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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Berlusconi, Silvio stört mich bei der Arbeit und stolpert über ein Kabel



Aporie
04.07.2003, 11:17
Milano 2 war für Berlusconi der endgültige Durchbruch. Er baute die Trabantenstadt im Süden des Stadtgebiets in den sechziger Jahren, mit Geld, dessen Herkunft schon damals umstritten war. Es sind architektonisch gesichtslose Bauten, bis auf die auskragenden Dächer und das düster wirkende Braunrot der Mauern. Hinter den kleinen Fensterchen wohnen 10 000 Menschen. Ich war mal in einer der Wohnungen, eingeladen von Gigi Bertolini, einem erfolglosen Schauspieler, der nebenher auch als gitarrespielender Sänger auftrat und an einer kleinen Firma beteiligt war, die Pornofilme überspielte. Siehst Du Ignaz, das sind die Kreise, in denen ich verkehre. Die Räume waren eng, passend zu den Fensterchen und überdies von fürchterlichen Möbeln verstellt, weshalb ich dann mit Gigi und seiner Frau in einem der drei Restaurants aß, die Berlusconi für die Bewohner von Milano due gebaut hat.

1979 und 1980 arbeitete ich hin und wieder in Milano 2. Das war in der Zeit, als aus einem kleinen Privatsender, nur gedacht für die Bewohner von Milano 2, mit Hilfe Craxis der später mächtige Canale 5 entstand. Berlusconi hat eine Vorliebe für Zahlen, auch am Schluss von Worten: Milano 1, Milano 2, Milano 3, Italia 1, Rete 4, Canale 5 – alles sein Werk, und jetzt ist er Premierminister mit der Ordnungszahl vorn.

Für den kleinen Privatsender hatte Berlusconi 2 große Studios gebaut, die aber erst 1980 von seinem neuen Sender Canale 5 bezogen wurden. Vorher wurden sie an Filmproduktionen vermietet. Die technische Ausstattung der Studios war dürftig bis lebensgefährlich. Ohne die beiden vom Haus angebotenen machinisti wären die mit viel Lassoband im Gleichgewicht gehaltenen Lichttürme zusammengebrochen und es hätte pro Tag dreißig Mal Kurzschluss gegeben und nicht nur drei Mal. Das Material war offensichtlich uralt, zusammengekauft aus Beständen konkursiter Produktionen.

Gewohnt habe ich immer im Jolly Hotel Milano 2, das wahrscheinlich unter sechziger Jahre Fans heute noch als Geheimtipp gilt, weil popige Farben und –jedenfalls damals noch- Designerplastikstühle die Szene beherrschen. Die Zimmer waren klein und ärmlich. In grauenvoller Erinnerung bleibt mir die Sitzbadewanne. Von meinem Zimmer aus - ich hatte immer das gleiche - sah ich immerhin auf einen künstlichen See, auch die zwei Schwäne, die in steifer Haltung auf dem Wasser einherglitten, sahen aus, als wären sie künstlich. Andererseits war es natürlich ungemein praktisch, nur hundert Meter vom Studio weg zu wohnen.

Gleich dem Studio gegenüber hatte Berlusconi zwei Bürohäuser. Zwei Barrieren trennten die Parkplätze der Angestellten von jenen der Bewohner und Besucher. Ich glaube nicht, dass Berlusconi sein Büro dort hatte, aber die Leute, die dort ein- und ausgingen arbeiteten für seine Holding.

Im Winter 79 drehten wir Bademode und Sportswear für den Sommer 80. Der Agentur schwebte ein bewusst artifizielles Ambiente vor. Wir waren gerade am Meer, das aus etwa zehn Meter langen blaugrünen Stoffbahnen bestand. Jeder, der gerade die Hände frei hatte, packte zwei Zipfel einer Stoffbahn, man kennt das vom Leintücher falten. Sechs Ventilatoren machten Wind unter dem Meer. Mal mussten die Stoffbahnen etwas tiefer, mal etwas höher gehalten werden, dann straffer oder weniger straff. Und dann mussten alle schütteln. Irgendwann gab es Wellen, und die unter den Stoffbahnen kauernden Models tauchten in ihren Badeanzügen wie Delphine aus dem Wasser. Aber das war erst nachher. Vorher kam Berlusconi. Auf dem zermürbenden Höhepunkt des Misslingens.

Wir schrieen alle herum, denn jeder Stoffbahnhalter war in seinen Bemühungen extrem abhängig von seinem Gegenüber. Es war eine Art Lehrstunde in Partnerschaft, ein Balanceakt zwischen Nachgeben und Korrigieren. Ich bemerkte ihn erst, als mir die Aufnahmeleiterin seinen Namen ins Ohr flüsterte. „Permesso“, rief er in unsere Richtung, „non voglio disturbare“ und schritt an uns vorbei, ein Grüppchen offensichtlich gutbetuchter Leute hinter sich her ziehend. Natürlich störte er gewaltig, statt den Stoffbahnen galt jetzt das Augenmerk aller ihm. Er zeigte auf all die schrecklichen Antiquitäten in seinem Studio, aber die Besucher schienen sich mehr für uns zu interessieren. Als die Gruppe hinter der Dekoration verschwand, fanden wir wieder zurück zu unserm Tun. „Forza ragazzi“ schrie der Regieassistent und klatschte in die Hände. Ich hatte mich kaum hinter den Monitor gesetzt, als die Kamera auf Berlusconi schwenkte, der auf der anderen Seite wieder hinter der Dekoration hervorkam. Das rote Lämpchen blinkte, die Kamera lief und zoomte sein telegenes Lächeln heran. Ich dachte sofort an das Vergnügen, das es mir am Schneidetisch bereiten würde, wenn Berlusconi plötzlich aus diesem toten Meer auftauchen würde.

Berlusconis Aufmerksamkeit galt jetzt dem Set. Offensichtlich hatte er die vier Models entdeckt, die in ihren Badeanzügen fröstelnd herumstanden. „Was macht ihr denn da?“ wollte er wissen und einer der machinisti antwortete „das Meer“, arbeitete jedoch sogleich weiter. Mir fiel auf, dass die Models, obwohl das Studio schlecht beheizt war, nun die Badetücher von den Schultern geworfen hatten und umherstolzierten als bewegten sie sich auf dem Laufsteg. Berlusconi bemerkte das auch und ging tatsächlich auf eines der Models zu und gab ihm wie Dirk von Förster seine Karte.

Die Stunde des Abschieds brach an und Berlusconi ergriff sie, das heißt zuerst meinen Arm als wären wir alte Bekannte, während er mit der Rechten meine Hand schüttelte. „Auguri dottore, auguri“, sagte er und bleckte auf wunderschönste Art seine Zähne. Er hatte damals wirklich eine gute, wenn auch leicht schmierige Ausstrahlung, trug auch schon die schwarze Krawatte mit den weit gestreuten weißen Pünktchen. Das Grüppchen winkte und Berlusconi winkte den Models und stolperte dabei über ein dickes Kabel am Boden, bevor er endgültig verschwand.


Und jetzt? Was tut er? Noch immer realisiert er nicht, wo er sich eigentlich befindet, verwechselt das Europäische Parlament in Strassburg mit der Schwatzbude im Palazzo Montecitorio, tätschelt fremde Staatsmänner ab und grinst unbeirrt in jede Kamera. Aber er kommt nicht mehr aus dem Stolpern heraus.

esker
04.07.2003, 12:00
*klatscht in die hände* bravo! bellisima!

klesk
04.07.2003, 12:23
lässt sich von esker mitreissen
da carbonara!


(hat nix mit dir zu tun, apo, ich vertrete bloss betty)

Valmont
04.07.2003, 12:26
Ferire e incassare
è la vita segreta.

Wunderbar. Ganz wunderbar.

honz
04.07.2003, 13:07
STRONZO!! MOLTO STRONZO!!

fabchief
04.07.2003, 13:23
brillant, eccezionale formidabile!

fabchief

Goodwill
04.07.2003, 13:46
Amaretto en la macchia - má non troppo e con borselino.

Politikerklärung aus Habitus und Gestus.

"In Mailand wird gerade ein Werbespot gedreht, Herr Berlusconi. Die Rolle des Hais ist noch unbesetzt. Ich werde Sie gerne vorschlagen."

Angelika Maisch
04.07.2003, 14:49
Molto bene, ähm, poco espressivo, verdammt, Virchow, hilf mir doch mal, mein Italienisch hat grade fertig..

christoph
04.07.2003, 15:01
Fortissimo! Spumante! Divina commedia!

DREA
04.07.2003, 15:21
Weiss nicht, wie man 'hab mich praechtig amuesiert dabei' auf Italienisch heisst. Gildet das trotzdem?

U_Sterblich
04.07.2003, 15:22
Io me habbio amusati moltissimi

Goodwill
04.07.2003, 15:44
"dabei" auf Italienisch heißt glaub ich "ecco presente".

Die Wucht
04.07.2003, 15:49
Ragazzi!

Benzini
04.07.2003, 16:12
Mi inchino.

fabchief
04.07.2003, 16:27
sgombro di asino!

Ignaz Wrobel
05.07.2003, 10:55
Potztausend, eine gute Geschichte! Wenn man Berlusconi im Fernsehen sieht, denkt man eigentlich genau das: Ein Produzent von Fernsehshows mit Leichtbekleideten. Wie konnte der so über seine eigentliche Bestimmung hinausgelangen? Nur mit der richtigen Technik des Visitenkartenübergebens?

Was ich auch schön finde: Wie Werbung damals mit der Hand gemacht wurde. Ein Meer wie bei der Augsburger Puppenkiste.

vir
05.08.2004, 10:44
Prima storia. Non bis izzo geleso habi, incredibile! Forza con wuchtifikazione!

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un uomo saggio non piscia contro il vento

marie battisti
09.01.2006, 01:39
Gerhard Schröder hat nur 2.220.000 Treffer bei 3.270.000 für Angela Merkel.
Brad Pitt hat über 7 Millionen (mehr als die Monroe), sackt aber ab gegen die 11.700.000 von Michael Jackson ab.
Und Mick Jacker hat weniger als Schröder, der wiederum gegen Strangtitels magere 1.700.000 auftrumpfen kann.
Was ich sagen will: Wenn Google sogar beim Papst recht hatte, müsste eigentlich Romano Prodi mit seinen 2.200.000 die nächste Wahl gegen Strangtitel gewinnen.

elinor
26.01.2008, 04:12
Heute ist Aporie-Tag!

marie battisti
26.01.2008, 09:46
Und Prodi hat die Wahl ja auch gewonnen. Bis gestern.

Aporie
10.02.2008, 10:30
Jetzt bin ich doch wieder mal hier rein gestolpert, so wie gestern in einem schlecht beleuchteten Parkhaus über eine Bordsteinschwelle, die dazu dient, dass es keinen Blechschaden gibt und schusselige Alte, die es trotzdem eilig haben, der Länge nach hinfallen (hab mir nur nichts getan, weil die intuitive Abrolltechnik aus Torhüterzeiten noch funktioniert). Bin also sofort wieder aufgestanden, als wäre nichts gewesen, und habe, den Beifall zufällig anwesender Parkhauskunden im Ohr, sprachlos das Weite, bzw. den Ausgang gesucht. Hier geht das jetzt nicht: Jedenfalls nicht, ohne mich bei der herzallerliebsten Elinor zu bedanken, dass sie den Mantelzipfel des Vergessens kurz angehoben hat. Ich bin nämlich noch voll da und noch völler beschäftigt, ich arbeite 60 Stunden die Woche, verzettle mich in alle Richtungen der schönen und weniger schönen Künste, überblicke mich selbst nicht mehr. Zurzeit halten mich die Börsenkurse in Atem, zwecks Vermögensverteidigung hocke ich den ganzen Tag vor dem Bildschirm, um mich durch den sekundenschnellen Wechsel von Puts auf Calls und umgekehrt vor dem finanziellen Zuzsammenbruch zu retten. Vir ist schon seit einem Monat zum Abendessen eingeladen, das ich aber wg. Zeitmangel nicht herrichten kann. Er sei wie ihr alle herzlich gegrüßt, vielleicht melde ich mich bald wieder öfter, spätestens dann, wenn Bush auf seiner Irrfahrt mit der Talibahn endgültig entgleist und die eingesparten Kriegskosten unter die Kreditkartenschuldner verteilt.

ingwer
10.02.2008, 19:10
wie schön, ein lebenszeichen von aporie!