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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Heintje - vor dem Stimmbruch



Werrnerr
26.05.2002, 22:25
Heintje ist niederländisch und heißt: kleiner Hein oder Heinz oder Heinrich, je nach Belieben. Heintje war auch klein, jedenfalls in der Blüte seines Erfolges, d.h. in den späten 60er Jahren.
In jener Zeit war ich fleißiger Leser diverser Fernseh-Programmzeitschriften. Ich las Funk Uhr (bei uns), Gong (von der Kusine meiner Omma), HörZu (von den Kartenfreunden meiner Omma) und TV Hören und Sehen (von meiner Tante. Von Heintje wusste ich also eine ganze Menge: ich kannte seine Lieder, denn ich war heftiger Hörer von Radio Luxemburg, wusste, dass er Filme drehte, die ich nie sehen durfte. Und zwar drehte er Filme mit Peter Alexander, den ich im Alter bis 11 oder 12 Jahren aus mir heute nicht rekonstruierbaren Gründen verehrte. Ein anderer Partner von Heintje in dessen nie gesehenen Filmen war Rudi Carrell, der gerade in Deutschland eine furiose Karriere gestartet hatte und dessen Shows ich mir Samstag abends mit meiner Omma bei Kellergeister-Erdbeerbowle und Brandt-Krem-Waffeln genüsslich reinzog (alle dreie.
Ich wusste aber noch etwas über Heintje: er ritt, Pferde, und die auf Reitturnieren. So kam er dann in die Zeitung. Nicht wegen großartiger Platzierungen, sondern wegen Heintje-Sein. Auf Fotos sah man dann einen glückheischenden Knaben, der mit überbissigem Lächeln einen Pferdekopf tätschelte. Von Resultaten wurde mir nichts bekannt.
Nun war es 1972. Heintje war nicht mehr ganz so klein. Er war eher das, was man unter einem Teenager verstand. Es ging der Ruch, dass er bald in den Stimmbruch käme und dann... wer weiß.
Ich war elf.
In meiner Heimatstadt gibt es zwei bedeutende Reit- oder Pferdevereine. Einer davon residierte in 200 m Luftlinie von meinem Zuhause entfernt. Jedes Jahr im Sommer gab es da ein Reitturnier. Und nicht ein Feldwaldundwiesen-Zossen-Stelldichein, sondern eine überregionale Veranstaltung mit illustrem Geldadel. Dann tönten am ansonsten ruhigen Sonntag die Lautsprecher und verkündeten nahezu unverstehbar die aktuellen Wertungen. So drang diese Geräuschkulisse bis hin zu unserer Terrasse. Ich habe mich nie für Pferde interessiert, doch neugierig geworden radelte ich zum Turnierplatz. Dort standen sie: die Schätze, die ich aus meinen Auto-Quartetten kannte: BMWs, Mercedesse und ein Exemplar eines Ferraris. Der hatte 320 km/h auf dem Tacho und (und das war für mich die eigentliche Sensation!!) Einen eingebauten Kassettenrekorder.
Als ich dann auf dem Weg zum Eingang war, kamen mir ein paar Kumpels entgegen und verkündeten aufgeregt, dass Heintje auch auf dem Turnier sei und sogar dort reiten würde. Das glaubte ich natürlich nicht. Doch, meinten sie, und gewissermaßen als Beweis teilten sie mir mit, dass man Heintje-Autogrammkarten bekommen könne bei Heintjes Vater.
Heintjes Vater stand monolithisch im Zuschauerbereich und verfolgte mit verschränkten Armen das Geschehen. Er war in einem grauen Anzug gekleidet und trug eine verspiegelte Sonnenbrille. Zu diesem Menschen musste ich also gehen und ein Autogramm verlangen. So ging ich hin und sagte: „Ich hätte gern ein Autogramm.“ Ohne mich eines Blickes durch seine verspiegelte Sonnenbrille zu würdigen, griff der Heintje-Vater in die Innentasche seines Jackets und zog eine postkartengroße Fotografie von Heintje hervor, die mit einem Stempel „HEINTJE“ versehen war. (Dass es sich um einen Stempel gehandelt hatte, bekam ich erst später raus.)
Ich hatte also jetzt den Beweis. Meine Kumpels kamen wieder und wussten mitzuteilen, dass Heintje gerade in seinem Wagen sei. Also, nichts wie hin. Dort war er tatsächlich und werkelte an einem Sattel herum. Im Halbkreis um ihn standen alle Kinder meiner und der Nachbarstraßen versammelt und betrachteten ihn dabei. Niemand sagte etwas.
Gewissermaßen um das Eis zu brechen, meinte ich, etwas bemerken zu müssen. Und ich sagte so etwas wie: „Ist das schwer, was Sie da machen?“ Heintje hielt inne, schaute mich an und sagte: „Sag mal, spinnst du?“ Ich wusste es: ich hatte ihn GESIEZT! Es war mir peinlich. Ich fühlte mich sowas von bloßgestellt.
Weiter wurde im Pferdewagen nicht geredet.
Vor Kurzem beim Fernsehen zappte ich herum und entdeckte Hein Simons, wie sich heute nennt (und früher auch schon geheißen hat) bei einer dieser Volksmusik-Sendungen, wo er mit waidwundem Blick eine beliebige, erfolglose Liebes-Schnulze in die Kamera schmetterte.
Und ich dachte mir: „Siehst du, mein Lieber, man sieht sich im Leben immer zweimal.“

Caliste
26.05.2002, 22:39
,

Werrnerr
26.05.2002, 22:47
Woran?

Caliste
26.05.2002, 22:50
.

Werrnerr
26.05.2002, 22:52
Fragen sie Heintje.

sapinho
26.05.2002, 22:53
Jessas!

Pretextat Tach
27.05.2002, 00:05
Klasse Geschichte mit schönem Ende.
Man sieht sich im Leben immer zwei Mal...

Es ist schön, sich ab und zu in einer Situation zu befinden, wo man diesen Satz leise flüstern und dabei zufrieden lächeln kann.

starlingM
27.05.2002, 16:10
...sagt die Biene zu dem Stachelschwein...

Mir ist beim Lesen ganz heiss und kalt geworden: Ich fand Peter Alexander auch mal toll! Daran wollte ich aber eigentlich nie wieder erinnert werden.

Christopher Wurmdobler
01.06.2002, 22:53
naja, werrnerr und heintje dürften ungefähr gleichaltrig (gewesen) sein (12), da siezt man sich doch nicht. nicht mal in den pipifeinen siezigerjahren...

Caliste
01.06.2002, 23:36
.

Angelika Maisch
01.06.2002, 23:53
Das ist eine ziemlich prima Geschichte.
Wieso lese ich sie jetzt erst?
Ah, jetzt fällts mir wieder ein.

Christopher Wurmdobler
02.06.2002, 12:15
ahja: loben hab ich vergessen. ich finde diese geschichte auch sehr prima!

Werrnerr
02.06.2002, 14:58
Ich hab mal gegoogelt: Heintje ist Baujahr 1955. Er war damals also 17. Das kam mir sehr erwachsen vor.