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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Niehenke, Peter (im April inkognito)



lilsista
08.08.2002, 00:26
Dr. Peter Niehenke ist ein kleiner Bürgerschreck. Nicht, dass jemand Anstoß nähme an seiner Tätigkeit als Astrologe und Psychologe, Sternedeuten und Seelendeuten sind ja gesellschaftsfähig, nein, es ist vielmehr eine etwas ungewöhnliche Obsession, die doch einigermaßen vehement das ästhetische Empfinden seiner Mitmenschen berührt und bei einigen darob zu schamroten Gesichtern und Erklärungsnotstand dem Nachwuchs gegenüber führt, also frei heraus: Herr Niehenke kleidet sich gerne nackt.

Er wohnt hier bei mir ganz in der Nähe, am Fuße des Lorettoberges. Im Sommer ist sein Lustwandeln oder auch Joggen auf den traulichen Wegen gefürchtete Routine. Die Anwohner des Lorettoberges und die arglosen Spaziergänger auf dem Schlierberg, die sonst den wunderschönen Blick hinunter an Weinbergen über die sich weit erstreckende Eben hin zum Tuniberg, ja manchmal bis zu den Vogesen, genießen dürfen, diese Menschen müssen sich gefallen lassen, dass ab und an ein nackter Herr vor ihren Augen vorbeitänzelt. Fast jedes Mal gibt es Entsetzte und Empörte, die die Polizei benachrichtigen, die Polizei aber kennt Herrn Niehenke und seine Passion, die er ideologisch bestens untermauert hat und für deren freie Entfaltung er öffentlich kämpft. Er geht nackt aus Prinzip und das schon seit Jahren.
Man darf Niehenke durchaus als lokale Berühmtheit bezeichnen, auch im Fernsehen war er schon zu bewundern, nackte Haut verkauft sich ja immer, wenngleich der Sex-Appeal der Haut von Dr. Niehenke eher gering zu bewerten ist.

Bevor ich Niehenke das erste Mal sah, war ich bereits aufgeklärt und wusste genug, um nicht ohnmächtig umzufallen oder einen Lachanfall zu kriegen. Nein, auch zu den blöden Gaffern wollte ich nicht gehören, soviel hatte ich mir für den Fall eines Zusammentreffens bereits vorgenommen, ich würde ihn einfach nett ansehen und so tun, als sei es das Normalste von der Welt, einem vollständig nackten Mann auf der Straße zu begegnen, schließlich bin ich im Herzen doch Weltstädterin.
Es kam allerdings gar nicht so weit, dass ich Dr. Niehenke auf irgendeine Weise Einverständnis mit der von ihm gewählten Lebensweise hätte signalisieren müssen, er konnte mich gar nicht sehen, denn ich fuhr auf dem Fahrrad hinter ihm her.
Ich befand mich zu dieser Zeit auf der Suche nach einem neuen Kühlschrank und fuhr gerade zu einen großen Elektrogerätehandel beim Güterbahnhof, es war ein warmer Frühlingstag, als Herr Niehenke vor mir auf den Fahrradweg einbog. Das ist er also, dachte ich, während ich, einigermaßen verwundert, wie es sich wohl anfühlen mag, ungeschützten Hinterteils auf einem Fahrradsattel zu sitzen, hinter ihm herradelte, ich musste mich ganz schön anstrengen das Tempo zu halten das er vorgab, aber so schnell ließ ich mich dann doch nicht abschütteln, ich wollte ja wenigstens ein bisschen was sehen:
Niehenke ist groß, dünn, eher Typ Langstreckenläufer als Sprinter, er hat ein freundliches Gesicht, lustiges Kraushaar, putzige Brille, er sieht genau so aus wie ich mir einen unauffälligen Soziologiedozenten vorstelle. Seine Nacktheit hatte tatsächlich nichts Anstößiges, die sonnengegerbte bronzefarbene Haut wirkte ohnehin wie ein natürlicher Hornanzug, es war nichts dabei. Ich drosselte das Tempo und er enteilte.

Es sollte drei Jahre dauern, bis ich ihn wiedersah. Ich überquerte gerade die Lorettostraße kurz vor dem Haus in dem er seine astrologische Praxis hat, da kam er mir entgegen. Es war ein sehr kalter, nasser Tag im April und selbst ein Niehenke geht bei solch einem Wetter nicht nackt aus dem Haus, soweit treibt er es dann doch nicht. So selbstverständlich wie mir zuvor der Anblick des nackten Niehenke gewesen war, so befremdlich erschien es mir diesmal, ihn mit Hose und Pullover bekleidet zu sehen. Ihm selbst war es wohl auch nicht besonders angenehm, von der Witterung genötigt das Luft- und Freiheitsbedürfnis seiner Haut unterdrücken zu müssen, jedenfalls sah er traurig lächelnd, als dächte er über etwas nach das sein Herz bewegte, zu Boden, während wir aneinander vorbeigingen. Man merkte, dieser Mensch ist nicht ganz bei sich, ist nicht, was er eigentlich sein will, entspricht nicht dem Bild, das er selbst von sich hat. Ich schämte mich ein bisschen, ihn so angezogen ertappt zu haben.
Vielleicht dachte er sich in diesem Moment ja, dass ich ihn gar nicht erkennen würde, derart seiner Besonderheit beraubt, und in gewisser Weise war er ja auch inkognito.


http://www.waldfkk.de/StuttgarterNachrichten/nude2.jpg

Yvonne Caldenberg
08.08.2002, 00:38
Das ist er also, dachte ich, während ich, einigermaßen verwundert, wie es sich wohl anfühlen mag, ungeschützten Hinterteils auf einem Fahrradsattel zu sitzen,

Es wäre aber gut zu wissen, ob solche Doktors den neuen Fahrrad-Mietservice der Bahn benutzen dürfen.
Ich dachte gerade daran, diesen Dienst einmal zu testen (sdie Räder sehen interessant aus). Aber diese Geschichte lässt mich jetzt zögern.

lilsista
08.08.2002, 03:11
Naja, soviele Nacktfahrer wird es nicht geben.

Ich lese übrigens gerade in einem (http://www.berlinonline.de/wissen/berliner_zeitung/archiv/2001/0731/vermischtes/0016/) von etlichen abrufbaren Zeitungsartikeln über Niehenke folgendes:

"Sogar im Winter bei zwei Grad minus läuft er nur mit Turnschuhen und Socken bekleidet durch die Gegend, "das ist ideal für das Immunsystem". Vom Warm-Einpack-Wahn seiner Mutter habe er sich endgültig gelöst: "Sie selbst hatte Tuberkulose und wollte..."

Dann habe ich ja wirklich eine sensationelle Beobachtung gemacht! Jetzt wundert mich gar nicht mehr, dass er so betreten zu Boden geschaut hat. Schämen soll er sich, angezogen durch die Gegend zu laufen, und das bei Temperaturen deutlich über Null! Niehenke nackt sehen ist keine Kunst! Aber in Kleidung!! Mist, ich hätte ein Foto machen sollen.

Tristram Shandy
08.08.2002, 10:19
Lustig:
In TV-Berichten über Herrn Niehenke pixelt die abgefuckte Honz-SAT1-Sendung seinen Schrumpelschwanz (den von Niehenke, nicht den von Honz) mit einem Smiley, während der prüde Bayerische Rundfunk den Schniedel unverblümt zeigt.

Hat das was zu bedeuten?

Aporie
08.08.2002, 10:49
Nackte Tatsache ist, dass lilsista jede Art von Geschichte sehr schön erzählt.

joq
08.08.2002, 13:00
ebendies wollte ich anmerken. Eine still-vergnügte schöne Schilderung.

lilsista
09.10.2002, 23:29
Hab ihn heute wieder gesehen. Kurz vor seiner Wohnung. In einer elfenbeinfarbenen, flauschverheißenden Kutte, eine Bäckertüte schwenkend, grinsend, unangenehm auffällig gut gelaunt.
Definitiv nicht nackt.