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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Zimmer, Gabi



Bartholmy
15.08.2003, 01:04
Gabi Zimmer war bis vor kurzem Bundesvorsitzende der PDS. Ich bin ihr nie begegnet. Seit fast auf den Tag genau wohne ich jetzt ein Jahr lang in meiner derzeitigen Wohnung, Karl-Marx-Allee, ehemalige Stalinallee, gebaut in den 50ern (kürzlich jährte sich zum 50sten Mal der Aufstand von 1953 der dort begann), renoviert im Jahre 2000, langsamster neuer Aufzug der Welt, ich zog ein 2002: "Willkommen im Kulturdenkmal!" (Gratulation bei der Hausverwaltung) Alles steht unter Denkmalschutz und wird zweidrittel bewohnt von Altkadern, alle über 70 und behindert. Das Wohnumfeld besteht aus Sanitäts- und Krankenpflegediensten und Bestattungsunternehmern, die wenigen Alltagsshops für Unbehinderte machen Vietnamesen, aber sehr schön, sehr ruhig, sehr zentral, achter Stock, super Blick: Überhaupt super, ich wohne gerne dort.

Heute, also praktisch gestern, fahre ich nachmittags mit dem Fahrstuhl nach oben zusammen mit dem unsympathisch wirkenden Herr aus dem siebten, Berliner Kurier, Berliner Schnauze, zuviel Geld, neuer Audi, Frau und zwei Kinder - Frau lässt immer Mund sehr entäuscht vom Leben und allem überhaupt hängen damit Träner besser abfließen ins nicht vorhandene Dekoltee im Mutterkleid, Kinder, sechs und neun, greinen und meckern, Papi nie dabei. Entweder Mutti und Kinder im Fahrstuhl oder Papi und Audischlüssel und Kurier.
Ich habe 8. Stock gedrückt, er nichts. Ich sage "Etage?" Er: "Aja, ja" und drückt. Dann kuckt er mich an und sagt. "Na, ihre Nachbarin ist ja gerade ausgezogen." Ich: "Achja? Ist mir gar nicht aufgefallen, habe ich auch noch nie getroffen, nie gehört, ahja." Ich wohne, wie gesagt, seit einem Jahr hier, die Nachbarn auf der Linken habe ich öfters getroffen, vor allem die sehr nette Frau, die, glaube ich, irgendwie freiberuflich klassische Musik macht oder lehrt, ihren Partner nur einmal, da waren sie beide am Schuhe von ihr aussortieren, im Frühjahr, und hatten die Wohnungstür offen, deshalb, als ich zum Fahrstuhl. Er sieht nicht so nett aus, so meine Idee von subintelligentem Bänkerarsch, Klischeekram, was weiß ich. Aber sie: Sehr angenehm.

Die Nachbarn rechts habe ich nie gesehen, nie gehört. Nur beim Anmarsch auf das Gebäude sah ich gelegentlich Licht. Oder ein Fenster war offen. Die Fußmatte (freitags kommt der Putzdienst) stand oft tagelang aufrecht an der Wohnungstür. Dann wurde sie aber wieder zurecht drapiert : also bewohnt. Okay. Ich finde Phantommieter angenehm. Gegen nachbarschaftliche Kontakte habe ich gar nichts. Einige der alten Frauen grüßen sehr nett, manche nehmen auch gerne meine Pakete entgegen und ich plausche dann - finde ich gut. Aber Kuschelnachbarn möchte ich auch nicht - wozu wohnt man in der Großstadt und in einem Appartmenthaus? - Eben.

Dass also die Nachbarn, deren Namen ich gar nicht mehr wusste, und von denen ich nie gehört, die ich nie gesehen hatte, nun ungehört, ungesehen wieder verzogen waren - das machte mir eher Falten auf der Sorgenstirn: Jetzt könnten ja Krawallrenter einziehen, wer weiß, Wernersgrüner Musikenstübl vollrohr, oje. Aber dann fiel mir auf, dass der Nachbar aus dem Siebten mir zuzwinkerte als ich sagte, ich hätte die Nachbarn gar nicht gekannt, nicht mal bemerkt. "Achso" zwinkerzwinker "Die Frau Zimmer ist ihnen gar nicht aufgefallen. Na, dann ist es ja gut."

In die Wohnung, in die Küche, Sachen abstellen, eine rauchen. - Moment. Moooment: 'Zwinkerzwinker' ... 'Zimmer...' - Hm. Doch nicht die? Und dann fiel es mir auf. Gleich um die Ecke, am Straußberger Platz ist der sehr gute Italiener. Erst letzte Woche war ich dort, mit einer sehr geschätzten Freundin : Und es war sehr gut und auch nicht billig - und sehr gut. Und dieses Wochenende las ich in der Berliner Zeitung eine lobende Restaurantkritik über eben diesen Italiener gleich um die Ecke. Und dort den Nebensatz: 'Bis vor kurzem war es das Stammlokal der PDS-Vorsitzenden Gabi Zimmer.' - Hm. - Googeln: Gabi Zimmer, kürzlich als PDS-Vorsitzende abgewählt, geboren in Berlin, aber schon lange wohnhaft in Thüringen. Das passt doch total! Und die PDS-Bundeszentrale liegt auch hier gleich um die Ecke, 15 Minuten zu Fuß, mit der U-Bahn noch fixer. Klar, es muss ihre Zweitwohnung gewesen sein, als Bundesvorsitzende. Und jetzt, abgewählt, hat sie sie gekündigt - passt alles.

Tür an Tür mit Gabi. Und ich habe sie verpasst.

p.aristide
15.08.2003, 07:18
!

Christopher Wurmdobler
18.08.2003, 21:34
ich finde das voll okay. erinnert mich ein bisschen an christoph schlingensiefs badewanne (http://www.hoeflichepaparazzi.de/forum/showthread.php?s=&threadid=10236), da gings ja auch um die abwesenheit des prominenten.
sehr schön erzählt, wenn auch ein bisschen reichsilbig!

Bartholmy
19.08.2003, 22:47
Inzwischen ist die Vermutung - sicher war ich mir ja - auch unabhängig bestätigt. Meine Freundin traf Frau Zimmer vor einigen Wochen auf dem Etagenflur, dachte sich erst, sie kenne sie von irgendwoher 'Karstadt an der Kasse?', dachte dann 'oder PDS? so verhärmt' - und sagte, nachdem ich ihr's dieser Tage erzählte: 'Ahja, klar - die war das, natürlich.'

Mittlerweile habe ich erfahren, dass Frau Zimmer in ihrer Jugend gerne Gartenzwerge vergraben (http://homepage.hamburg.de/PDS-Hamburg/archiv/rbrief/rb010831.htm#artikel9) hat. Werde ich mir mal ein Schippchen besorgen und hinter dem Haus nachsehen, wer weiß.

Joachim Bovier
23.09.2004, 13:21
na ja, frau zimmer, das sind wohl die begegnungen mit den man in ost-berlin rechnen muss. der niedergekämpfte sozialismus ist halt bedauerlicherweise auch 14 jahre nach der einheit noch erstaunlich real - trotz der milliarden die inzwischen in die ostdeutschen bundesländer gepumpt wurden. könnte es sein, dass "das volk" weniger nach freiheit, demokratie und rechtsstaat durstete, als dass es wirtschaftlichen wohlstand meinte? und dabei dann auch noch die wirklichkeit im westen, deren aufbau auch 40 jahre gedauert hat, mit fernsehserien wie denver und dallas verwechselt werden. wenn wir tatsächlich darauf warten müssen dass frau gabi zimmer von der pds/sed die rolle von linda evans als kristle carrington übernimmt, dann ... ja dann wirds mit der inneren einheit wohl zu unseren lebzeiten nichts werden.

Edmund
23.09.2004, 16:53
Oh, ein Politcheckerbunny!

Krokodile
23.09.2004, 17:13
Ach, die innere Einheit - wen kuemmert sie, solange man ein Laecheln auf den Lippen traegt, Schwester.

Helgoland
23.09.2004, 17:14
1989 waren Sie 31 Jahre alt, Herr Bovier, vielleicht "zu jung", um „dem Volk“ diese bohrenden, entlarvenden Fragen schon damals zu stellen? Oder taten Sie es, und niemand hörte zu? Was für eine Geldverschwendung!