Emil Lotterbeck (64)
24.10.2003, 01:35
1988 - das war das Jahr der Kylie. Kylie war da und rüttelte und schüttelte sich durch die zusehends konfuser werdende Berichterstattung. Die Kulturereignisverwertungsmaschinerie stockte, stotterte, der Film riss und kam nicht wieder in Gang. Ihr Bild verschwand nicht. Die Zeitungen Europas, die Fernsehgeräte und die Plakate - sie alle mussten es wieder und wieder zeigen. Aber sie zeigten es nicht, wie sie es sonst tun: als Beweis, als Indiz oder als Propaganda. Sie druckten es als Steckbrief.
Zum Auftauchen Kylies gehört der jaulende, gleichlautende Ton des Entsetzens, den bürgerliche und alternative Presse mit der Regelmäßigkeit einer Bundestagswahl von sich gaben. Oft tarnte sich Entsetzen auch als tolerante Verwunderung.
In Hamburg gibt es seit den sogenannten Pioniertagen des Fernsehens eine Sendung, die sich "Aktuelle Schaubude" nennt. Hier traten und treten meistens die übelsten Kretins des deutschen Schlagers auf, und Fußballspieler und Theaterschauspieler erklären in zwei Minuten ihre Zukunftspläne. Der Clou der Sendung war (und ist?) der, dass sie live ausgestrahlt wurde. Die Behauptung, dass dem so sei, wurde immer wieder dadurch untermauert, dass alle Fußballer und Schauspieler ganz außer Atem vor Hetze dasaßen und beteuerten, gerade von der Probe/Spiel/Training gekommen zu sein.
Hier trat auch Kylie Minogue auf. Eine Verkettung wunderbarer Zufälle und eine plötzlich gewonnene Fähigkeit zum Operieren außerhalb der Legalität verschaffte einem Freund und mir Einlass zu dieser Veranstaltung. Ein riesiges Festzelt war auf dem Heiligenstiefel aufgeschlagen. Glücklich über unser Glück taumelte ich ein paar Schritte in die Vorräume des Zeltes und prallte mit einem Herrn mit rotem Jackett zusammen, der wie der leibhaftige Adamo aussah. Zwei mittelalte Engländer mit Eiskunstläufercharme flüsterten uns schweinische Witze von Prince Charles und Lady Di ins Ohr. Rex Gildo flatterte vorbei. Noch war Probe. Die Alkoholiker des Showgeschäfts prallten nervös auf den Gängen zwischen den Biertischen aneinander. Es war eine Panik im Bewusstsein des sicheren Todes, der uns alle mal ereilen wird. Im nahegelegenen Schlachhof erlitten diverse arme Schweine einen Herzinfarkt aus Angst vor der Hinrichtung.
In einer Ecke saßen zwei Kylie Minogues rittlings auf einem Tapeziertisch. Kylie 1 war ihr Manager, Kylie 2 war sie selbst. Sie erklomm den Laufsteg. Stand vor dem Publikum, sang ein paar Ministerpräsidenten an, die dort saßen. Die aus entspannter Biertischlaune unvermittelt in schreckstarren Ernst verwandelten Mienen der drei Politiker, die plötzlich in ihrer abgesteckten Welt der fortgesetzten Lüge von dem erotischen Schauer der Wahrheit berührt wurden, war einer der größten politischen Erfolge staatsfeindlicher Bewegungen.
Zwei Tage später begegne ich Kylie zufällig im Foyer des "Interconti". Nebenan gibt es ein getüfteltes Essen, man serviert dröges hanseatisches Flaschenbier. Kylie beugt sich mit einer Vier-Sterne-General-Bewegung über den Tisch und tauscht mit ihrem Manager die Lammlenden. Sie kriegt die rosa Lenden, der Manager die grauen. Wenn Kylie lacht, bleiben die Kellner mit ihrem Tablett "Goldfasanenbrust mit Pfauenfedern garniert" stehen und blicken erstaunt. Die Air Condition unterbricht ihr müdes Surren und die maschinell geplätteten Kunstfasern des Teppichbodens richten sich für einen kurzen, rebellischen Moment zu voller Größe auf.
Zum Auftauchen Kylies gehört der jaulende, gleichlautende Ton des Entsetzens, den bürgerliche und alternative Presse mit der Regelmäßigkeit einer Bundestagswahl von sich gaben. Oft tarnte sich Entsetzen auch als tolerante Verwunderung.
In Hamburg gibt es seit den sogenannten Pioniertagen des Fernsehens eine Sendung, die sich "Aktuelle Schaubude" nennt. Hier traten und treten meistens die übelsten Kretins des deutschen Schlagers auf, und Fußballspieler und Theaterschauspieler erklären in zwei Minuten ihre Zukunftspläne. Der Clou der Sendung war (und ist?) der, dass sie live ausgestrahlt wurde. Die Behauptung, dass dem so sei, wurde immer wieder dadurch untermauert, dass alle Fußballer und Schauspieler ganz außer Atem vor Hetze dasaßen und beteuerten, gerade von der Probe/Spiel/Training gekommen zu sein.
Hier trat auch Kylie Minogue auf. Eine Verkettung wunderbarer Zufälle und eine plötzlich gewonnene Fähigkeit zum Operieren außerhalb der Legalität verschaffte einem Freund und mir Einlass zu dieser Veranstaltung. Ein riesiges Festzelt war auf dem Heiligenstiefel aufgeschlagen. Glücklich über unser Glück taumelte ich ein paar Schritte in die Vorräume des Zeltes und prallte mit einem Herrn mit rotem Jackett zusammen, der wie der leibhaftige Adamo aussah. Zwei mittelalte Engländer mit Eiskunstläufercharme flüsterten uns schweinische Witze von Prince Charles und Lady Di ins Ohr. Rex Gildo flatterte vorbei. Noch war Probe. Die Alkoholiker des Showgeschäfts prallten nervös auf den Gängen zwischen den Biertischen aneinander. Es war eine Panik im Bewusstsein des sicheren Todes, der uns alle mal ereilen wird. Im nahegelegenen Schlachhof erlitten diverse arme Schweine einen Herzinfarkt aus Angst vor der Hinrichtung.
In einer Ecke saßen zwei Kylie Minogues rittlings auf einem Tapeziertisch. Kylie 1 war ihr Manager, Kylie 2 war sie selbst. Sie erklomm den Laufsteg. Stand vor dem Publikum, sang ein paar Ministerpräsidenten an, die dort saßen. Die aus entspannter Biertischlaune unvermittelt in schreckstarren Ernst verwandelten Mienen der drei Politiker, die plötzlich in ihrer abgesteckten Welt der fortgesetzten Lüge von dem erotischen Schauer der Wahrheit berührt wurden, war einer der größten politischen Erfolge staatsfeindlicher Bewegungen.
Zwei Tage später begegne ich Kylie zufällig im Foyer des "Interconti". Nebenan gibt es ein getüfteltes Essen, man serviert dröges hanseatisches Flaschenbier. Kylie beugt sich mit einer Vier-Sterne-General-Bewegung über den Tisch und tauscht mit ihrem Manager die Lammlenden. Sie kriegt die rosa Lenden, der Manager die grauen. Wenn Kylie lacht, bleiben die Kellner mit ihrem Tablett "Goldfasanenbrust mit Pfauenfedern garniert" stehen und blicken erstaunt. Die Air Condition unterbricht ihr müdes Surren und die maschinell geplätteten Kunstfasern des Teppichbodens richten sich für einen kurzen, rebellischen Moment zu voller Größe auf.