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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Campino und Andi schauen sich im Museum an



fabchief
16.07.2002, 19:10
Als Fremder und einsamer Bayer bin ich ins rheinländische Düsseldorf gekommen, ich kannte nur meinen Gram, Heimweh, überteuerte Preise und aber auch eine sehr grosse Portion Neugier. Schnell musste ich feststellen, daß bis auf Jazz an Musik hier leider wenig geboten wird. Immerhin gibts ja die Hosen aber die lassen sich wahrscheinlich ihre Rockstarbäuche von halbnackten Chiquitamädels auf Hawaii massieren. Nachdem ich das verdaut hatte konnte ich aber bald feststellen, daß dafür hier viel Begeisterung, Muse und auch Kentniss gegenüber der bildenden Kunst aufgebracht wird. Das muss kein schlechter Tausch sein.

Ist es auch nicht.

Aber es geht besser:

Es gibt das Museum Kunstpalast: Nach einer Renovierung findet hier seit einer Woche die Ausstellung "Zurück zum Beton" statt. Es werden dort die Anfänge der lokalen und nationalen Punkszene, die Verbindungen nach England usw. aufgezeigt. Nette Filmchen gibt es auch noch, Plattencover, Fanzines, lustige Instrumente und natürlich auch Dezibel auf die Ohren. Man könnte die Ausstellung als gelungen bezeichnen, das Publikum ist angenehm und trägt die Nase auf durchaus sympathischer Höhe.
Ich besuche also die Ausstellung begebe mich seligen Blickes , auch an meine eigene Vergangenheit, in den ersten Stock und stehe vor den Wänden mit den aufgepappten Fanzines. Ich suhle mich ein wenig schwärmerisch in eigenen Erinnerungen...neben mir steht ein Typ dem es offensichtlich genau so geht. Ein durchaus downtown gekleideter Mensch, er könnte ohne weiteres als Pappe durchgehen, blaue billige Turnschuhe, lockeres Hemd, ausgewaschene Jeans. Er steht in einer etwas komischen aber auf seine Art sehr elegante Weise da, er hat im Stehen die Beine verschrenkt, beugt sich mit seinem Oberkörper weit nach vorne und wieder auf und wieder nach vorne und wieder...er steht offensichtlich ständig unter Bewegungsdrang, aber er zappelt nicht, es sind durchaus anmutige kontrollierte Bewegungen und (ich muss es einfach so sagen) das wirkt schlicht anziehend und vielleicht auch ansteckend.

Vielleicht ist auch das ein Grund, warum er immer wieder zehntausende zum ausflippen bringen kann. Es war Campino, der Sänger der Toten Hosen. Er war privat da, keine Fans, keine Journalisten, auch kein Museumsdirektor. Seltsam, da steht der schwerreiche Rockstar neben einem und hat wahrscheinlich recht ähnliche Gedanken. Er hat sich jedes Foto genau angesehen und hatte dabei immer einen milden bis wehmütigen Gesichtsausdruck, so als wenn man seine alte Abizeitung noch einmal aufschlägt. Mal grinste er mehr, mal weniger und immer wenn er ein Bild von sich selber gesehen hat kam ein leises glucksendes Lachen und dann stellte sich eine leichte Gesichtsröte ein. Es schien ihm peinlich zu sein, sich selber im Museum betrachten zu müssen. Quasi auf eine hochoffizielle Ebene gestellt zu werden, offiziell museumsreif. Museumsreif? Bedeutet das nicht auch für einen Künstler die beste Zeit hinter sich zu haben, daß die Zeit in der Provokationen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen diesem noch ein wenig weh getan haben endgültig vorbei ist?
Es war mir und den anderen Anwesenden (niemand drängte sich ihm auf, es wäre ein wirklich falscher Zeitpunkt gewesen) ein anliegen ihn nicht zu stören. Irgendwann hatte er die Fotos durch, er ging mit federndem Gang noch einmal an der Wand entlang. Und da war er, der Gesichtsausdruck: Man hatte einen Menschen vor sich, der jetzt mit sich und der Welt zufrieden ist. Es war ein strahlen, er hat nich gelacht, aber ein sehr deutliches strahlen. Vielleicht wollte er ja schon immer dahin.

Er ging weiter zu den lustigen Musikinstrumenten, ich bin ihm nicht gefolgt sondern trank erst einmal einen Kaffee an der Bar. Später bin ich dann nachmarschiert, ich hatte bereits Stift und Zettel griffbereit, vielleicht kommt ja doch noch die passende Gelegenheit zum Autogramm, man ist schliesslich ein höflicher Paparazzi.

Ich sah ihn nicht mehr, nicht weiter schlimm, und schaute mir einen abgefahrenen Synthesizer an. Dicht neben mir hörte ich eine fröhliche bekannte Stimme "Geil!" sagen. Da war er wieder. Und nun musste ich ran, jetzt krieg ich mein Autogramm (wer vor 50 000 Leuten spielt muss da durch, um es mit G.Polt zu sagen "Wer prominent ist, ist selber schuld")! "Schschuldigung, ööhmm, könnt ich didich um ein Autogramm anschnorren?". Seine Antwort "Klar, hast was zum schreiben da?" Ich kramte nach Stift und Zettel und diverse Zettel flogen mir aus dem Beutel. Campino hat sie für mich aufgehoben (der Mann ist höflich und hat Anstand) und unterschreibt dann auf einer alten Festivalkonzertkarte die ich gerade bei mir hatte. Er fragte mich noch ob das eine alte Karte sei, als ich das bejahte kam der Kommentar "Klasse!". Ich sagte ihm noch, daß er dort ja auch schon mal gespielt hatte und daß ich das damals sehr schön fand.
Das hat ihn tatsächlich gefreut und dann dampfte er wieder ab. Er wirkte routiniert freundlich aber die Freundlichkeit schien echt und sein Interesse an Menschen auch. Ich war sehr erfreut, daß das Bild das ich von ihm hatte sich bestätigt hat.
Trotzdem kam ich mir saublöd vor, ich war einige Jahre Tontechniker und eigentlich an musikalische Prominenz gewöhnt. Aber wenn auf einmal der Typ vor Dir steht, dessen Songs Du seit dem 13. Lebenjahr mitgegröhlt hast und dessen "Alles nur aus Liebe" die Begleitmusik zum Petting mit der ersten Freundin war, ist alles anders. Man wird zum stammelnden Fan mit Puls 200 wie alle anderen auch.

Im selben Raum wanderte er zu einer Pinwand mit einer Polaroidsammlung und schaute sich mit seinem Gitarristen Andi, der inzwischen dazu gestossen war alte Fotos an. Die Szenen wie beim ersten mal schienen sich zu wiederholen, die beiden scheinen allen Gerüchten zum Trotz Freunde zu sein. Andi habe ich nicht um eine Autogramm angeschnorrt, ich wollte nicht peinlich sein, auch wenn ich zu gerne eins gehabt hätte.

Glücklich verliess ich die Ausstellung, setzte mich 800 Meter weiter in ein Strassencafe und kaum war ich ein halbe Stunde gesessen kommen nacheinander Campino und Andi in der Kneipe vorbei und begrüssen ein paar alte Kumpels.
Ich habe nicht weiter gestört und mich still gefreut, wer weiss vielleicht trinkt man dort mal ein Bier miteinander.

Jetzt mag ich Düsseldorf endgültig

fabchief

Murmel
16.07.2002, 19:15
Altpappe holt sich Auutogramm. Na, na, ich weiß ja nicht. Ich sage von nun an Johnmaus zu Dir.

Frage: er hat auf einer Karte von einem Konzert unterschrieben, auf dem er selbst nicht gespielt hat? Das ist dann so wie Bücher signieren, die andere geschrieben haben, oder?

fabchief
16.07.2002, 19:23
Nein, nein bitte nicht Johnmaus, das wäre ja furchtbar.
Er hat immerhin schon auf dem selben Festival gespielt und das ist doch passender als wenn er auf einen Kassenbon von Aldi unterschrieben hätte.
Ich hole mir sonst nie Autogramme (ausser seinerzeit auf Verträgen) , in diesem Fall musste ich es tun, ich habe es 15 Jahre aufgeschoben, es war spät entfalteter pubertärer Drang.

fabchief

Kony Faehre
16.07.2002, 21:24
Da ich selbst Autist bin, finde ich diesen Beitrag sehr schön!

Dr. Jekyll
17.07.2002, 00:06
Versteht jemand den Beitrag des Autisten?

DerCaptain
17.07.2002, 00:16
Nein. Fabchief ist aber auch mutig, sowas zu gestehen. Irgendwann erzähl ich das mal von Lindenberg.

lilsista
17.07.2002, 00:18
Autisten sind die beharrlichsten Autogrammjäger, weíß doch jeder.

kinderwurst
17.07.2002, 09:27
ich lag mal eine zeitlang unter einer Wursttheke, das war in Berlin-Wilmersdorf. einmal war mir ganz so als stünde Inge Meysel vor mir - aber durch dieses gewölbte Glas kann man ja immer nichts genau erkennen. später kamen dann ein paar räudige Punker, die mich mitgenommen haben, weil ich so billig war..

UND ??? WIE WAR ICH????

Angelika Maisch
17.07.2002, 09:51
ganz toll, Kinderwurst. Ganz, ganz toll.
Kriegst auch nen Keks.

DerCaptain
17.07.2002, 10:08
Und so billig.

bastifantasti
17.07.2002, 10:27
Wie ich finde, die schönste Hosen Geschichte bisher. Neben der von Sabeta ( Campino in Shorts).
Als Düsseldorfer kann man so schön garnicht über die Hosen schreiben, weil man sie irgendwie immer und überall trifft und um sich hat. Ich würde die auch nie um ein Autogramm bitten, aber fabchief hat recht. Die Hosen sind Helden.

Herr Weber
17.07.2002, 10:31
Jetzt mag ich Fabchief endgültig (http://www.alles-bonanza.net/forum/showthread.php?threadid=15192)

vir
17.07.2002, 11:06
Ein Geständnis von grosser Innigkeit. Aber Chief, kannst Du bitte nochmal drüber gehen, da machen zwei, drei Sätze überhaupt keinen Sinn, z.B.

Es war mir und den anderen Anwesenden (niemand drängte sich ihm auf, es wäre ein wirklich falscher Zeitpunkt gewesen).

Danke