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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Jürgens, Udo



traene phoenix
02.11.2003, 21:44
Udo Jürgens


Vor vielen Jahren fuhr unsere Schulklasse für eine Woche nach Prag. Meine Lieblingsklassenkameradin hieß Heidi und war am zweiten Tag genauso verkatert wie ich. Halbverdurstet hatten wir uns im Rahmen des verbindlichen Kulturprogramms schon über den alten jüdischen Friedhof und vorbei an Kafkas Geburtshaus geschleppt, als wir nun auch noch den Hradschin besichtigen sollten. Am Eingang stießen wir auf andere Besuchergruppen, die sich ebenfalls anschickten, die Burg zu betreten, darunter, nur wenige Meter neben uns, erkannten wir Udo Jürgens. Heidi hatte unterwegs eine Konservendose Saft gekauft, allerdings ein ostblockiges Teil ohne Lasche zum Öffnen. Sämtliche unserer Schlüssel und Gürtelschnallen hatten sich als zu stumpf erweisen, so dass Heidi schließlich erklärte, sie würde jeden Augenblick tot umfallen , wenn sie nicht endlich etwas zu trinken bekäme. In diesem Moment zog Udo Jürgens seinen Schlüsselbund aus der Tasche, um mit einem daran hängenden Öffner eine kleine Flasche Mineralwasser zu öffnen. Dabei fiel uns ein kleiner, einigermaßen spitzer Gegenstand an dem Schlüsselring auf, der an den Pariser Obelisk erinnerte, möglicherweise ein Talisman. Sofort trat Heidi an ihn heran und fragte: „Ham’ Sie mal’n Dorn?“ „Nein“, antwortete Udo Jürgens, „ich habe keinen Dorn.“ „Natürlich haben Sie einen Dorn“, sagte Heidi, den Obelisk inzwischen als ebenfalls zu stumpf wertend, „aber da kriegen Sie keine Dosen mit auf.“ Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verließ mit den Worten: „Ätzend, echt ätzend!“ unsere Gruppe. Ich verdrückte mich ebenfalls bei der nächsten Gelegenheit und fand sie etwas später in einer nahe gelegenen Gaststätte wieder, wo sie mit Einheimischen Bier trank und Karten spielte.

Murmel
02.11.2003, 21:47
Dorn, Dosen aufkriegen, da liegt was in der Luft. Vielleicht kann mir der schöne Maat helfen. Der kennt sich mit sowas aus.

Lotta Krach
02.11.2003, 21:48
Bei Dorn muß ich an Unterhosen denken.

Jockels Urlaubsvertretung
02.11.2003, 21:50
Katzbuckle demütig, wunderfein konstruiertes Kleinod, hätt ich nicht besser hingekriegt. Und das will was heissen! Oder kühlen! Haha, Schelm, ich.

Julika_23
03.11.2003, 00:44
Was mir an dieser Geschichte nicht zum ersten Mal auffällt, ist der verletzende Umgang mit dem Prominenten, den man nicht wie eine Person anspricht, die ein hilfreiches Schlüsselbund besitzt, sondern (wie bei vielen anderen Geschichten hier auch) als potentielles Opfer, das man nach geglückter Beleidigung einfach stehenlassen kann, um sich später mit der Anekdote zu brüsten. Erst der Wagemut - ich spreche Udo Jürgens an! Dann Kommunikationsabbruch. Da tobt ein Kleinbürger-Ressentiment sich aus, dem eine strikte Zweiteilung des Prominenten in seine ignorierte Privatheit und seinen - möglicherweise zu Unrecht bestehenden - Ruhm zugrunde liegt. Was ich moralisch zu kritisieren übrigens nicht berechtigt bin. Wenn ich bekannte Gesichter sehe, geht es mir ähnlich, ich kann sie mit der Tatsache, daß sie ein mir unbekanntes Leben leben, nicht schlüssig zusammendenken und muß mich oft sehr anstrengen, ihnen nichts Unflätiges, z.B. ihre Fernsehkarriere betreffend, hinterherzurufen. Gleicher Effekt bei schönen Männern: Wenn ich schöne Männer Dummes reden hören, reagiere wesentlich ungehaltener, als wenn nicht so schöne Männer Gleichdummes reden. Ressentiment und Neid einerseits, aber natürlich auch Gegenreaktion auf schäfchenhafte Zuhörer. Trotzdem greift der Beleidiger nie die Person des Prominenten an, sondern attackiert immer nur dessen Schauseite; und bestätigt so die Besonderheit, die er ihm im Grunde abzusprechen wünscht.

bettyford
03.11.2003, 00:58
Und was tun die Politiker? Garnichts!

Benzini
03.11.2003, 00:59
Beste Komikerin seit Helmut Kohn.

DonDahlmann
03.11.2003, 01:02
Eventuell hat es weniger etwas mit einer neidischen Grundhaltung zu tun, sondern mehr etwas mit der eigenen Arroganz und einem unbewußten Karl Kraus Syndrom. Wenn ich den Busfahrer beleidige, dann ist das zwar sicher nett für mich, bringt aber selten eine gute Geschichte, es denn, man verprügelt einen Dönerverkäufer. Beleidige ich einen Prominenten, dann ist dass auch immer noch eine Form von Majestätsbeleidigung, von kleiner Revolution und Aufmüpfigkeit, mit der man den Beweis anstellen möchte: Du magst ja berühmt/hübsch/intelligent sein, aber ich find schon was, mit dem ich Dich kriege, wo Du schlecht bist. Drüben im Droste Strang kann man das schön nachlesen.

Auge
03.11.2003, 01:07
Droste ist berühmt/hübsch/intelligent?
naja, ich weiß nicht

traene phoenix
03.11.2003, 01:08
Wann hat sich Heidi mit der Anekdote gebrüstet? Geht aus der geschilderten Begebenheit nicht deutlich hervor, dass sie wegen verschiedener Umstände nicht ganz bei Trost gewesen ist? Könnte es nicht vielmehr so sein, dass Sie gerne den Begriff Kleinbürger-Ressentiment hier unterbringen wollten, um Ihre Ressentiments gegen Geschichten aus diesem Forum zu beschreiben, die den beschriebenen Prominenten schlecht aussehen lassen? Davon werden Sie hier nur eine kleine Zahl finden, denn sie werden, zu Recht, als hässlich empfunden. Trotzdem, vielen Dank, dass Sie sich ein paar Gedanken gemacht haben.

Julika_23
03.11.2003, 01:12
Wo hätte ich ein Ressentiment gegen "Geschichten aus diesem Forum" formuliert? Ich finde die Geschichte im Gegenteil sehr hübsch, Herr Hai.

Benzini
03.11.2003, 01:13
Sachlich richtig, aber subtil beleidigen darf man hier erst wenn man bei Hofe bekannt ist. So wie ich!

Benzini
03.11.2003, 01:15
Meta-Snobbing. Mir träumte, ich müsse die Fresse halten.

Benzini
03.11.2003, 01:16
Oder einfach:
still sein.

Mutti
03.11.2003, 01:45
Ich finde die Geschichte auch sehr hübsch, vor allem, weil der Dialog doch bestimmt erfunden ist.

Edding Kaiser
03.11.2003, 01:48
Bnnnz, bnnnz, bnnnz.