Ginster
08.03.2003, 17:42
Als ich einmal Studentin war und in Marburg wohnte, einer Stadt, von der ich mir erhofft hatte, sie sei nicht so anonym wie Berlin, biete aber die gleichen Lebenserfahrungsmöglichkeiten – eine Hoffnung, über die ich recht schnell zu schmunzeln bereit war –, ging ich am Freitagabend in ein Konzert, das im Kultur- und Freizeitzentrum, kurz: KFZ, stattfand. In meiner Schulzeit war ich an Freitagabenden immer ins Jugendzentrum, kurz: JotZ, gegangen, um dort für fünf Mark gar nicht mal so schlechte Kinofilme zu sehen. Einmal war die Linse des Vorführgeräts defekt, der Eintritt kostete nur zwei Mark, und wir, also diejenigen, die freitags immer ins JotZ gingen, machten uns einen Spaß daraus, Julia Roberts mal ganz dick, mal ganz dünn zu sehen, je nachdem, ob wir unsere Köpfe aufrecht oder zur Seite geneigt hielten.
Auf den Plakaten des KFZ jedenfalls wurde Caspar Brötzmann als "Sohn der Jazzlegende Peter Brötzmann" angekündigt, worauf ich als Sohn der Jazzlegende gerne verzichtet hätte, zumal ich als Sohn der Jazzlegende ziemlich genervt von der Tatsache gewesen wäre, dass ich es bis dato nicht zuwege gebracht hatte, mich über das Zulegen eines Künstlernamens von dem Schicksal einer weitaus intellektuelleren Vornamens- als Nachnamensgebung zu befreien.
Caspar Brötzmanns Begleitband hieß Massaker; es handelte sich hierbei um ein Zwillingspärchen unbestimmbaren Alters, lederhäutig, mit grimmigen Mienen, jeweils nur wenig größer als die Schlagzeuge, hinter denen sie reglos mit nacktem Oberkörper hockten und auf ihren Einsatz warteten. Dunkel wurde es, bedrohlich. Vollkommen dunkel und bedrohlich. Caspar Brötzmann, in dunkelschwarzem Hemd und bedrohlichschwarzer Jeans, trat auf die Bühne, ergriff mit einer schaudernmachenden Bewegung den Mikrofonständer, wartete, bis es alle, insbesondere die Damen, praktisch nicht mehr aushielten vor Dunkelheit, Bedrohlichkeit und Schaudern, und tönte dann mit tiefstem Bass: "Soll ich mir für dich die Kante geben?" – Glutaugen, mehr Dunkel, mehr Bedrohung, mehr Schaudern –, "Mich für dich ins Unglück stürzen?" Ja, gut, au ja, dachte ich, aber dann war es mit dem Denken vorbei, denn "stürzen" war das Stichwort für Massaker.
Caspar Brötzmann und Massaker spielten das lauteste Konzert, welches ich je erlebt hatte; nicht einmal das Abschiedskonzert unserer Schülerband im JotZ war so höllenlaut gewesen. Ich stand inmitten des Infernos und versuchte verzweifelt, mit dem Mir-die-selbstgedrehten-Taschentuchröllchen-in-die-Ohren-schieben fertig zu werden, bevor es mir die Seele rausbrüllte. Das funktionierte nicht, also verzog ich mich in den nebenan befindlichen Thekenraum (das KFZ ist wirklich sehr klein) und verbrachte dort einen angenehmen Abend. Als das Konzert beendet war, kamen Caspar Brötzmann und Massaker ebenfalls in den Thekenraum, wo ich Zeugin der mich nachhaltig beeindruckenden Szene wurde, in der den Musikern ein Tablett mit drei Gläsern Rum-Cola gereicht wurde, woraufhin alle zulangten und, ich könnte zumindest schwören, dass es so war, Caspar Brötzmann zur Bedienung sagte: "Und das mit den Mädchen fürs Hotelzimmer geht klar, ja?" Sein halbleeres Glas ließ er stehen. Berlin, dachte ich, dunkle, bedrohliche Welt, ich komme. Nahm das Glas und gab mir dramatisch entschlossen den Rest. Seitdem ist Rum-Cola mein Lieblingsgetränk.
Nach Berlin bin ich dann doch nicht gegangen.
Auf den Plakaten des KFZ jedenfalls wurde Caspar Brötzmann als "Sohn der Jazzlegende Peter Brötzmann" angekündigt, worauf ich als Sohn der Jazzlegende gerne verzichtet hätte, zumal ich als Sohn der Jazzlegende ziemlich genervt von der Tatsache gewesen wäre, dass ich es bis dato nicht zuwege gebracht hatte, mich über das Zulegen eines Künstlernamens von dem Schicksal einer weitaus intellektuelleren Vornamens- als Nachnamensgebung zu befreien.
Caspar Brötzmanns Begleitband hieß Massaker; es handelte sich hierbei um ein Zwillingspärchen unbestimmbaren Alters, lederhäutig, mit grimmigen Mienen, jeweils nur wenig größer als die Schlagzeuge, hinter denen sie reglos mit nacktem Oberkörper hockten und auf ihren Einsatz warteten. Dunkel wurde es, bedrohlich. Vollkommen dunkel und bedrohlich. Caspar Brötzmann, in dunkelschwarzem Hemd und bedrohlichschwarzer Jeans, trat auf die Bühne, ergriff mit einer schaudernmachenden Bewegung den Mikrofonständer, wartete, bis es alle, insbesondere die Damen, praktisch nicht mehr aushielten vor Dunkelheit, Bedrohlichkeit und Schaudern, und tönte dann mit tiefstem Bass: "Soll ich mir für dich die Kante geben?" – Glutaugen, mehr Dunkel, mehr Bedrohung, mehr Schaudern –, "Mich für dich ins Unglück stürzen?" Ja, gut, au ja, dachte ich, aber dann war es mit dem Denken vorbei, denn "stürzen" war das Stichwort für Massaker.
Caspar Brötzmann und Massaker spielten das lauteste Konzert, welches ich je erlebt hatte; nicht einmal das Abschiedskonzert unserer Schülerband im JotZ war so höllenlaut gewesen. Ich stand inmitten des Infernos und versuchte verzweifelt, mit dem Mir-die-selbstgedrehten-Taschentuchröllchen-in-die-Ohren-schieben fertig zu werden, bevor es mir die Seele rausbrüllte. Das funktionierte nicht, also verzog ich mich in den nebenan befindlichen Thekenraum (das KFZ ist wirklich sehr klein) und verbrachte dort einen angenehmen Abend. Als das Konzert beendet war, kamen Caspar Brötzmann und Massaker ebenfalls in den Thekenraum, wo ich Zeugin der mich nachhaltig beeindruckenden Szene wurde, in der den Musikern ein Tablett mit drei Gläsern Rum-Cola gereicht wurde, woraufhin alle zulangten und, ich könnte zumindest schwören, dass es so war, Caspar Brötzmann zur Bedienung sagte: "Und das mit den Mädchen fürs Hotelzimmer geht klar, ja?" Sein halbleeres Glas ließ er stehen. Berlin, dachte ich, dunkle, bedrohliche Welt, ich komme. Nahm das Glas und gab mir dramatisch entschlossen den Rest. Seitdem ist Rum-Cola mein Lieblingsgetränk.
Nach Berlin bin ich dann doch nicht gegangen.