sagenwir Schäferhunde oder Elefanten auf Ameisenhaufen legen und so Skelette erhalten? Und muss man die Knochen dann zusammenkleben oder -schrauben, oder lassen die Ameisen die Knorpel erstmal dran?

Ungeahnte Möglichkeiten erschließen sich.

Bartholmy
13.03.2004, 03:10
Eine einführenswerte Redensart:
"Du benimmst dich mal wieder wie'n toter Elefant auf'm Ameisenhaufen."

Knorpel - weiß nicht. Aber die Bezeichung "Knorpelschneiderameisen" leuchtet mir unmittelbar ein.

bilderbuch
13.03.2004, 03:52
Merkwürdige Schwarmwesen, die Ameisentierchen. Frühsommertags hinter meinem Bastelschuppen, kurz vor Coniferenhecke, hatte ich ein kräftiges Summen gehört, das nicht aufhören wollte. Gesummt hat eine stattliche Fliege, eine solche, wie man sie nur im Freien sieht. Proportionen wie eine Stubenfliege, aber mindestens doppelt so groß und eine deutlich abgesetzte Grauzeichnung. Riesenaugen im Gesicht. Fleischfliege heißt die Art glaube ich. Aber denk jetzt keiner an diese metallisch grün schillernden Aasfliegen. Nein, grau und groß!
Eine kleine Ameise, kleiner als die Fliege, hat sich in eines ihrer Beine verbissen. Fliege versucht fliegend zu flüchten, aber das klappt nicht, weil Ameise den Biss nicht lockert und sich mit dem Großteil ihrer Füsse in den rauhen Asphalt klammert. Fliege summt mächtig weiter, eigentlich müßte es die Ameise zerreissen, aber die behauptet sich prächtig. Plötzlich erscheinen Kumpels von Ameise auf der Asphaltfläche. Die Situation wird von denen sofort begriffen und man versucht, weitere Extremitäten der Fliege in den Griff zu kriegen. Aber Fliege merkt, was ihr droht, strengt sich doppelt an und jetzt müßte sie eigentlich abheben, wenn Ameise nicht losläßt, dann halt mit ihr in die Luft gehen. Ameise hält sich nur noch mit dem hinteren Beinpaar am Boden und gleich hat die Fliege es geschafft. Da packt ein Ameisenkumpel den Verbissenen am Bein und wird von noch einem Kumpel ebenfalls am Bein gegriffen und der wieder von einem und der auch und der auch und ruckzuck hängt die fette Fliege an einer Kette von Ameisen, fliegt an der Leine. Nicht mehr lange und ihre Kraft läßt nach, am Boden recken und strecken neu dazugekommene sich nach dem Brummer und bald wird die erschöpfte Fliege aus ihrem Taumelflug gegriffen und überwältigt. Zeitgleich werden der Ohnmächtigen die Flügel und die Beine abgekaut und schließlich der wehrlose Rumpf zersägt. Es bleibt nichts übrig, die Versammlung löst sich auf und die Coniferen duften in der Maisonne.

Mrs. Passmore
13.03.2004, 10:25
Vor meinen Augen haben's mal zwei Ameisen miteinander getrieben. Es war im Mai 1994. Ich erinnere mich genau.
Aber Ihre Geschichte ist viel aufregender - weitaus besser als "Universum".
Seien Sie bedankt!

Peter Bean
13.03.2004, 15:28
1992 war ich auf einer paläontologischen Studienreise in Wyoming und den angrenzenden Bundesstaaten. Unser Paläontologie-Professor aus Bonn war Wirbeltierspezialist und sammelte alle rezenten und fossilen Knochen und Skelette, die er finden konnte. Am Ende der Reise, in der Nähe der Grand Teatons, die übrigens so heissen, weil französische Einwanderer in den spitzen Bergkuppen die Form von Titten erkannt haben wollten, fanden wir ein amerikanisches Stachelschwein.

Erst dachten wir, das Tier wäre tot, aber dann regte es sich. Schliesslich war es doch tot, denn es regte sich nur, weil Armaden von Ameisen und Käfern das Tier bevölkerten. Der Professor war begeistert und da er nach der Reise noch auf einen Kongress musste, beauftragte er seine Mitarbeiterin Bärbel, die übrigens auch schöne Teatons hatte, das Tier in einem doppelten Müllsack mit nach Deutschland zu nehmen. Bärbel allerdings wollte noch eine dreiwöchige Urlaubsreise mit Leihwagen und Freund durch die Staaten unternehmen. Als persönliche Assistentin hatte sie keine Wahl. Und so wanderte das Tier in die Kofferräume diverser Leihwagen. Abends, so erzählte sie später, wurde der stinkende Kadaver wenn es möglich war, an einen Baum gehängt, so dass Ameisen und Fliegen ihr Werk verrichten konnten. Der Rest wurde am Ende dicht verpackt in einem Koffer verstaut.

In Bonn mussten die sterblichen Überreste nur noch etwas mazeriert, d.h. stundenlang gekocht werden. Das Skelett müsste heute im Besitz des Institutes für Paläontologie der Universität Bonn sein. Und ich glaube, Ameisen treiben es nicht miteinander. Sie haben eine Königin, die tief im Bau permanent Eier legt, und der große Rest ist sexuell schlicht desinteressiert oder schwul, genau wie rund zehn Prozent aller Schafe.

Herr Genista
13.03.2004, 20:54
Und genau wie Ameisen kriegen Schafe einmal im Jahr lange, schillernde Flügel und landen dann in meinem Milchspeiseeis auf der Außenterrasse, es ist jedesmal ein Riesenärger.

elinor
13.03.2004, 21:16
Eines Morgens, ich war etwa fünf Jahre alt, schlug ich die Augen auf, die Sonne schien, beide Fenster waren weit geöffnet und ich bemerkte, etwas war anders als sonst. Kein Wunder - das Zimmer war schwarz. Die Wände, der Boden - sogar meine Bettdecke. UND DAS SCHWARZE BEWEGTE SICH. Ich schrie und schrie. Meine Mutter kam nackt und barfüßig herbeigeeilt und begann ebenfalls zu schreien, als sie in dieses wuselnde Schwarze hineintrat... Ein riesiger Schwarm Ameisen hatte sich in meinem Zimmer niedergelassen.

zange
13.03.2004, 22:01
Früher, ich war noch ein ganz kleiner Mensch und vielleicht sieben Jahre alt, nahm mich die Familie zum Pilzesammeln in ein nahe gelegenes Waldstück mit . Bald musste ich groß. "Da", bedeutete mir die Omama, "nimm diesen kleinen Hügel, hock dich drüber und wisch dir den Popo dann fein ab." Gesagt, getan. Der Hügel war ein Ameisen-Wohnheim. Die Bewohner fanden das gar nicht nett, dass ich sie beschiss. Sie ließen sich nicht lange lumpen und starteten eine Großoffensive. Schnell erklommen sie Bein und Genital. Das Geschrei war groß. Der Schmerz auch.

en corè
13.03.2004, 22:13
Kaum ist mam mal ein paar Stunden weg, ist der Strang voller Ameisen. Siedfleisch für die Fütterung:

bilderbuch
13.03.2004, 23:26
en core! Ich habe Ihnen noch zu sagen, dass Ihre Geschichte mir gefällt. Außerdem bitte ich Sie, meine nervös-gierigen Ameisen und deren Hopplahopp-Strang-Ist-Unser zu entschuldigen. Kleine mistviecherige Insektenbrut!! Und immer was Neues am Lager, z.B. als da neulich diese Libelle vor meine Füsse fiel...