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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Martin, Wolf



nu del wolga
06.06.2002, 19:04
Anfang April war es an der Zeit mal wieder Gutpunkte zu sammeln. Ich rief so eine Art Ex-Freundin an, mit der ich jetzt so was wie ein geschwisterliches Verhältnis pflege, was irgendwie irritierend ist, weil erstens hab ich eine richtige Schwester, und zweitens schramm ich deswegen im Gedanken ziemlich knapp am Inzest vorbei, wenn wir reden. Geschweige denn von den Fettnäpfen in die ich teilweise schon bewusst hüpfe, in denen ich mich wie eine blöde Sau suhle und grunzend einen Zerstörungsangriff, in ihre und auch meine Richtung, nach dem anderen fabriziere. Doch ziemlich galant ignoriert sie diese Sticheleien. Naja, jedenfalls verabredete wir uns vorm Rabenhoftheater und wollten den zur Zeit gehypten Dieter Chmelar beim Friedenstiften zusehen. „Der soll ja irre lustig sein!“, „so spontan, so witzig, eine Apercuemaschine!“, „warum der noch nicht seine eigene Latenighttalkcomdeyblablashow hat?“ usw.

Eintritt 18 €, für Schüler, Studenten und Pensionisten 10 €, also wieder mal voll in der Zielgruppe. Dann kam Chmelar, der ewige Einspringer, und machte ein bisschen Sit-up-comedy, im Lederdrehstuhl und vor Schreibtisch. Es waren hauptsächlich adaptierte Witze. Von Farkas, zum Ottakringerheurigenstammtisch, ohne zögern zu 70ger Jahre Klamaukfilme mit Thomala als Pfarrer und wieder zurück zum Farkas. Alles ziemlich schnell und ohne stottern, auch geschickt, und anscheinend gar nicht unlustig, weil die netten Leute dort krümmten sich schon vor Lachen. Mich bog es auch in alle Windrichtungen, und irgendwie kam ich mir vor wie auf einem Konzert, bei dem eine südamerikanische Band mit selbstgemachten Instrumenten Rock´n´Roll Klassiker interpretiert, oder eine New Yorker Bronxformation auf brennenden Mülltonnen trommelt. Ich war in einer wetgegelten Großstadtmanege gelandet, in der es nach Wrigley´s Doublemint und Calvin Klein roch. Vorne auf der Bühne diskutierten dann Gerhard Haderer, der mit seinem Karikaturbuch den jährlichen Osterdiskurs in Gang gebracht hat, und Hubert Feichtlbauer, ehemaliger Chefredakteur eines katholischen Wochenblattes, das einen Namen trägt, der für ein Pornomagazin geeigneter wäre.
Dann sprangen ihre Kontaktlinsen aus der Fassung. Früher hatte sie keine, da hatte sie Brillen, die sie nie trug, außer beim Fernsehen, im Kino und so. Ab und zu auch wenn ich sie darum bat, aber jetzt hatte sie Kontaktlinsen. Es ist aber aussichtslos im Dunkeln und in der Enge der Sitzreihen so was zu finden. Dann war Pause.

Durstig waren wir und so musste ich was holen. Cola in der 0,33lFlasche für sie, Mineral im Glas für mich. Und dann stand ich plötzlich im Gedränge, und weil Reibekontakt an der Theke oder auch in der U-Bahn nicht ganz so toll ist, stellte ich mich ganz weit an den Thekenrand. Viele kamen vorher an die Reihe, es macht mir aber nichts aus, weil so hatte ich genügend Zeit Gesichter zu schauen, und da fiel mir mein örtliches Pedant, sprich anderes Ende der Theke auf. Der sah nicht mehr ganz so frisch aus. Holpriger Bart, schütteres schwarzes Haar, mit grauen Einsprengseln, zerfurchtes, faltiges Gesicht mit fahler Haut. Dazu eine ausgebeulte Hose in, glaub ich grünem Schnürlsamt, und ein violetter Pullover. Und einen Blick, so was hab ich noch nicht gesehen. Ein bisschen stechend, dann aber wieder doch nicht. Ein bisschen abwesend, aber trotzdem voll da. Ein bisschen freundlich, und gleichzeitig verbittert, mit leichter Arroganz. Merkwürdig, irgendwie unheimlich, und doch mitleidserregend interessant. Er lachte nicht. Ein Magenkrebs-, zumindest aber Magengeschwürkandidatengesicht war es, und irgendwie kam es mir bekannt vor. Dann fiel mir ein Photo ein, das ich im November oder Dezember im österreichischen Lifestylemagazin Profil gesehen habe. Zwar merkwürdig von unten rauf photographiert und Gesicht ziemlich angeschnitten, aber irgendwie gleich abstoßenden wie anziehend, widerlich faszinierend. Fuck, er muss es sein, Wolf Martin. Ich war mir sicher, und er sich anscheinend auch, weil er bemerkte, dass diese wenigen Tausendstel die ich zu lang an ihm hängen blieb und drehte sich in Wandrichtung.

Ich bestellte, zahlte und ging zurück durch die schnittfähige Luft. In meiner Verwirrtheit dachte ich nicht an ein Glas fürs Cola, weil aus der Flasche trinken, da war sie ein bisschen heikel, aber eigentlich war es mir egal. Den Gefallen tat sie mir dann aber doch nicht, weil irgendwie konnte sie doch noch meine Gedanken lesen, und so musste ich das kalte Mineralwasser ziemlich schnell trinken, so, dass ich die Nebenhöhlen spürte, und sie ein Glas hatte. Wie gern hätte ich gerülpst.

Drinnen ging es dann weiter. Chmelar kam zurück auf die Bühne, und erklärte, wie toll und selbstironisch er es findet, dass der erste Gast, der ersten Ausgabe seiner Talkrunde, Wolf Martin, im Publikum sitzt. Er applaudierte, und zwei Drittel der Anwesenden mit ihm.
Ich verstand Chmelar, er hat ihm ja letztendlich die Moderation dieser netten Show zu verdanken.

Tiffany Nudeldorf MD
07.06.2002, 00:19
Diese liebevoll (aber, bewahre, nicht mit Liebe zum Objekt) geschriebene Geschichte meines Namensvetters hat eigentlich für die ungenaue Kennerin österreichischer Verhältnisse (mich) nur einen Nachteil: man googlt nach "Wolf Martin" und ist, hupf... äh: mittendrin in der Misere. Sehe ich das richtig ?

Das (http://www.ballhausplatz.at/johcgi/ball/TCgi.cgi?target=home&ID_New), das (http://www.demokratische-offensive.at/aktionen/chronik7-20000925.html) oder das (http://www.guardian.co.uk/Print/0,3858,4175757,00.html) und das (http://www.hagalil.com/archiv/2000/02/kronen.htm)...

Wäre es nur so etwas (http://www.christine-werner.com/wort-zum-tag/wolf-martin.jpg/wolf-martin-6080830.jpg) gewesen, hätte man ihn unbekannterweise klar als schlechten Satiriker einordnen können, den Herrn Wolf.

Philipp Emanuel
09.06.2002, 15:42
War der Herr Martin(ek) nicht mal irgendein Ultralinker?
Bis er sich von dem ganzen "Gutmenschentum" (ein geradezu inflationäres Wort in des Geiferers Lyrik) angeekelt gefühlt hat?

Und trägt er die gewagte Farbmischung violett/grün aus Protest oder aus Farbenblindheit?
Das mit dem Magenkrebs ahnt man bei der Poesielektüre jedenfalls auch schon.