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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : George W. fährt durch Moabit und trinkt nicht mit mir Tee



Claus E.
23.05.2002, 16:22
Mit Spannung verfolgte ich am Fernseher die Ansprache von George W. Bush im Reichstag. Irgendwann war sie vorbei und ich gelangweilt, weil die als historisch postulierte Rede nichts Frappierendes hervorbrachte. Nur die übliche Jovialität, für die ich aber nicht auf das wunderbare Sommerwetter vor meiner Tür verzichtet hätte. Dann sagte der Moderator etwas, was meine Hoffnung auf wahlweise Erkenntnis oder Erlebnis wieder aufkeimen ließ: Der Präsident würde sich nun ohne Umschweife zum Flughafen Tegel begeben und unverzüglich nach Moskau abreisen. Meine Wohnung liegt an einer Zufahrtsstraße zum Flughafen. Es gibt in der Tat nur drei Wege vom Reichstag zum Otto-Lilienthal-Flughafen. Ich war fest entschlossen, heute etwas zu erleben, womit ich noch meine Enkel unterhalten könnte. Sofort tarnte ich mich mit meiner Ausgangspost, um zwischen all den Geheimagenten, die nun vor meiner Haustür wuseln mussten, wie ein ganz gewöhnlicher Briefkastengänger zu wirken. Das hatte ich mir fein ausgedacht.

Ich trat hinaus. Draußen war Moabit im Sommer. Nichts Auffälliges zu sehen, reges Treiben auf Alt-Moabit wie immer. Ich schritt zum Briefkasten an die parallele Turmstraße (zweiter Weg zum Flughafen). Dort noch regeres Treiben. Ich warf meine Post ein und ging zurück nach Alt-Moabit. In beiden Richtungen rauschte hin und wieder ein Polizeifahrzeug mit reichlich Getöse, aber ansonsten wie immer. Sogar Prolls hatten ihren Spaß: Ein älterer Kombi, dessen Insassen augenscheinlich der Kaste der frisch Haftentlassenen entsprang, hatte sich ein Magnetblaulicht aufs Dach gepappt und sich irgendwo eine Polizeisirene gemoppst. Entschlossen schritt ich zur Kreuzung Gotzkowskystraße/Alt-Moabit, denn wenn er mit dem Auto fuhr, musste er dort vorbei kommen. Die Turmstraße war zu voll, um dem Verdrängungsbedürfnis einer personifizierten Supermacht nachzukommen, und der dritte Weg zum Flughafen, die Levetzowstraße, und Alt-Moabit vereinigten sich an dieser Kreuzung. Tatsächlich standen schon mehrere Polizisten am Weg und es fuhren nun rasch überall Polizeitransporter auf, die so genannten „Wannen“. Aha, hier nun also würden sich die Wege von George Walker und Claus E. kreuzen. Ich verweilte und sinnierte über den Ruhm der Gotzkowskystraße, deren Hundert Meter entfernte Kreuzung mit der Turmstraße dereinst durch eine Erwähnung in Max Goldts „Fünfzimmerwohnungen oder Geweihe brennen schlecht“ geadelt wurde. Die Polizeidichte nahm weiter zu. Inzwischen standen Hunderte von Polizisten um mich herum, aber der Verkehr floss noch. Die Anwohner traten auf ihre Balkons in Erwartung großer Ereignisse. Ständig fuhren einzelne Polizeimotorräder mit vollem Alarm durch die Kreuzung. Dann mal wieder drei Wannen und so ging es einige Minuten. Fußgänger hielten inne.

Nun aber plötzlich: Ein Mannschaftswagen prescht in die Mitte der Kreuzung, ein Polizist brüllt heraus: „Sperren!“. In Sekundenschnelle ist die Polizei an allen strategischen Punkten. Nichts geht mehr. Die blockierten Autofahrer werden gebeten, den Motor abzustellen. Selbst Fahrradfahrer und Fußgänger dürfen nicht mehr über die Straße. In immer dichterer Folge rasen Kleingruppen von Polizeifahrzeugen über die Kreuzung Richtung Flughafen. Bei dreißig Wannen mit Blaulicht verliere ich den Spaß am Zählen und begnüge mich Schätzen. Dann kommt’s dicke. Großes Tatütata erklingt allenthalben, der Himmel voller Rotorblätter. Mehrere Polizeiwagen gefolgt von einem Schwarm schwarzer Mercedesse sind die Vorhut für die Erscheinung der Macht. Die kommt mit einem wohl sortierten Rudel weißer Mäuse vorweg, dann die beiden schweren Cadillacs, in deren einer der Präsident fährt. Jemand winkt huldvoll hinter den tief getönten Scheiben. Ist es Laura Bush? Ein Grüppchen dunkler Einwanderer neben mir erfasst die Groteske und lacht jäh hämisch auf. Vielleicht aber auch aus Mitleid gegenüber den Insassen der atombombensicheren Cadillacs, die mit hoher Geschwindigkeit den Parcours von der Levetzowstraße über die Kreuzung in Richtung Beusselstraße entlang hetzen. Es folgen noch einige der fensterlosen amerikanischen, schwarzen Lieferwagen durchmischt mit deutschen Polizeiwannen. Insgesamt zählte der Konvoi wohl mehr als Hundert Fahrzeuge, Motorräder nicht gezählt. Auch Mercedesse folgen noch eine Menge. Dann ist der Spuk plötzlich vorbei. Die Polizisten ziehen so schnell ab, wie sie gekommen sind.

Ich klettere in meine Wohnung zurück, schalte den Fernseher ein und komme gerade rechtzeitig zur Ankunft der Karawane in Tegel. Es folgt das leidige inhaltsfreie Berichterstattungsgeplänkel bis Air Force No. 1 in der Luft ist. Erst jetzt werden ernstzunehmende Wissenschaftler an die Mikrofone gebeten und nach dem Erlebnis meiner Präsidentenbegegnung erlange ich sogar noch einige Erkenntnisse. Reiste ich noch zur Stund’ nach Bulgarien, wozu ich Lust hätte, könnte ich vielleicht noch eine Pabstbegegnung draufsetzen.

vir
23.05.2002, 16:36
Nach der jüngsten galoppierenden Scheisse hier endlich wieder einmal eine spannende Geschichte. Vielen Dank.

DonDahlmann
23.05.2002, 17:37
CE! Mensch, wie schön mal wieder was von Dir zu lesen. Und dann so was nettes aktuelles...

Florian Brendel
24.05.2002, 18:05
Im Windschatten der Limousinen möchte ich auch von einer eine Politiker-Begegnung erzählen. Ist an diesem Pfingstmontag passiert, als die Berliner Innenstadt noch nicht abgesperrt war, sich diese seltsame Spannung aber schon abzeichnete.

Vor dem Ostportal des Reichstags, wo Thierse den Bush begrüßte (ich denke jetzt sind die Geschichten genug verknüpft) saß die Grünen-Chefin Claudia Roth. Auf einem Poller, neben ihrer Handtasche. Man wurde recht schnell auf sie aufmerksam. Zum einen weil ihr gebräuntes Gesicht in der Morgensonne leuchtete, zum anderen, weil vor ihr ein Passant stand und sie beschimpfte. Der Mann war um die 50, adrett gekleidet und hatte offenkundig einen an der Waffel.

Er warf Frau Roth zusammenhanglos vor, sich mit ergaunerten Stimmen in den Bundestag geschlichen zu haben, schuld an der multikriminellen Gesellschaft mit diesem ganzen Gesochse zu sein und er war ja mal Lehrer und hat gesehen wie zwei Türken eine Kollegin... undsoweiter, undsoweiter. Dies alles natürlich mit sehr schriller Kopfstimme und von der Gestik her, als wolle er gleich gehen, denn er hat ja noch was besseres zu tun.

Claudia Roth blieb zunächst sitzen und rief dem Mann Basisdemokratisches zu. Hilft natürlich nichts, und irgendwann reichts ja auch mal. Mittlerweile hatte sich eine kleine Menge Schaulustiger versammelt. Und so stürmte Claudia Roth auf den schmächtigen Irren los und kam circa drei Zentimeter vor dessen Nase zum Stehen. Kennt man sonst nur aus dem Sportbereich.

Die beiden brüllten sich kurz an, und da sich der Irre wohl körperlich unterlegen fühlte, wich er laut schimpfend zurück. Claudia Roth wandte sich zufrieden einer schwäbischen Reisegruppe zu und witzelte irgendwas mit Bayern und Schwaben. Gelächter. Der Irre diskutierte unterdessen simultan mit vier Passanten weiter, die sich wiederum untereinander in die Wolle kriegten. Hatte ein bisschen was von diesen Dorfprügeleien bei Asterix. Ich bin dann schnell weg.

Claus E.
25.05.2002, 12:41
An just diesem Poller begegnete mir neulich *******.************************************************************************************************************************************** Ich nahm mir noch ein Schnittchen vom Buffet und beließ es mit Max Goldt: Privat sollen die Stars ja eher frostig sein.

*aus purem Opportunismus vom Autor zensiert, um es sich mit der Regierung nicht zu verscherzen***************

Florian Brendel
25.05.2002, 23:32
Der Poller entwickelt sich wohl langsam zu DEM Platz in Berlin.
Wenn man da wen kennenlernen will, muss man sich vor was Schönes stellen und sagen: »Na, da haben die sich's die Politiker aber ganz schön hübsch gemacht. Sind ja nur Steuergelder.«
Oder man stellt sich vor was Hässliches und sagt: »So richtige Top-Qualität ist das hier aber auch nicht.«

vir
27.05.2002, 17:26
Schon zwei gute Geschichten und das in einem Strang mit so wenig Postings. Glück muss man haben.

Werrnerr
27.05.2002, 19:15
Den Strang gelesen. Gelacht.

Florian Brendel
27.05.2002, 23:12
@Claus Eschemann: Echt, vor DEM hast Du Angst?
Außerdem hast Du doch nur geschrieben, das er muffelig ist. Und das sieht man doch sowieso.

Claus E.
28.05.2002, 08:02
@Florian: Angst ist das falsche Wort. Opportunismus passt schon besser. Er ist halt eine der größten, wandelnden Kontaktbörsen der Republik. Kennt Gott (?!) und die Welt. Ich bin ein armes, freiberufliches Würstchen. Man kann wahlweise 100 hübsche Bewerbungen verfassen und dennoch brotlos bleiben oder einmal mit ihm ein Schwätzchen in angenehmer Atmosphäre halten und hat - zack - köstlichstes Brot für ein Jahr oder so. So geht das in der Berliner Republik.

Florian Brendel
28.05.2002, 10:13
Ja, warum solll es da auch anders funktionieren…

Wie läuft denn so ein Schwätzchen ab? Wirst Du auch auf Deine politische Meinung abgeklopft, so à la: »Wie finden Sie denn das neue Buch vom Lafontaine?«

Oder gibts da andere Codes?

Claus E.
27.07.2004, 12:17
Es weiß zwar keiner mehr, von wem wir sprechen, aber ich setze das trotzdem mal fort. Ein Schwätzchen mit ihm kann mehrerlei Formen haben:

1. Das Telefon klingelt. Eine Dame flötet: "Guten Tag Herr Eschemann, Herr Dr....... möchte mit Ihnen sprechen, sind Sie bereit? (Ich schwöre: ORIGINALFORMULIERUNG UNGETÜRKT: Sind Sie bereit?

Ei freilich, sag' ich

*knister, fiep* väterliche Stimme: "Hallo Claus, dein Bruder hat mir erzählt usw. usf.

2. Ich veranstalte zufällig ein Event in seinem Wahlkreis und benötige den Promi, um die Presse anzulocken. X erscheint in Zivil mit einem Schwarm als Touristen getarnter Bodyguards und fällt mir um den Hals zu meiner Verwunderung, denn so nah sind wir uns eigentlich nicht. Der Blick in die Lokalpresse am nächsten Tag sagt warum: Ich bin recht fotogen und der Minister freute sich über die Photo Opportunity.

3. In der Regel spricht einer seiner Assistenten mit mir. Der Chef beachtet mich nur, wenn ich ihm gerade nützlich bin.

*desillusionier, seufz, dabei will ich doch auch nur geliebt werden*