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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Grass, Günter in Gent



Werrnerr
11.06.2002, 21:11
Die Nähe zum Dreiländereck Deutschland – Niederlande – Belgien bringt es mit sich, dass verschiedene Gymnasien im Einzugsbereich die hilfreiche Sprache „Niederländisch“ zum Erlernen anbieten.
Da ich mit Naturwissenschaften nie so recht wusste, was anzufangen, am Ende der 70er das Fach „Informatik“ mir als sittenwidrig erschien, wählte ich als vierte zu lernende Fremdsprache optimistisch „Niederländisch“.
Der Spracherwerb schritt schnell voran. Das (falsche) Empfinden. dass Niederländisch dem Deutschen doch soo ähnlich sei, motiviert und ermutigt, erworbene Kenntnisse, seien sie auch noch so kläglich, schnellstmöglich, und möglichst im Ursprungsland anzubringen. Verschiedene Fahrten in die Niederlande folgten und dabei machte ich stets die Erfahrung, dass die Niederländer bevorzugt auf mein Niederländisch mit Englisch antworteten.
Mit dieser Enttäuschung konfrontierte ich meinen Niederländisch-Lehrer. Der meinte, ich soll einmal nach Belgien fahren. Dort werde auch sehr gut Niederländisch gesprochen und die Menschen würden nicht so bereitwillig ins Englische wechseln.
Ich signalisierte meine Bereitschaft, aber irgendwie wurde das für eine lange Zeit nichts..

Zwei Jahre später, mittlerweile 1982, rief er mich unvermittelt an und berichtete, er werde zum ersten Mal mit einem Niederländisch-Kurs nach Gent und Brügge fahren. Ob ich Lust hätte mitzufahren. Mein Kumpel Axel habe auch schon zugesagt. Ja, natürlich hatte ich Lust. Gent und Brügge hatte ich noch nicht besucht, wusste aber durch den Unterricht, dass es dort einiges zu sehen und ebenso vieles zu bestaunen gab.
Gut gelaunt (am Vortag hatte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft das Halbfinale gegen Frankreich gewonnen, das Spiel, in dem Toni Schumacher den Franzosen Battiston krankenhausreif besprungen hatte) fuhren wir in Richtung Gent. Dort angekommen, begaben wir uns auf einen Stadtrundgang. Vom Markt gingen wir in die Richtung einer Festung (wer Gent besser kennt, mag mich bitte korrigieren, wenn die topographischen Details nicht so ganz stimmen). Der Führerin lauschend, schweifte unser Blick zurück auf den Marktplatz. Dort sah ich einen Herrn, dunkles Haar, schnurrbärtig, der in Begleitung eines anderen Herren und einer Dame war. „Der da hinten sieht aus wie Günter Grass.“, sagte ich laut genug, dass einige aus der Gruppe es hören konnten. Sofort wurde auf den Marktplatz geblickt und lautstark gemutmaßt, ob es sich wirklich um Günter Grass handelte oder nicht. Bis mein Kumpel Axel sagte: “Ich geh mal fragen.“ Sprachs und verschwand.
Aus der Entfernung sah ich nun, wie Axel kurz mit dem Herrn sprach. Das ganze dauerte nicht mehr als 10 Sekunden. Er kam zurück. Alle waren neugierig und fragten: „Was haste gesagt?“ Axel antwortete:“ Ich hab gefragt: Sind Sie Günter Grass. Und er hat gesagt: Ja . Dann hab ich gesagt: Dann ist ja gut.“ Und dann bin ich gegangen.“
In meiner Erinnerung sehe ich Günter Grass auf dem Marktplatz von Gent meinem Kumpel Axel nachblicken mit einem leicht ratlosen Gesichtsausdruck. Nicht, dass ich seinen Gesichtsausdruck gesehen hätte, aber die Vorstellung davon verlässt mich nicht, wenn ich an diese Situation denke.
In Brügge passierte nichts Vergleichbares.