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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Herr W. will nicht arbeiten und bekommt es mit meinem Chef zu tun



anko
20.06.2003, 11:59
In den späten 80er Jahren arbeitete ich als Kultur-Redakteur einer Wiener Tageszeitung, deren äußeres Erkennungszeichen ihre lachsrosa Farbe ist.

Die Zeitung war jung, unser Ressort klein, wir saßen alle mehr oder weniger in einem großen Raum und die Infrastrukturen waren noch ein wenig ungefestigt. Erst langsam begannen sich die Redakteure, Ressortleiter, Sekretärinnen und freien Mitarbeiter aneinander zu gewöhnen.

Ein zentrales Anliegen der Chefredaktion war (und ist es immer noch), die österreichischen Bundesländer in die Berichterstattung mit einzubeziehen - und zwar auch fernab jener Großveranstaltungen, die ohnehin berücksichtigt wurden. So kam es, dass wir uns von Wien aus um kleinere steirische Ausstellungseröffnungen, salzburgische Lesungen und Tiroler Symposien von eher lokaler Wichtigkeit zu kümmern hatten - immer freilich unter Heranziehung von Kollegen, die vor Ort saßen und die entsprechenden Veranstaltungen wahrnehmen sollten.

So kam es, dass mein "Schef" eines Tages ins Sekretariat hinausrief "Frau H., bitte gebens mir den Walser in Vorarlberg wegen der Schülerausstellung da im Dings ... Sie wissen schon."

Die angesprochene Frau H. rief aus dem Nebenzimmerchen ein fröhliches "Jaha!" und ein paar Minuten später klingelte eines der Telephone und der Schef ging dran.

"Ja, V. hier aus Wien. Grüsse Sie. Hörn Sie, gehen'S doch heute abend zu dieser Schülerausstellung da im Dings, na, Sie wissen schon! Und schreibns uns so 20 Zeilen. Nicht lang."

Unser Ressortleiter verstummte und hörte dem Kollegen aus dem fernen Vorarlberg ein wenig zu, während sich seine Miene kaum merklich verdüsterte. Sein Gegenüber hatte - so seine spätere Erzählung - eingewandt, es habe momentan keine Zeit.

"Wie, Sie haben keine Zeit?"

"Ja, ich muss doch arbeiten!"

"Hören Sie Mal, lieber Herr Kollege - Sie wollen doch was machen für uns, oder? Ja? Und deshalb gehen Sie jetzt bitte zu dieser Schülerausstellung im Dings, na, Sie wissen schon! Und schreibn die 20 Zeilen."

"Aber ich kann leider nicht - ich würde ja gerne, aber ..."

"So wird das aber nichts mit uns, mein lieber Herr. Da bitte ich Sie einmal um was und dann haben Sie keine Zeit!"

Mein Ressortleiter wurde langsam ungehalten, zumal es sich bei dem angefragten Herrn um einen jüngeren Kollegen handelte, von dem man durchaus Willfährigkeit hätte erwarten können.

"Neinnein, ich kann WIRKLICH nicht, es tut mir auch sehr leid, ich würde ja, wenn ich könnte, aber ich muss doch SCHREIBEN!"

"Was schreiben Sie denn da so Wichtiges?" war der letzte selbstbewußt vorgetragene Satz, den ich von meinem Schef noch hörte - was nun folgte war ein Rückzugsgefecht erster Ordnung.

"Einen Roman. Meinen neuen Roman ..." hatte der freundliche Herr am anderen Ende der Telephonleitung gesagt und dadurch die langsam sich kristallisierende Erkenntnis in V. geformt, er könnte unter Umständen mit dem falschen Herren telephonieren.

"Aha ... aha ... dann ... ja, oh ... ich fürchte .... das tut mir jetzt aber wirklich sehr leid, entschuldigen Sie vielmals .... da kann jetzt nur ein Versehen sein ..."

Nach einer Girlande von Entschuldigungen und Erklärungen verabschiedete sich mein Ressortleiter V. von seinem Gesprächspartner, schmetterte - ganz seinem gelegentlich cholerischen Naturell entsprechend - den Hörer auf den Apparat und brüllte "Frau H.! Frau H.! San Sie wahnsinnig wordn? Mit wem verbinden Sie mich denn da?"

Der Ressortleiter hatte eben versucht, den großen Schriftsteller Martin Walser mit dem Versprechen, er könne für eine Wiener Tageszeitung 20 Zeilen über eine Ausstellung von Schülern schreiben, von seinem eben entstehenden Roman wegzulocken. Was ihm - wie die Geschichte zeigt - leider nicht gelungen ist.

stu
20.06.2003, 12:06
ach, kinder, herrlich.

stu
20.06.2003, 12:08
wo kommen die ganzen kommata her? sie sind stärker als ich.

Der Admiral
20.06.2003, 12:16
Macht meinen Tag. Köstlich. Warum rückst Du mit der Geschichte erst jetzt raus?

anko
20.06.2003, 12:50
hatte ich vollkommen vergessen - eine mir nicht mehr rekonstrierbarer assoziation bei einer bemerkung hier im office ... was weiss ich.

Angelika Maisch
20.06.2003, 13:18
Und doch hätte man sich gewünscht, der Walser hätte den Job angenommen. Und es wäre dann erst aufgeflogen, als der Walserroman fertig gewesen wäre und sich darauf hin er, der Walser Martin, an Ressortleiter V gewandt hätte, mit der Bitte um eine Rezension. Vielmehr diese Frau H wäre am Telefon gewesen und hätte dem Walser gnädig beschieden, sie schaut mal, ob grade Platz im Blatt sei und sie würde es dem Chef jedenfalls ausrichten. Und der Walser hätte sich vielmals bedankt für die Müh. Und erst, als die Frau H das tatsächlich dem Herrn V ausrichtet, was sie übrigens beinahe vergessen hätte, erst dann
wäre der falsche Walser aufgeflogen.

Edding Kaiser
20.06.2003, 13:21
Schönen Dank Angelika, dass Dein Link im Digest die Pointe verrät. Kannst Du nicht EINMAL für einen Heller NACHDENKEN, bevor Du was schreibst?! Ich denke, wir werden Dich ins Heim stecken müssen, da kommen wir gar nicht umhin.

Murmel
20.06.2003, 13:44
Sprich nicht so mit Angelika, Tobler! Wo sind wir denn? Solange Du Deine Worte unter ihre Postings steckst...

Edding Kaiser
20.06.2003, 13:49
Ach, die feine Cordelia Clausen kann mal wieder ihr Schnütchen nicht halten! Deine Wohnung war doch neulich voll von Infobroschüren zur Pflegeversicherung! Tu ma nich so.
Kauf Dir lieber maln Bimsstein.

Angelika Maisch
20.06.2003, 13:52
Was Murmel sagt! hey Tobler! ich HABE nachgedacht! Undzwar folgendes habe ich gedacht. Was? der ECHTE Anko schreibt hier was? gibts doch gar nicht, hab ich gedacht. Und ganz sicher bin ich mir immer noch nicht, übrigens. Also bevor ich ins Heim muß, da ändere ich das gerne in
"der falsche Anko under echte Walser."
Außerdem glaub ich, du bist bloß sauer, weil du drauf reingefallen bist.

Edding Kaiser
20.06.2003, 13:56
Wie, drauf reingefallen? Die Pointe hast Du verraten, was ist daran tricky?!

anko
20.06.2003, 13:58
hier ist, glaube ich, niemand mehr echt. tobler? wie sprechen sie?

im übrigen würde ich mir wünschen, dass ihr diese wirre sache nicht unter meinen text pappt.

grund für die stunde, die ich mir für den text nahm ist, dass ich mich vor einer mühseligen arbeit drücke und nach einem ausgleich suchte.

stu
20.06.2003, 13:59
anko, sei ruhig, arbeite weniger und schreib mehr geschichten, sonst müssen wir dich leider sperren.

Edding Kaiser
20.06.2003, 14:01
Sagt mal, habt Ihr alle einen Sonnenstich?
Muss ich jetzt ernsthaft darauf hinweisen, dass es sich um einen Spaszwitz handelte?

stu
20.06.2003, 14:03
tobler, ruhig. ich hab doch da oben schon wadengebissen.

stu
20.06.2003, 14:04
anko, in wahrheit haben wir uns doch alle lieb!
und dich doch auch!

Dirk von Foerster
20.06.2003, 14:08
Stu, was ist eigentlich mit Dir los in letzter Zeit? Auch voll im Besenstedt-Modus hängengeblieben? Oder eher, dass du dich vor einer mühseligen arbeit drückst und nach einem Ausgleich suchst?

anko
20.06.2003, 14:08
schreckt einen alten mann nicht so!

schlotternd ab

anko
20.06.2003, 14:10
tobler, übrigens, wo wir gerade davon sprechen: ich habe jetzt eine einladung auf eine andere matratze, was tun?

stu
20.06.2003, 14:10
Anko! wir spielen doch nur!

anko
20.06.2003, 14:11
und gerne würde ich mit ein bis 3 züricher pappen schweigend einen kaffee trinken, bei dem wir auf diesen see hinausschauen, der in eurer komischen stadt dümpelt.

Edding Kaiser
20.06.2003, 14:16
Das mit der anderen Matratze ist gut anko, weil die Grosse sich auch für Dienstag angekündigt hat. Da bist Du aus dem Haus und sie und ich können in Ruhe knutschen.

Auge
20.06.2003, 14:42
Anko, schreib doch auch gleich noch dazu, wie wir mal völlig unentgeltlich einen Tatort für Deinen damaligen Schef geschrieben haben, der grad keine Zeit hatte, Stichwort Apahasi Singh

anko
20.06.2003, 14:50
das war der vorhergehende schef. hier geht es um dessen nachfolger, den zigarrerauchenden.

ist der singh-tatort eigentlich jemals gedreht worden? den könnten wir doch jetzt solchen fuzzis wie murmelchen verkaufen.

Auge
20.06.2003, 14:54
Das würde mich auch mal interessieren, was hat Pitsich aus dem Tatort gemacht? Und was hätte man damit verdienen können?
Bei dem Tatort kam ich mir vor wie Karl May, weil der Krimi spielt nämlich in Indien, wo ich damals noch nicht war

anko
20.06.2003, 15:07
murmel, hörst du das? oder beschäftigst du dich eben mit ihrgendwelchen nägelhäutchen im bettyford-forum?

Murmel
20.06.2003, 15:15
Ja, ich pushe die Beauty-Farm, wenn Du das meinst.

Der Admiral
20.06.2003, 15:18
Da gibts einen Witz, mit BHs oder so, ich komm jetzt nicht drauf.

Ignaz Wrobel
21.06.2003, 09:21
Der Roman, an dessen Fertigstellung Walser gehindert wurde, war wohl "Die Verteidigung der Kindheit" (1991), über die Dieter Lenhardt (?) von der "Presse Wien" (?), später folgendes schrieb:

"Ob, nach dem Tod Thomas Bernhards, noch ein deutschsprachiger Autor lebt, dem wie Walser eine süchtig-machende Prosa so wundersam zu Gebote steht?"

Der große deutsche Schriftsteller (Bundesverdienstkreuz, Georg-Büchner-Preis, Friedenspreis des deutschen Buchhandels) hat ja offensichtlich sehr freundlich auf die Störung seiner Arbeitsruhe reagiert. Aber in seinem Hirn arbeitete es, und bereits einen Roman später gelang es ihm, die erlittene Kränkung literarisch aufzuarbeiten, nämlich in "Finks Krieg":

“Die peinlichen, schmerzlichen, grausamen Reize aus der Berufswelt bewirkten, daß wir, der Beamte Fink und ich, für jeden anderen Reiz nur empfänglich waren, wenn er verwertbar war für unser Berufsproblem"

Aber war dieser Anruf verwertbar für sein Berufsproblem? Anscheinend schon:

"Jemand kann es noch so gut meinen mit mir, er möchte trotzdem nicht einfach angerufen werden und spüren, daß du ihn brauchst. Und der schlimmste Effekt: wenn du die, die du auf deiner Seite glaubst, zu oft anrufst, merken sie, wie schwach du bist, wie bedürftig, wie hilfsbedürftig. Und das ist dann schon eher peinlich. Auch ästhetisch peinlich, nicht nur moralisch. Also total peinlich. Da kann ja etwas nicht stimmen, wenn einer einen durch solche Anrufe unter einen nichts als erpresserischen Druck setzen will. Ich dachte eben andauernd nur an die Sache. Und ich nahm einfach an, daß auch alle anderen nur an meine Sache dachten. Gelegentlich versuchte ich den Eindruck zu erwecken, ich dächte auch an ihre Sache. Aber mich interessierte die Sache eines anderen überhaupt nicht. Das ließ ich nicht merken. Oft tat ich grotesk viel für andere, nur damit sie nicht merkten, wie wenig mich ihre Sache interessierte . Da Menschen ja nicht so verschieden sind voneinander, nahm ich an, andere benähmen sich auch so. Wenn einer, falls ich ihn überforderte, murrte und eher widerwillig tat, was ich erbat, dann war mir das lieber als das Gegenteil. Sobald mir einer auffallend heftig zu Hilfe kam, war ich jedesmal sicher, daß er damit nur verbergen wollte, wie wenig er von meiner Sache hielt. Ach, alle, gar alle habe ich überfordert. Jeden auf eine andere Art."

Vermutlich stand Walser kurz davor, sich in den Zug nach Vorarlberg zu setzen und die zwanzig Zeilen zu schreiben.

anko
22.06.2003, 17:20
hätte es eines beweises bedurft, dass es die fussnote braucht, um eine geschichte komplett zu machen - hier ist er. danke! wunderbare zitate.

Herr Weber
22.06.2003, 22:06
Oh Verzeihung, ich dachte, der Strang handelt von mir.

Ella Roc
23.06.2003, 21:33
der Chef hat die Geschichte ja selber einmal erzählt. hier für anko zum Nachlesen:


P. V.
Walser im Irrenhaus
Also, bitte, nur schön langsam. Freuen Sie sich nur ja nicht zu früh! Sie werden doch nicht ernsthaft annehmen, dass Sie von mir einen politisch korrekten Text zu erwarten haben.

Wenn Sie also glauben, dass ich jetzt über Martin Walser herziehen werde, können Sie gleich zu lesen aufhören. So wie ich seit dem Fliehenden Pferd (das jetzt ja schon ziemlich alt und klapprig sein muss) aufgehört habe, seine Bücher zu lesen.

Und wenn sich jetzt auch die berühmtesten meiner Kollegen über Martin Walsers neues Buch in heiligster Entrüstung die Finger wund schreiben, so werde ich es ganz gewiss nicht lesen.

Erstens, weil ich seit Kindertagen grundsätzlich nichts lese, von dem es heißt, dass man es lesen muss. (So wie ich mit voller Überzeugung ganz gewiss nicht schreibe, was und wie ich schreiben sollte.)

Zweitens aber weil ich Martin Walser seit geraumer Zeit sehr mag, ganz egal, was er schreibt, und noch mehr egal, was die andern über das von ihm Geschriebene schreiben.

Meine persönliche Schwäche für Martin Walser hat nämlich nur mittelbar literarische Motive. Zur Darstellung dieser Beziehungskiste muss ich allerdings weiter ausholen.

Sagen wir einmal so: Käme ich auf die finstere Idee, arglose Leute mit meiner Autobiografie zu behelligen, müsste ich diese mit der Feststellung einleiten, dass mich mein beruflicher Lebensweg eigentlich von einem Irrenhaus ins andere führte, und dass ich es auch privat fast ausschließlich mit Wahnsinnigen zu tun hatte und (hoffentlich liest das jetzt niemand!)
immer noch habe.

Der mir eigene Hang zur Selbstkritik weckt in mir freilich immer wieder die starke Vermutung, dass am Ende gerade das Gegenteil der Fall ist: Alle, die ich für wahnsinnig halte, sind völlig normal, und der Einzige, der tatsächlich verrückt ist, bin ich.

Die Frage, was dies alles nun mit Martin Walser zu tun hat, ist durchaus berechtigt und wird nun auch prompt ihrer Beantwortung zugeführt. Zu jenen Betrieben, in denen ich - möglicherweise als einziger Verrückter - mein Wesen trieb und immer noch treibe, zählt auch die Kulturredaktion des Blattes, das Sie gerade in Händen halten. Dort galt es einmal, neben
tausenderlei anderen Dingen, auch einen Bericht über eine
Veranstaltungsreihe in Vorarlberg zu organisieren.

Der für derlei Dinge bewährte Mann am Ort hörte auf den Namen Walser. Also erteilte ich der fleißigen Sekretärin den Auftrag, mich mit besagtem Herrn zu verbinden.

Gesagt, verbunden. Mit jovialer Freundlichkeit erteilte ich dem am anderen Ende der Leitung lauschenden Herrn detaillierte Aufträge, welche der Veranstaltungen er besuchen sollte und welche nicht und bis wann er wie viele Zeilen abzuliefern hätte.

Als ich mit meiner Wortsalve zu Ende war, staunte ich nicht schlecht, als Herr Walser sich in aller gebotenen Höflichkeit außerstande erklärte, meine Aufträge zu erfüllen. Auf meine ungehaltene Frage nach dem Grund seiner Weigerung, vernahm ich zunächst ein gequältes Wimmern und nach dessen Ende
den Satz: "Aber ich muss doch schreiben!"

Ich ließ nicht locker, witterte Pfusch für ein Konkurrenzblatt und fragte, was er denn schreibe. Walser, vor Verzweiflung fast singend: "Ich muss mein neues Buch beenden."

Dann erst fiel bei mir der Groschen. Ich war mit dem falschen Walser verbunden, der heute der richtige wäre. Höflich entschuldigte ich mich für die Störung. Er aber bedauerte nochmals nicht minder höflich, dass er mir als Korrespondent nicht dienen könnte.

Seither mag ich Martin Walser, der nun vielleicht insgeheim bedauert, nicht STANDARD-Berichte, sondern abermals ein Buch geschrieben zu haben.

Windhund
24.06.2003, 14:17
Ich mag Ankos Geschichten immer sehr gerne

honz
14.09.2006, 11:58
...

Juri
02.08.2011, 08:44
Schon wieder ein neuer Roman, da kann die Geschichte ruhig mal nach oben.