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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Eisermann, Andre; aus der Tiefe des Raumes



MC Hausmacherleberwurscht
17.07.2003, 13:18
Dörte wird 60 Jahre alt und zu Hause, auf einem alten Sessel vor dem Fernseher, da hat sie einen rumänischen Schlagzeuger sitzen. Ihren Mann. Ein lieber Kerl, in die Jahre gekommen, er mag diesen Sessel und auch die Katze auf seinem Bauch, ein Tier, mit den Eigenschaften einer Wärmflasche.

Dörte ist eine Frau, die mehr vom Leben will als Sessel und Katzen. Und daran denke ich, als in der Hamburger Thalia Buchhandlung vor den ellenlangen Regalen der feil gebotenen Literatur stehe. Was soll ich schenken? Ich verliere mich in der gestapelten Langeweile der Neuerscheinungen, lege den Kopf zur Seite und seziere das alphabetisch geordnete Einerlei der Belletristik, muss kurz lachen, angesichts einens Haufens „Frauenbücher“ und bestaune die hüfthoch beladene Harry-Potter-Palette mit den englischen Fassungen des nächsten Rowling-Streichs.

Ein Schweißtropfen läuft mir über den Rücken. Die Luft ist dick hier, vielleicht 25 Grad warm und gebraucht. Nach fünfzehn fast identischen Klappentexten weiß ich gar nichts mehr. Verwirrung setzt ein, mit einer Note Panik. Die Ahnung, du wirst hier nichts mehr.

Er kommt den Gang herunter gesaust, kompakt wie ein Gummiball, prall gedrungen, energiegeladen. T-Shirt steckt in Stonewashed-Jeans, welche entschieden zu eng sitzt, gerade genug Raum für kleine Klöten. Einen Moment denke ich, ach, ja klar, jetzt frisst er bestimmt gleich Scheiße in der Kochbuchabteilung, oder er springt von der Treppe in einem Penis-Kostüm in den „Frauenbuch“-Haufen oder lässt sich als Harry-Potter-Parodie mit Günther-Grass-Büchern bewerfen. Verwirrt wie ich bin, denke ich auf dem Kurzzeitgedächtnis und da ist noch „Jackass – der Film“ von gestern abgelegt und der kleine Knirps da könnte wirklich Wee-Man sein, der zwergenwüchsige Stunt-Kumpel von Johnny Knoxville.

Ist er aber nicht. Ist Andre Eisermann. Noch kleiner, als im Fernsehen. Ein Zwuckel, Abkömmling des fahrenden Volkes wie er nicht müde wird zu betonen, der einst als veritable Verkörperung von Kaspar Hauser zu gefallen vermochte.

Vor dem Reclam-Regal bremst sich Eisermann aus, seine Augen starren wutentbrannt, die gelben Bändchen stapeln sich um das Dreifache seiner Körperlänge über ihm. Eisermanns goldgelbe Haare sind auf Sturm und Drang gebürstet. Wie zitternde Lämmchen stehen zwei Buchverkäuferinnen neben einem Bestellcomputer, die eine hält einen Uta-Danella-Band, den sie langsam sinken und auf einen Bürostuhl gleiten lässt.

Anklagend zeigt Eisermann in die Tiefe des Raumes, aus der er netzergleich hervorgeschnellt kam. „Da war nichts. Nichts! Gaar nichts!“ Unsicher schauen die Verkäuferinnen in die Richtung, die Eisermanns Finger weist. „Ja...aber...hier haben wir nur seine Dramen, seine Stücke. Nichts Autobiographisches...aber das sagte ich Ihnen bereits und...“ Eisermann unterbricht sie, zischt und faucht, ich verstehe kein Wort, auch nicht, um welchen Teil der Weltliteratur es hier geht. Eisermann hampelt mit seinen sehnigen Armen in der Luft, zieht an ein paar Reclam-Bändchen. Schließlich brummelt er in sich hinein, krümmt sich ein wenig und ist nun Gollum, nicht Wee-Man. Die Verkäuferinnen grinsen. Eisermann dreht sich unwirsch auf dem Absatz seiner abgetretenen Schuhe, raunt ein dramatisches „Ach...“ und strebt dem Ausgang zu. Seine Arme stehen vom Körper ab beim Gehen. Kurz hinter dem Reclam-Regal rempelt er eine hippe Agentur-Dame, deren Schlüsselband sich um den „Generation Golf zwei“-Band geschlungen hat.

„Mir schlottern die Beine“, sagt eine der Verkäuferinnen. „Ich wußte, dass das schief gehen würde mit dem.“ Verschämt ordnet die andere das abgelegte Danella-Buch ins Regal. „Ist mir egal, ob der jetzt stinkig ist mit uns. Der braucht nicht wiederkommen. Die paar Reclam-Bändchen die Herr Eisermann hier gekauft hat – darauf können wir verzichten.“ Die Kollegin kichert triumphierend.

Abgelenkt durch höfliches paparazzen hatte ich mir unbesehen, um nicht aufzufallen, irgendein Buch von irgendeinem Stapel gegriffen. Hinten stand etwas von einer Enid, die einen Mann hat, Alfred, der nur noch in einem Sessel sitzt. Bingo, Dörte. Gekauft.

Caliste
17.07.2003, 14:12
.

Windhund
18.07.2003, 14:30
ist toll!

Fish
08.04.2004, 17:59
Für jemanden, der André Eisermann in München wirklich gekannt hat, allerdings war er damals Schauspielschüler an der Falkenbergschule, kann ich den Eindruck nur bestätigen. André hielt sich spätestens nach Go, Trabbi, Go, für die Reinkarnation für Gustav Gründgens. Und nach Kaspar Hauser, den er mühsam bustabieren lernen musste, für Mephisto selbst. Schade, eigentlich war er mal ein sehr netter Kerl. Jetzt ist er nur noch sehr.

Tristram Shandy
27.04.2004, 17:03
Und dein gekauftes Buch war ein Volltreffer! Ob für Dörte und ihren Rumänen, weiß ich allerdings nicht.

Aporie
29.04.2004, 13:14
Ich habe die Überschrift flüchtig gelesen und gedacht, jetzt kommt Peter Eisenmann die Treppe hinunter. Aber dann war er so blond und so klein und entschuldigte sich nicht für den Zahngold-Witz.

Aber eigentlich egal, über wen Hausmacherleberwurst schreibt, Hauptsache ist, dass er nicht nur in Buchhandlungen an die Leser denkt und Ihnen hier jedes Mal etwas Vergnügliches hinhaut.