Tobi Wahn
09.09.2002, 14:12
Der Kirchplatz heißt so, weil dort einmal eine Kirche gestanden hat, die im Krieg zerstört wurde. Lediglich der Turm ist noch übrig. Die Grundrisse kann man noch erkennen, das ist der mahnende Effekt. Dazwischen wächst Gras, und auf den vereinzelt herumstehenden Bänken sitzen normalerweise immer kleine Gruppen von Trinkern, sortiert nach Alter, Geschlecht und Gesundheitszustand. Mütter schicken ihre Kinder zum spielen auf die über und über mit Hundekacke verminte Fläche, während sie im angrenzenden Bistro eine kleine Tasse Kaffee bestellen und dazu ununterbrochen Billig-Zigaretten von Lidl rauchen. Die langen, hunderter, weil man da mehr kriegt für sein Geld.
Heute ist alles anders: Das Bistro ist fast leer und auf der Wiese stehen 25 oder 30 nagelneue Polizeiautos. Die sind jetzt nicht mehr grün und weiß, sondern silbern. Nur die Kotflügel sind grün abgesetzt. Opel. Klar, wir sind hier ja in Hessen. Neben jedem Wagen steht der zukünftige Fahrer. Ich schlendere vorbei. Mir geht durch den Kopf, ob wohl jeder Polizist ein Auto bekommt, mit dem er dann nach der Arbeit nach Hause oder in Urlaub fahren kann und ob die Herren deswegen so stolz in Richtung Fußgängerzone blicken. Weil sie ja jetzt ein neues Auto bekommen haben. Blödsinn. Vorne, am Straßenrand, steht ein Zeltdach und darunter einige abgegriffen aussehende Polizei-Werbetafeln: "Passen Sie unter diesen Hut?"
Der hessische Innenminister Volker Bouffier steht neben dem Zelt und spricht in ein Mikrofon. Er sieht aus wie einer, der vor dem Horten steht und mit der Vorführung eines neuartigen Mikrofasertuchs die im Halbkreis vor ihm stehenden Hausfrauen beeindruckt. Seine Zuhörer sind alle uniformiert. Polizisten, deutsche und amerikanische Soldaten und eine kleine Gruppe älterer Herren in dunkelgrünen, billig aussehenden Overalls mit Dienstmütze. Nachbarschaftswache, Hilfspolizei, Volkssturm, irgendsowas.
Bouffier hält das Mikro wie ein Radioreporter, ziemlich weit unten. Er verzichtet auf die Schlagersängerschlaufe mit dem Kabel, denn bewegen muss er sich nicht.
Die Sonne knallt ihm genau ins Gesicht, er kneift die Augen zusammen und erklärt allen Anwesenden, was die Aufgaben eines Polizisten sind. "Der Polizist verbringt die meiste Zeit seiner Arbeit auf der Wache, aber den anderen Teil verbringt er in seinem Dienstfahrzeug." Er hat die Wortwahl seinem Publikum angepasst, denn nur Leute, die von Dienstfahrzeugen keine Ahnung haben, sagen dazu "Polizeiauto" oder "Wagen".
Ich erspähe nirgends seine Personenschützer und nehme an, die hat er für diesen Termin extra nicht mitgenommen, um das Fußvolk nicht zu brüskieren. Wäre doch gelacht, wenn jemand wagen würde, den Innenminister inmitten von 200 Polizisten und 25 neuen Polizeiautos anzugreifen, und man das nicht ohne die Herren von der Spezialabteilung in den Griff bekommen würde. Haha, das wollen wir doch doch mal sehen, haha.
"Die hessische Polizei hatte immer den Ruf, besonders alte und schlechte Dienstfahrzeuge zu haben" sagt Bouffier gerade und dreht sich dabei aus der Sonne; sucht Blickkontakt mit den ihm am nächsten stehenden Polizeifunktionären. Ich erwarte, dass irgendwer "Genau!" oder "Sag, wie es ist, Volker" ruft, aber alles bleibt still.
Ich mache es wie alle, die heute Morgen unterwegs sind und an dieser Veranstaltung vorbei kommen: ich gehe weiter, bleibe nicht stehen. Das ist ein Betriebsausflug und der Chef hält eine Rede. Nicht mein Betrieb, nicht mein Chef.
Ich komme an einer Reihe Polizisten vorbei, die die Zugänge zum Kirchplatz bewachen. Sie tragen ihre normalen Uniformen und haben ihr Deeskalationsgesicht aufgesetzt. Ein Mann um die 50 geht auf einen der Uniformierten zu und beginnt kumpelhaft zu schwatzen, als wär er einer von ihnen, auf der richtigen Seite, einer von den Guten: "Na? Habt ihr jetzt neue Autos? Wurd auch Zeit, das ganze Geld ging ja vorher immer an die Kanaken!"
Der Polizist bemerkt, dass ich ihn anstarre und reagiert nicht auf das eben gesagte.
Ich bin froh, dass es heute wenigstens nicht regnet.
Heute ist alles anders: Das Bistro ist fast leer und auf der Wiese stehen 25 oder 30 nagelneue Polizeiautos. Die sind jetzt nicht mehr grün und weiß, sondern silbern. Nur die Kotflügel sind grün abgesetzt. Opel. Klar, wir sind hier ja in Hessen. Neben jedem Wagen steht der zukünftige Fahrer. Ich schlendere vorbei. Mir geht durch den Kopf, ob wohl jeder Polizist ein Auto bekommt, mit dem er dann nach der Arbeit nach Hause oder in Urlaub fahren kann und ob die Herren deswegen so stolz in Richtung Fußgängerzone blicken. Weil sie ja jetzt ein neues Auto bekommen haben. Blödsinn. Vorne, am Straßenrand, steht ein Zeltdach und darunter einige abgegriffen aussehende Polizei-Werbetafeln: "Passen Sie unter diesen Hut?"
Der hessische Innenminister Volker Bouffier steht neben dem Zelt und spricht in ein Mikrofon. Er sieht aus wie einer, der vor dem Horten steht und mit der Vorführung eines neuartigen Mikrofasertuchs die im Halbkreis vor ihm stehenden Hausfrauen beeindruckt. Seine Zuhörer sind alle uniformiert. Polizisten, deutsche und amerikanische Soldaten und eine kleine Gruppe älterer Herren in dunkelgrünen, billig aussehenden Overalls mit Dienstmütze. Nachbarschaftswache, Hilfspolizei, Volkssturm, irgendsowas.
Bouffier hält das Mikro wie ein Radioreporter, ziemlich weit unten. Er verzichtet auf die Schlagersängerschlaufe mit dem Kabel, denn bewegen muss er sich nicht.
Die Sonne knallt ihm genau ins Gesicht, er kneift die Augen zusammen und erklärt allen Anwesenden, was die Aufgaben eines Polizisten sind. "Der Polizist verbringt die meiste Zeit seiner Arbeit auf der Wache, aber den anderen Teil verbringt er in seinem Dienstfahrzeug." Er hat die Wortwahl seinem Publikum angepasst, denn nur Leute, die von Dienstfahrzeugen keine Ahnung haben, sagen dazu "Polizeiauto" oder "Wagen".
Ich erspähe nirgends seine Personenschützer und nehme an, die hat er für diesen Termin extra nicht mitgenommen, um das Fußvolk nicht zu brüskieren. Wäre doch gelacht, wenn jemand wagen würde, den Innenminister inmitten von 200 Polizisten und 25 neuen Polizeiautos anzugreifen, und man das nicht ohne die Herren von der Spezialabteilung in den Griff bekommen würde. Haha, das wollen wir doch doch mal sehen, haha.
"Die hessische Polizei hatte immer den Ruf, besonders alte und schlechte Dienstfahrzeuge zu haben" sagt Bouffier gerade und dreht sich dabei aus der Sonne; sucht Blickkontakt mit den ihm am nächsten stehenden Polizeifunktionären. Ich erwarte, dass irgendwer "Genau!" oder "Sag, wie es ist, Volker" ruft, aber alles bleibt still.
Ich mache es wie alle, die heute Morgen unterwegs sind und an dieser Veranstaltung vorbei kommen: ich gehe weiter, bleibe nicht stehen. Das ist ein Betriebsausflug und der Chef hält eine Rede. Nicht mein Betrieb, nicht mein Chef.
Ich komme an einer Reihe Polizisten vorbei, die die Zugänge zum Kirchplatz bewachen. Sie tragen ihre normalen Uniformen und haben ihr Deeskalationsgesicht aufgesetzt. Ein Mann um die 50 geht auf einen der Uniformierten zu und beginnt kumpelhaft zu schwatzen, als wär er einer von ihnen, auf der richtigen Seite, einer von den Guten: "Na? Habt ihr jetzt neue Autos? Wurd auch Zeit, das ganze Geld ging ja vorher immer an die Kanaken!"
Der Polizist bemerkt, dass ich ihn anstarre und reagiert nicht auf das eben gesagte.
Ich bin froh, dass es heute wenigstens nicht regnet.