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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ventura, Lino und Michel Piccoli



fifo
12.06.2002, 00:04
Lino Ventura und Michel Piccoli

Es ist schon etwa zwanzig Jahre her, da liess ich mich in Zürich als Statist für einen Film von diesem Franzosen anheuern, der bekannt ist für gerade so passable Krimis, Yves Boisset. Der Film hiess nach seiner Fertigstellung "Espion lève toi", wird wohl auch einen deutschen Titel haben, vermutlich "Blaue Bohnen, kesse Miezen", nein, Quatsch, er hiess "Die Zürich-Connection", wie mir grad einfällt. Für ein paar Franken am Tag musste ich mit zwanzig, dreissig anderen Leuten im Hintergrund rumstehen, am See entlang gehen, einen Trampassagier mimen, in einer Szene-Bar (richtiges) Bier trinken, auf künstlich regennasser Strasse nachts so tun, als ob ich die auf einem Kranwagen montierte Kamera und die hundert Scheinwerfer nicht beachten würde. (Aus Geiz wohl wurden die immer gleichen StatistInnen in wechselnden Kostümen eingesetzt. Peinlich, fällt im Film auch auf.) Meist waren nur ein paar weniger bekannte Schweizer Schauspieler am Rumhopsen, aber dann, am x-ten Drehtag – kamen Michel Piccoli und Lino Ventura dazu! Wir waren alle ziemlich aufgeregt, obwohl nur die Frauen dies auch zeigten. Michel Piccoli eroberte gleich am ersten Tag die Herzen aller Anwesenden, da er unglaublich nett und gesprächig war, Zigaretten verteilte, mit den Statistinnen schäkerte (das hatten wir coolen männlichen Statisten nun davon) und einfach ein normaler sympathischer Mensch war. Lino Ventura hingegen, breitschultrig, griesgrämig, mit Hängebacken und Augenringen wie mit dem Marker gefilzt, sprach nur mit dem Regisseur und seinem alten Kumpel Piccoli, uns hingegen knurrte er jeweils an, wenn wir näher als drei Meter an ihn herankamen. Er wirkte müde, melancholisch, ein bisschen wie ein alternder Kampfhund (er soll ja auch Hundefreund gewesen sein, und seine Karriere als Catcher begonnen haben) und er rauchte Kette. Vor der Szenebar (die Kon-Tiki-Bar, ein muffiges Loch), mitten auf Zürichs blödester Amüsiermeile (Niederdorf), liess er sich für einen Tag sogar eine Art Kammer aus Sackleinen bauen, etwa einen Quadratmeter gross, in der er sich unbeobachtet wähnte. Allerdings bedachte er nicht, dass die Sonne seinen Schatten auf das Sackleinen warf, sodass all die Umstehenden ein Schattentheater geliefert bekamen: Lino Ventura zündet sich Zigaretten an, sitzt, raucht, kratzt sich am Hinterkopf... Wenn es aber galt, den Detektiv oder was immer er genau spielte, zu mimen, sprang und brüllte er voller Elan herum und prügelte in der Toilette der Szenebar einen Junkie (oder was immer) mit einer Pistole halbtot. Also nicht richtig, natürlich. Die Pistole war übrigens aus Hartgummi, sah aber schweineecht aus, ich versuchte sie zu mopsen, als sie mal in einer Drehpause unbewacht auf dem Tresen lag, aber der Regie-Assi, ein späterer Schweizer Filmer (nicht sehr erfolgreich), durchschaute mein allzu beiläufiges Hantieren mit dem Ding und nahm es mir mit tadelndem Blick aus der Hand. Aus Rache beteiligte ich mich nachher am Statisten-Streik, der allerdings nicht zur erhofften Lohnerhöhung führte, aber immerhin beinahe zum Nervenzusammenbruch des Assis. Wenn ich mich richtig erinnere, spielte in dem Film auch Dieter Moor mit (dann Moderator bei verschiedenen ORF-Sendungen und dem superpeinlichen "Night Moor" im Schweizer Fernsehen). Na, wie auch immer, ein Jahr später lief der Film dann im Kino und noch später kam er immer wieder mal am Fernsehen. Lino Ventura aber wurde nie mehr glücklich, er starb bald darauf. Sein Vermögen soll er einem Hundeheim vermacht haben. Oder wars ein Kinderheim? Na, auch wurscht. Übrigens hiess er nicht wirklich Lino Ventura, aber seinen richtigen Namen habe ich vergessen, obwohl ich ihn mal gelesen habe, in diesem höchst interessanten französischen Buch, in dem Prominente von Journalisten nicht bloss interviewt sondern so gnadenlos verhört werden, als ob sie Verbrecher wären. Und immer mit ihren richtigen Namen angeraunzt werden. Aber das gehört nicht mehr hierhin, glaube ich.

DerCaptain
12.06.2002, 00:31
Dochdoch, das gehört schon hierhin, glaube ich.

Angelika Maisch
12.06.2002, 01:04
Immer her damit, fifo, man liest es mit klammheimlicher Freude.

DerCaptain
12.06.2002, 01:06
Die Frau Maisch wieder, herrlich. Wir haben schon ähnliche Interessen, gelle?

Edding Kaiser
12.06.2002, 09:31
Eine schöne Geschichte. Endlich mal wieder.

Zerebrum
12.06.2002, 10:44
Ventura, Piccoli und am Rande ein kleiner Moor, tolles Erlebnis!

Ventura hieß mit bürgerlichem Namen übrigens Angelo Borrini.

Mr. Knister
12.06.2002, 10:46
Eine schöne Geschichte, in der Tat.

Nur eine Frage zum Verständnis: Wenn Sie schreiben, das Niederdorf sei "Zürichs blödeste Amüsiermeile" - heißt das dann, dass es weniger blöde gibt? Wo sind die denn alle?

DREA
12.06.2002, 10:55
Nach dieser Erfreulichkeit jetzt bitte noch den Buchtitel, fifo! Sadistische Prominentenverhoere, die taeten mir wahrscheinlich gefallen.

fifo
12.06.2002, 12:52
Der Buchtitel war, glaube ich "Descente de police", Verlag weiss ich nicht, ist aber sicher vergriffen, da vor ca. 20 Jahren erschienen. Und Zürichs weniger blöde Amüsiermeile ist die Langstrasse.

Mr. Knister
12.06.2002, 13:05
Merci vielmal. virchow, haben Sie das gewusst?

Knappe Wamba
12.06.2002, 13:36
Die Kammer aus Sackleinen bau ich mir glaub ich auch.....
Schoenes Detail, danke fifo.

U_Sterblich
12.06.2002, 14:10
Hallo fifo, fein paparazzt und willkommen in diesem Irrenhaus. Erzählen Sie uns beizeiten noch eine Geschichte.

Babybaer
12.06.2002, 14:12
Tappelt niedlich umher

Noch eine Schichte hören!

Aporie
12.06.2002, 14:28
Hat Zürich die doofste Amüsiermeile, weil dort Dada und die Pfeffermühle entstanden sind oder bloss weil Keller dort gesoffen und Lenin dort gewohnt hat?

Reno Schmittchen
12.06.2002, 15:55
Klasse Klasse-Geschichte. Lino Ventura mit der authentischen Schiffsschaukelbremservisage kam übrigens aus Italien und hieß mal Angelo Borrini. Was ja auch kein schlechter Schauspielername war, aber vielleicht zu italienisch.

Butch Cassidy
13.06.2002, 16:09
Schließe mich dem Lob meines Vorredners an. Und überhaupt, Reno, ich kann mir´s richtig gut vorstellen:

Tag, Innen.
Ein Büro. Einrichtung im 40er Jahre Stil. Es riecht nach Pizza.

Der junge Angelo Borrini steht vor dem Schreibtisch seines Agenten. Unter dem Arm trägt Angelo ein Sackzelt.

Agent
Angelino, wir müssen uns was einfallen lassen. Dein Name klingt wie ein neapolitanischer Autodiebstahl.

Angelo faltet sein Gesicht zusammen und denkt nach.

Angelo
Wie wär´s mit Lino Ventura?

Der Agent seufzt.

Agent
Angelo, du Dummbatz. Das klingt doch noch viel dämlicher.

Angelo holt eine Gummipistole aus seiner Hosentasche.

Angelo
Ich kann dir aber auch die Fresse polieren.


continued

vir
13.06.2002, 16:43
Genau so wars, Butch. Fifo, ja, ziemlich prima, nächstes mal aber ein klein bisschen weniger schnodderig bitte.

fifo
13.06.2002, 19:26
Weniger schnodderig? Wieso denn?