MissJuni
05.03.2003, 16:04
Vor einer Woche ist Ulrike nach Berlin gezogen. Der Leih-Bulli wurde vor der Tür geparkt, was in der alten Schönhauser einem Wunder gleicht, und wir fingen mit dem Ausladen an. Nach einer viertel Stunde war ich schon am Ende meiner Kräfte (wie bei jedem Umzug) und um ein bisschen zu verschnaufen ging ich schnell in den Kochbuchladen gegenüber. Ich fragte nach einem Buch, das ich schon seit Längerem suchte und die nette Verkäuferin sagte mir, dass sie schauen würde, ob sie es mir bestellen könne. Ich solle ruhig erstmal weiter beim Umzug helfen (ich hatte diesen zuvor erwähnt) und in einer halben Stunde nochmal nachfragen. Ich befolgte ihren Vorschlag. Als ich wieder am Bulli ankam, standen die restlichen Helfer nichtstuend um den Wagen herum und ich erwartete schon Schelte, weil ich mich ja einfach so verdrückt hatte. Aber statt böser Worte sagte man mir nur: "Guck mal, Joschka Fischer." Dazu ein Kopfnicken in Richtung Espresso-Laden. Da stand er, irgendwie hutzelig, ein Cap in sein kleines zerknautschtes Gesichtchen gezogen und fasdt schulterlos. Der Wagen parkte genau vor dem Laden, der zu beladende Hauseingang befand sich direkt neben den Laden, und so konnten wir ohne aufzufallen beobachten. Wir hatten die beste Tarnung, die man sich vorstellen konnte. Trotzdem schnappte ich mir einen Karton und verschwand im Haus, um meine Pause wieder aufzuholen. Schneller als die Male zuvor war ich wieder unten angekommen, aber unser Außenminister hatte wohl schon genug über die Funktionen von Espressomaschinen erfahren, denn er hatte den Laden bereits wieder verlassen. Eine Freundin aber hatte den neusten Stand parat: "Er ist jetzt da drüben im Kochbuchladen." Was für ein Zufall. Die vorgeschriebene halbe Stunde war zwar noch nicht verstrichen, dennoch ging ich geraden Schrittes zurück in den Laden, um mich nach meinem Buch zu erkundigen. Joschka Fischer stand hinter dem Tisch in der Mitte des Verkaufraumes, direkt gegenüber der Eingangstür und studierte die ausliegenden Kochbücher. Sein Gesicht war noch kleiner als ich es vorhin von etwas weiter entfernt vermutet hatte. Augen, Nase und Mund vereinten sich auf kleinstmöglichem Raum in der Mitte des Gesichts. Durch das Cappy sah es vielleicht sogar noch etwas gestauchter aus, als es wirklich war. Obwohl die Tür beim Betreten des Ladens ein Klingeln auslöst, schaute er nicht auf, sondern stand stur auf die Bücher guckend vor dem Tisch. Die Verkäuferin stand im hinteren Raum, der Küche, und informierte wohl eine andere Mitarbeiterin über den prominenten Gast. Denn diese lugte gerade um die Ecke, um einen Blick zu erhaschen. "Das Buch habe ich bestellt, Du kannst es Anfang nächster Woche abholen", sagte sie, als sie nach vorne kam. "Ähm. Ja. Klasse. Danke. Tschüß." Ich ging um den Tisch herum zum Ausgang. "Und noch viel Spaß beim Umzug!" Da schaute Joschka Fischer hoch. Er kombinierte und rang sich ein Lächeln ab. "Danke", sagte ich.