PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Reinhardt, Schnuckenack, er geigt



Herr Cohn
08.08.2002, 19:29
Dafür also ist das planlose Herumzappen vorm nächtlichen Fernseher gut: Es erklärt Einem manchmal das Leben, so ganz unverhofft. Also, vorigen Monat in Paris schlichen mein Freund Nils und ich über den Marché aux puces, der Flohmarkt ganz weit im Norden hinter den Stadtgrenzen, dort ist es schmutzig und übervölkert, oder unwahrscheinlich überteuert und strotzend von Chichi, kommt darauf an, auf welchem Teil des Puces man ist. Wir waren natürlich in der billigen Gegend, denn, haben wir vielleicht Geld?

Manchmal jedoch liegen die Stände mit Ramsch und gebrauchten Büchern, wohlgemerkt keine antiquarischen, gleich neben glitzernden Geschäften vollgestopft mit von Katzengold strotzenden Möbeln aus dem neunzehnten Jahrhundert in allen möglichen imitierten Stilen, die Preise sind dann die Jahreszahl mal zehn, in Euro.
http://www.etemenanki.de/corpus_delicti/puces01.jpg
Ich hatte mir gerade so was angesehen, mit großen arroganten Augen, und in einem finsteren Laden daneben dann mit einem Algerier über den Preis eines alten Boukhara verhandelt, 300 €, gar nicht so schlimm, erstaunlich, der Teppich war keine Fälschung und richtig alt, aber hab ich 300 €?, als mein Freund Nils mir ins Ohr zischte, was ich denn mit dem alten Feudel wollte und dass er genug habe und irgendwo jetzt was trinken müsse. Manchmal hat er so richtig Recht. Ich riss mich von dem edlen abgetretenen Boukhara los, wir traten auf die schattige Seite der Straße, denn da lag ein Bistrot. Mein schwerer Rucksack voller gebrauchter Bücher, nein keine antiquarischen, drückte mich, ich war völlig verschwitzt, die Kehle staubig, ein großes Panaché wäre jetzt - aber dort draußen sitzen konnte man nicht. Dafür schrammelte Musik aus dem düsteren Inneren. Keine aus dem Lautsprecher, echte. Zigeunerswing, verteufeltes Tempo, sausende Töne, Django Reinhardt!

Das musste ich sehen, ich drückte mich durch die schmale Glastür, innen brannte kein Licht und alles war voller Leute, was für ein Gedränge, verrauchte Luft, diese Musik, ein überlasteter Barkeeper hinter dem Tresen, keine Chance was zu trinken, aber das hatte ich schon vergessen. Links im Raum, zwischen Tresen und Fenster, saßen nein hockten fünf Musiker, verbrauchte Gesichter, Hüte, dicke Bäuche, keiner unter Sechzig mindestens, die ihre Instrumente triezten, was sie hergaben. Die fünf hockten so ganz unbewegt da, die Musik drehte sich frenetisch im Raum, aber in ihren Gesichtern bewegte sich kein kleines Bisschen. Anders das Publikum! Die waren begeistert wie ich, Manche pfiffen mit, aber die Musiker, in ihren verschwitzten Hemden, dick, unbewegt, nur ihre Finger wetzten so über die Saiten ihrer Gitarren und Bässe, dass meine Augen und Ohren kaum mitkamen. Der Dicke in der Mitte geigte breitbeinig sitzend, ein Routinier ohne Ende, sowas hatte ich noch nicht gehört. Über den Musikern, nein, Musikanten, hingen eine Menge verblichener Schwarzweißfotos, Django Reinhardt in der Mitte, er sah wie Clark Gable aus. Hier wollte ich nicht weg! Durst, Erschöpfung, ach woher. Dann war das Stück zuende, großer Jubel, Rufe, ja Schreie, der Dicke in der Mitte, der gegeigt hatte, lächelte einen Moment. Der Lärm der vielen Leute schlug über dem engen Bistrot zusammen und mir fiel ein, wo war denn Nils? Ein Blick hinaus, er stand frustriert an der nächsten Ecke. Na gut, ich drängte mich aus der Tür, noch ganz voll vom Zigeunerswing, und wir beschlossen den Tag in einem anderen Bistrot, wo man draußen sitzen konnte, bei mehreren riesigen Panachés. Aber ich konnte Nils nicht dazu überreden, diese Musik zu mögen, nein, sie war ihm zu unerwachsen.

Nun, ich habe diese Geschichte mit etwas Anderem begonnen, nämlich mit dem nächtlichen Zappen durch die Fernsehprogramme. Gestern landete ich also bei Arte und da war ein dicker alter Mann mit schmalem schwarzem Schnurrbart, der mir vage bekannt vorkam, Schnuckenack Reinhardt, ein Verwandter vom großen Django, dessen krauser Vorname "Hübschnase" bedeutet. Schnuckenack Reinhardt hat die durch die Nazizeit abgerissene Tradition des Zigeunerswings vor ein paar Jahren erneuert, jetzt spielt man das wieder. Ähnlich ist es mit jüdischem Klezmer, der völlig ausgestorben war, bis vor zwanzig Jahren Julius Epstein aus New York, schon damals sehr alt, diese Musik wieder belebt hat, und jetzt sind die Läden voll mit Klezmer-CDs. Also Schnuckenack Reinhardt, ich sah ihn reden und überlegte, hm, neulich in Paris auf dem Puces, war der das nicht? Könnte er? Soll ich vielleicht eine neue Paparazzigeschichte schreiben? Das wäre doch was. Aber ich war nicht ganz sicher. Und da schwenkte die TV-Kamera auf die hölzerne Fassade genau des Bistrots auf dem Puces und es stellte sich heraus, dass ich wohl so eine Konzertprobe unter Freunden gehört hatte, denn am Abend des selben Tags sollte Reinhardt irgendwo ein großes Konzert geben. Aha!

Vorher war er also in seinem Stamm-Bistrot und machte da Musik, einfach so. Nett von ihm.

http://www.das-erste.de/familiengeschichten/reinhardt.jpg

DerCaptain
08.08.2002, 19:43
Allerhand. Schöner Zufall, das.

frosch2
08.08.2002, 20:10
WUNDERBAR! Die Nr. 1 der Cohen Brüder hat wieder zugeschlagen.

Benzini
08.08.2002, 23:12
schnuckelig

joq
08.08.2002, 23:37
Runde Sache. Ziehe den Hut.

Jessica
09.08.2002, 11:09
an Herr Cohn:

Es ist eine tolle Geschichte. Sie leuchtet und glitzet. Sie können gut schreiben!

Jessica

Angelika Maisch
09.08.2002, 13:20
oder wie der Karlsruher es ausdrücken würde:
mer kann nix sage.
Doch. TipTop, Herr Cohn.

DREA
09.08.2002, 13:27
Kann man echt nicht meckern, diesmal.

bastifantasti
09.08.2002, 13:36
Schnuckenack Reinhardt, hat mal in einem Interview gesagt er hätte soviele Kinder, dass er nicht mal mehr wüsste wieviele. Überhaupt ist er ne echt coole Sau.

sapinho
09.08.2002, 15:46
schön

Herr Uffelmann
09.08.2002, 15:52
Ha!
Endlich mal wieder ein neuer Cohn.
Ein schönes Konzert, danke.

Aporie
09.08.2002, 16:27
Danke für den Text zum Bild. Ich war etwas spät dran bei Arte und bekam nicht mit, dass es sich um einen Verwandten des großen Django handelt.

Herr Cohn
09.08.2002, 17:33
Schön, dass Ihnen allen das gefällt! Stimmt, Herr Reinhardt ist ziemlich - durchtrieben. Hab ihn ja leider nicht in natura reden hören, aber auf Arte sagte er in seinem altmodischen Badisch: "Hajo, mei Vadder hat misch welle ssaxofon schpiele losse. Abber mei Bagge! Die ware ganz uffgeblase dabei un, des is net sso schee, wenn du sso uffgeblaßene Bagge hesch un de Medle ssehe des alß. Da wolld isch lieber Geige länne, weil, do kannsch immer nach die Medle gugge un en Auge zukneife dabei! Hajo, schee wars."

Mandeltorte
10.08.2002, 02:51
Sehr wildwürzig, sehr fein!