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NamedesUsers
04.11.2003, 21:56
Paparazza, höfliche

Monotones Gemurmel, sanftes Stimmenrauschen, farblos und eintönig, vielfältig einsilbig, aufbrandend und abschwellend, ermüdend, einschläfernd, gerade noch wach haltend, dringen die Gesprächsfetzen an mein Ohr. Sanftes, seichtes Schlummern im schaumigen Café, lauschend auf die pulsierenden Stimmen derer, die nachmittäglich Zeit. Dann mein plötzliches Aufhorchend: „Stopp, da war doch was! Nochmal!“, gefolgt von innerlichem Zurückspulen und einer Entdeckung: „Da, hier ja, an dieser Stelle, da sind sie gefallen, die beiden Worte: höfliche Paparazzi.“

Trotzdessen ich das heiße Zischen des Milchaufschäumers, die garstig fauchende Kaffeemühle und polterndes Rest-Kaffee-Ausklopfen im Widerklang von hastig auf Untertassen geworfenen Löffeln höre, orte ich die Urheberin der beiden Worte.

Denn direkt nebenan spricht ihre kalte, klare Stimme: „Es ist ein phantastisches Forum. Die einmalige Dokumentation von Zeitgeschehen.“

Die reichlich mit Spiegeln bedachten Wände, werden von mir genutzt, um nicht beim Betrachten des Gesprächspaares aufzufallen. So sammle ich Mosaiksteine einer unvollständigen kaleidoskopischen Erscheinung.

Lange Arme, harmonisch zu Hand und Fingern; die Haare blond, gelockt, gefärbt, gegelt; trotz brauner Augen ist ein Ausdruck von Unnahbarkeit zu vermerken. Sie trägt die Brille als schwarzberänderten Abstandhalter; ihre Stimme ist kühl, wissend, intellektuell, streng, sexy; schlanke Beine strecken sich unter dem Bistro-Tisch durch eine braune Wildlederhose.
Ihr Gegenüber ist männlich, braungebrannt, in engem T-Shirt. Ein unrasiertes, eckiges Kinn über behaarter Brust zwischen muskulösen Schultern; breit aber nicht zu breit. In die sonnenbebrillten Augen wird keine Einsicht gewährt. Der Po kantelt am Sitzflächenende des Stuhls - die Körperhaltung eines lässigen Hundes. Seine enganliegende Jeanshose reibt an ihrem wilden Leder.

„Hm ja“, entgegnet er und sie spricht weiter.
„Noch nie war es möglich, dass so viele hochkarätige Leute gemeinsam an einer Stelle über einen langen Zeitraum öffentlich kommunizierten.“

Ihr Gesprächspartner entdeckt etwas im Mund und beginnt zu forschen. Die suchende Zunge beult Wanderhügel in die Wange. Unrasierte Haut steigt auf und läuft in Wellenform aus. Ein kleiner roter Pickel wird gehoben. Es scheint als schaue er verwundert in die Runde und genösse den erhabenen Augenblick, um danach wieder im Stoppelfeld zu verschwinden. Das Munderforschungsteam wird um einen Zeigefinger verstärkt. Als ich ein leises, schabendes Geräusch höre, wechsle ich den Mosaikstein. Hin und wieder gurgelt er zustimmend, ein kehliges Geräusch, gebrochen durch Zunge und Finger.

Sie spricht davon, dass man das großartige höfliche-Paparazzi-Forum geschaffen habe, ein Forum wo abgemurmelt, abgetextet und abgesnobbt wird. Alles verdammt ernst und oft sehr lustig. Das Niveau in allen Hinsichten - besonders in literarischer - hoch. Sie fürchte das Forum stürmende und okkupierende, nichtsnutzige Schreiberlinge und mediale Verwässerung. Das Forum sei Filter, Werk, Schöpfung und Definition zugleich. Sie bete, dass es stark genug sei, jeden Ansturm zu ertragen. Dann schweigt sie.

Langsam rieselt Wirkung durch die filternde Sprechpause. Über das Gesicht des Jeans-Mannes läuft ein nahezu unmerkliches Zucken, das Zustimmung vermuten läßt. Sie spricht weiter.
„Hinter jedem Pseudonym ein schneidiges Sprach-Schwert. Geübt im Umgang, punktgenau zerschneiden, sezieren, verletzen. Wir sind wehrhaft.“

Verwirrt, begeistert und ängstlich erstarre ich erfürchtig auf meinem Stuhl, als ich ihre Frage höre: „Sag mal, hörst Du mir zu?“ Heiß schießt mir das Blut in den Kopf. Ich schiele verstohlen zu ihr. Mir wird schwindlig und ein wenig kalt. Doch gerade, als ich um Entschuldigung bitten will, merke ich, dass ich nicht angesprochen bin. Sie fragt ihn noch einmal: „Sag mal, hörst Du mir überhaupt zu“.

Der Jeans-Mann läßt diesen einen Wimpernschlag verstreichen, den Moment, den es dauert um ein Auge zu benetzen.

Er zuckt resignierend ein verspätetes „Aber-sicher“. Doch es ist zu spät. Ihre Stimme schwingt ausholend, federt nach vorne und trennt leise, präzise und treffsicher die Worte „Ich-muss- pissen“. Die höfliche Paparazza steht auf und geht zu den Toiletten. Wir warten eine halbe Stunde. Dann bezahlt er beider Getränke und geht, weil er weiß, dass das Café bei den Toiletten einen zweiten Ausgang hat.

ingwer
04.11.2003, 22:06
das ist ausgedacht. so einen scheiß würde eine pappe niemals sagen.

bettyford
04.11.2003, 22:12
......nähere ich mich vorsichtig den Damentoiletten. Eine knifflige Situation, bin ich doch ein Mann, der schon von Geburt an dazu erzogen wurde, dass Frauen eben Orte nur ganz für sich alleine haben.

Durch die geschlossene höre ich Wasser rauschen, dann eine tiefe Frauenstimme "Und was dürfen wir nie wieder sagen?? Welche Formulierung werden wir in unserem ganzen Leben nie wieder benutzen??" Die Tür wird aufgestossen, eine entsetzte junge Frau stürmt an mir vorbei, ich erhasche einen Blick nach innen. Die schlanken wohlgeformten Beine in der Wildlederhose knien vor der Toilettenschüssel, eines stoesst immer wieder nach hinten aus, trifft aber nicht die nicht mehr ganz so junge pummelige Frau mit der gebräunten Haut und den irgendwie zu kurz geschnittenen Haaren, die die blonden Haare in der Faust hält und immer wieder in die Toilettenschüssel tunkt, ehe sie spült. "Ich werde nie wieder etwas von Sprachschwertern sagen! Nieeeglglglglg" Wieder landet ihr Kopf im Wasser, die Dunkle tritt ihr die Knie weg, so dass die Paparazza neben der Toilette zusammensackt. Ein kleines Gerinnsel Blut läuft ihre schmale Nase hinab und zieht helle Schlieren durch das Wasser das aus ihren Haaren rinnt.
Die pummelige zieht ihr zu enges Top zurecht und zündet sich eine Zigarette an. "Und merk dir" zischt sie "Du bist keins der coolen Kinder.Und überhaupt: Wildlederhosen!" Als sie an mir vorbeiläuft, trifft mich ein kalter Blick. "Guckst du oft Frauen beim Pissen zu, du kleine Nutte?" Eine Rauchwolke hüllt mich ein.

Herr Genista
04.11.2003, 22:16
Jeremy?

Murmel
04.11.2003, 22:41
Aber hallo, Herr Genista. Heute sagt er gerne Mosaiksteine.

Benzini
04.11.2003, 22:48
Jugend trainiert für Klagenfurth.

Frau H aus B
04.11.2003, 23:05
Die Beschreibung der Frau - wir kennen sie natürlich alle - ist nicht ganz akkurat. Sie müsste lauten: "Lange Arme, harmonisch zu Patschhand und Wurstfingern; die roten Haare blond, gelockt, raspelkurz, gefärbt, gegelt, turmhoch toupiert; trotz brauner, stahlblauer Augen ist ein Ausdruck von warmer Unnahbarkeit zu vermerken. Sie trägt die Nickelbrille um den Hals, als schwarzberänderten Abstandhalter; ihre piepsige Altstimme ist kühl, wissend, intellektuell, streng, kindlich, sexy; schlanke, pummelige Beine strecken sich unter dem Bistro-Tisch durch eine braune Wildlederjeans."

Jeremy
04.11.2003, 23:16
Uff Herr Genista, jetzt erst geschafft. War noch dingsen. Falls Sie, dass ich, also NamedesUsers als Zweit, dann muss ich Sie enttäuschen. Ich weiss nämlich, wie man ehrfürchtig schreibt. Ein wasserdichtes Alibi. Ansonsten was Benzini. Fuck. Und recht.

Jeremy
04.11.2003, 23:18
Ausserdem benutze ich grundsätzlich nie das "esszett" als Buchstaben, und meine bewundernde Distanz-Phase ist lang vorbei.

Auge
05.11.2003, 00:00
was ist den "abgetextet", was soll das denn bedeuten?
Zutexten kenn ich, aber ich bin ja relativ neu hier im Forum, ich kann nicht alles kennen. den Mann in der Wildlederhose zumindest kenn ich schon, das ist Valmont, der wohnt in Saarbrücken, arbeitet beim Radio, hat einen süßen Arsch, das sind so meine Mosaiksteine

Murmel
05.11.2003, 00:03
Aber Valmont, der hätte das Forum ja gekannt.

Auge
05.11.2003, 00:06
oh, da hab ich mich wohl vergallopiert, Marlon arbeitet auch in Saarbrücken beim Radio, der trägt gerne Dreiteiler, Mann, ich weiß schon einiges

Klaus Caesar
05.11.2003, 00:15
Mir gefällt an der Geschichte gut, daß da das Wort "Jeanshose" drin vorkommt. Das habe ich zuletzt in meinem neunten Lebensjahr gehört, in der Wendung "Willst du deine Jeanshose oder deine gute Hose anziehen?"

Florentine Pogen
05.11.2003, 00:24
Ursprünglich gepostet von Frau H aus B
Die Beschreibung der Frau - wir kennen sie natürlich alle - ist nicht ganz akkurat.

So so. Also ich kenne sie nicht.

bettyford
05.11.2003, 00:24
Da dräut diese verdammte Zitierfunktion schon am düsteren Neulingshimmel. Zehnerwette. Alter.

Damn, zeitgleich.

Auge
05.11.2003, 00:25
Nein, KC, das Gegenteil von Jeanshose ist Stoffhose

Klede
05.11.2003, 00:29
Stoffjacke wohl eher.

Eben habe ich bei Spiegel Online (hier genau) (http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,272542,00.html) gelesen, dass "die grosse Blase der juengeren deutschen Popliteratur an ihrer eigenen Oberflaechlichkeit" zerplatzt sei. Hat Manteljulia doch einen Verleger gefunden? Ist das Buch schon raus?

NamedesUsers
05.11.2003, 00:53
Liebe Mitglieder,

damit wir die wichtigen Fragen in aller Ruhe, mit der nötigen Klarheit, Nachdruck usw. klären können, möchte und muss ich auf die nachfolgende Abstimmung hinweisen.

Bitte hier klicken, für wichtige Abstimmung! Helft mit, wieder eine tragende Frage demokratisch zu beantworten. (http://www.hoeflichepaparazzi.de/forum/showthread.php?s=&threadid=20014)

Danke, danke, danke.

1A Trottelindikator
05.11.2003, 01:01
ping

Klaus Caesar
05.11.2003, 01:13
Das habe ich nicht gewollt!

Herr Uffelmann
05.11.2003, 01:16
NdU. Abgekürzt klingen Sie wie ein Kürzel für was politisch Blödes. Ausgeschrieben ist es nur noch blöd. Gehen Sie raus. Erleben sie was Eigenes.

NamedesUsers
05.11.2003, 01:41
Da muss ich Ihnen recht geben. Die Abkürzung NdU macht wirklich nichts her. Ich habe sie bisher erst ein oder zweimal ausprobiert, wollte aber eigentlich wieder damit aufhören, als ich sah, wie traurig es da so geschrieben steht. Jetzt haben Sie das hier aber nun publiziert, was soll ich denn nun machen?

Wahrscheinlich hat Ihnen meine kleine Ironie in Posting 18 so übel augestoßen, was diese Abkürzung anbelangt. Ich sags ja, mit der Ironie muss man vorsichtig sein, besonders wenn man nicht mehr weiß wie rum sie gemeint ist.

Naja.

Name des Users finde ich gar nicht so blöd. Im Gegenteil, es ist sogar ein wenig witzig (klein wenig nur). Da Sie bereits seit Feb 2002 hier immatrikuliert sind, ist Ihnen bestimmt entfallen, dass man, wenn man sich hier neu anmeldet, ein Feld ausfüllen muss und eine Eingabe gewünscht wird, die da lautet: Name des Users. Kennen Sie das, wenn es in den Fingern juckt? Wenn sie es sich nicht verkneifen können, einen kleinen Witz zu machen. Das haben Sie doch bestimmt schon erlebt, hm. So ist es mir jedenfalls ergangen. Tja. Wenn sie meinen, dass der Witz einfach nur blöd ist, na gut. Aber eigentlich ist das dann nicht mal eine Bemerkung wert. Jetzt habe ich mich aber wirklich hinreißen lassen und habe auf Ihre ein zwei Zeilchen beschämend viel geschrieben.

Ach, ich vergas noch hinanzufügen: Morgen werde ich einmal raus gehen. Nicht erst Nachmittags, so wie sonst immer hier. Danke für den Ratschlag! Beherzigen ich ihn werd!

Benzini
05.11.2003, 02:42
Zudem noch ein Stoiker, der heldenhaft zu peinlichstem Scheissdreck stehen wird. Respekt.

DonDahlmann
05.11.2003, 03:20
Auge, es heißt laut ABC

"abtexen = -> Grinsevermüllung der realen Umwelt durch Mundwinkelhochziehen nach versuchtem -> abmurmeln"

Und Du hast es erfunden. 2001, August, Wien. Erstes Opfer Murmel.

Achja, der Text. Hm.
Ich hab heute Mittag überlegt, ob ich hier reinschreiben soll, dass ich Wolfgang Herrendorf paparazzt habe. Er fuhr genau vor mir auf die Straße. Kam aus der Einfahrt vom "Ballhaus Berlin" in der Chausseestrasse, aber das muss nicht bedeuten, dass er da seine heimliche Leidenschaft für Tischtelefone ausgelebt hat. Da ist ja schließlich noch ein Backpacker Hotel. Vielleicht wollte er nur mal woanders schlafen. So Schriftsteller sind ja manchmal sonderbar. Aufgefallen ist mir, dass er a)neue Adidas an hatte (dunkelblau) und b)sein Hinterreifen ziemlich abgefahren aussah. Ich wollte ihn gerde ansprechen, da bog er ab zum "Extra-Markt".

Aber eigentlich wollte ich was anderes schreiben, nämlich dass man sich bitteschön den Film "Gambling, God & LSD" nicht anschauen soll. Danke.

Lenin
05.11.2003, 15:19
Sprachlich finde ich den Text teilweise gut ("Langsam rieselt Wirkung durch die filternde Sprechpause"), teilweise unnötige Nebensächlichkeiten ausbreitend, ("heiße Zischen des Milchaufschäumers, die garstig fauchende Kaffeemühle und polterndes Rest-Kaffee-Ausklopfen im Widerklang von hastig auf Untertassen geworfenen Löffeln"), aber dann auch wieder sehr lustig ("Das Munderforschungsteam wird um einen Zeigefinger verstärkt").

Inhaltlich ist er etwas schwach, denn was soll das? So wie von NdU beschrieben redet doch kein(e) mit den Gepflogenheiten Vertraute(r) über dieses Forum. Obwohl auch ich reflexartig den Äußerlichkeiten-Scanner anwarf. Es kamen aber kaum Übereinstimmungen heraus (vielleicht Bucuresti?). Aber ich komme ja auch nur noch selten auf die Treffen.

Besonders der Abgang durch den Hinterausgang ist etwas zu sehr ausgedacht. Andererseits: als Gegenüber einen Typen, der ein Munderforschungsteam braucht, wodurch ein Wangen-Pickel "scheint als schaue er verwundert in die Runde und genösse den erhabenen Augenblick, um danach wieder im Stoppelfeld zu verschwinden". Da würde vielleicht eine zarte Seele gerne auf englisch verschwinden, doch.

Frau Rossi
05.11.2003, 16:38
Zarte Seele? Hier in diesem Forum??

hanswasheiri
05.11.2003, 17:29
lenin, wie muss ich das verstehen, dass eine Wirkung durch einen durch Sprechpausen erzeugten Filter rieselen kann bzw. warum ist das gut? nur so eine frage, ich will das wirklich wissen, ich denke jetzt aber schon 5 minuten drüber nach und es erschliesst sich mir einfach keinen sinn und schon gar keine qualität. bin ich dumm?

Lenin
05.11.2003, 18:10
Ein Swiss Quality Member KANN ja gar nicht dumm sein, aber vielleicht denkt es schneller (zu schnell) und benötigt keine Sprechpausen, die - im übertragenen Sinne - einem Filter gleich das Sortieren des eben Gehörten ermöglichen?! Dass nun die Filtrierung im NdU-Text keine sinnhaltigen Gedanken, sondern rieselnde Wirkung ergibt, sah ich als eine Verdichtung durch Weglassen. Und wenn das SQM auf diesen Gedanken trotz 5-minütiger Denkanstrengung nicht kommt, hätte ich ein circuläres Logikproblem. Da muss uns dann Elpenor heraushelfen. Oder Du begnügst Dich mit dem Nicht-Verstehen, muss ja nicht.

Lenin
05.11.2003, 18:13
Zarte Seele! Hier in diesem Forum!

Aporie
05.11.2003, 18:52
Das Niveau in allen Hinsichten einfältig, vielsilbig, stampfendes Tittenrauschen, arglos und eintönig, gerade noch flach haltend, trotzdessen Leninsches Aufhorchen, das punktgenau treffsichere Ohr am schaumigen Autodafé, das Auge, aufbrandend und der Pimmel abschwellend versucht er, das Hirn von Restgedanken leerend, diesen direkt aus der milchaufschäumenden nachmittäglichen Hölle kommenden Text kühl, wissend, intellektuell, streng, sexy zu würdigen und macht uns unvollständige kaleidoskopische Erscheinungen zu schwarzgeränderten Abstandhaltern.

honz
05.11.2003, 19:16
Da kann man so sehen, man kann es aber auch so sehen, was mir gut gefällt sind die schlanken Beine in Wildlederhosen, das macht mich nämlich geil, und das Gespräch, nun, ich wünsche mir, das es genauso stattgefunden hat, denn, eine gewisse Brillianz kann man diesem Scheisshaufen ja nun nicht absprechen, gerade jetzt, ein fröhlicher Ton durchweht zur Zeit die Stränge, Neue schreiben gut, Alte schreiben wieder, mich macht das im Moment sehr glücklich, komischereweise wird gar nicht mehr digestiert, dabei gäbe es schon was zu digestieren, z.B. die Geschichte von Kater und den Präzisionsschützen auf dem Balkon.

Lenin
05.11.2003, 20:22
sehnt sich nach der Aporischen milchaufschäumenden nachmittäglichen Hölle und schlanken Beinen in Wildederhosen

Apropos Präzisionsschütze auf dem Balkon. In meinen Laden kam gerade vorhin ein Dicker rein, der auf KLV in Ostpreußen war. Hä? Na, Kinderlandverschickung. Da wollte der Dicke auch wieder hin, Jugenderinnerungen auffrischen, Küsse erinnern, braune Beine in hirschledernen Hosen. Werde ich ihm helfen, Busticket, Visum, 2 Nächte EZ in billiger 70ies-Absteige in Kenixberrrg/Kaliningrad und ein Fahrer, der ihn morgens nach Klein Medenau bringt.

Weshalb er aber eigentlich vor meinem Laden auftauchte: Er besuchte gerade den Ort des vorletzten Gefechts des Al Capone von Berlin, "Doktorchen" Werner Gladow, Chef der Gladow-Bande. Mit der Polizei hatte er sich in dieser Straße 1949 beschossen, da von dem Balkon über meinem Laden. Er, Gehrke, hatte doch das Foto gesehen. Gladows Mutter hatte noch das Gewehr nachgeladen, oder so, durch Blutverlust ohnmächtig geworden, konnte die Polizei ihn und dann die ganze Gladow-Bande verhaften. Das letzte Gefecht fand im Gericht in der Torstraße statt, und im Dezember 1950 kullerte der Kopf. Da war "Doktorchen" 18 Jahre alt.

Weiterlesen? (http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt99/9907prof.htm)

Den Dicken musste ich enttäuschen, das Gladow-Schießerei-Haus steht eine Ecke weiter. Da ist im Krieg ein "Block-Knacker" reingefallen, der mittlere Teil des Hauses weggeblasen. Sieht jetzt ganz zeitgemäß aus, so mit dem Loch in der Mitte.

Auge
05.11.2003, 20:29
KLV nach Ostpreussen? Klingt komisch, weil direkt in die rote allesvernichtende Walze, meine Mutti, das Kind, floh ja deswegen aus Kenixberrrg, mit ihrer Mutti und dem Rest ihrer 5 Kinder

Lenin
06.11.2003, 12:05
Die Kinder wurden auch nach Ostpreußen geschickt. Als der Bombenkrieg die Städte schon erreicht hatte, war die Ostfront ja zunächst noch ein paar tausend Kilometer weiter östlich. Und dass die Russen das Reichsgebiet auch nur erreichen würden: das glaubten 1941/42 sehr wenige.

Den kleinen arischen Esser ging es in der straff organisierten Spaßgesellschaft der Nazis ja wunderbar: Bauernhof, Fahnenappell, Geländespiele, Lagerfeuer, Liederabend. Das alles gemeinschaftlich mit den anderen Pimpfen aus der gleichen Rotte, da ließ sich auch so manche Träne des Heimwehs, die in das kleine braune (?) Hemd rollte, verschmerzen.

In meiner eigenen Jugend hieß das dann "Christliche Pfadfinder", die Hemden waren hellgrün, die Halstücher rostrot, gehalten von einem Ring mit so einer Lilie darauf. Und die, die wir ganz ungeniert unsere "Führer" nannten, hatten lange Haare und kifften.

Die Großmutter einer Freundin traute den Zusicherungen der Hamburger NS-Kinderlandverschicker 1945 nicht mehr und holte ihre beiden Töchter eigenmächtig aus einem pommerschen Kinder-Lager wieder heraus. Von den kleinen Freundinnen und Freunden, die sie dort zurückließen, überlebten sehr wenige das Überrolltwerden durch die Ostfront nur Tage später.

Ging es hier nicht eigentlich um eine Frau und einen Mann in einem Café?

NamedesUsers
06.11.2003, 15:46
Ach, das mit der Frau und dem Mann war nur der Anfang.