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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Winkler, Josef



Mr. Knister
22.04.2002, 10:57
Nein, mit der Diskussion wird es nichts. „So“, sagt der Autor, klappt sein Buch zu, rückt die Brille wieder auf die spitze Nase, „vielen Dank“. Er fixiert sein Publikum, lehnt sich zurück. Aber niemand hat rechte Lust, ihn nach der gut einstündigen Lesung zu seinem Text zu befragen. Ich mache den Anfang. Den Abend zuvor im Frankfurter Literaturhaus, sagt er, ist er dem Publikum gegenüber ausfällig geworden. Wahrscheinlich hat jemand gesagt „Ich kenne zwar nichts von Ihnen, aber ich finde, dass Sie...“ Und da hat er eben nicht die übliche gute Miene gemacht und brav seine Bücher signiert. Da hat er mal etwas dazu gesagt – und jetzt hat er sein Kotzbrocken-Image weg, wenigstens in Frankfurt. Aber hier bei uns bleibt er brav. „Wenn Sie möchten, signiere ich Ihnen die Bücher.“ Sogar dazu muss er die Leute auffordern.

Winkler zelebriert seinen Schreckenstext nicht, er trägt ihn beiläufig, fast ein wenig distanziert vor. Manchmal verliest er sich, springt mit den Augen in die falsche Zeile, ganz so, als wollte er den Satz nicht so beenden, wie er ihn notiert hat. Jeder Satz ist eine Zumutung.

Josef Winkler, Jahrgang 1953 und Kärntner, war vor acht Jahren Stadtschreiber von Bergen-Enkheim; für seine „römische Novelle“ Natura morta, aus der er liest, gab es den Döblin-Preis. Seinen 14. Literaturpreis bisher. Als Schriftsteller kreist er seit einem ersten Roman um immer das gleiche Thema: Seine „vorbildlich unglückliche Kindheit“ im katholischen Kärnten.

Nein, Josef Winkler erspart dem Publikum nichts. Manchmal stöhnt jemand auf, wenn er minutiös in die Details geht. Aber er kennt ja nur Einzelheiten, und sein Blick ist scharf wie ein Seziermesser. Er liest aus seiner neuen Novelle, „Natura Morte“: Wie in allen anderen Büchern lauert hier der Tod in Form nekrophiler Dämonie: Zerfall, Verwesung, Blut und Schmutz. Die Piazza Vittorio Emanuele in Rom, der große Markt, ist ein Panoptikum des Schreckens. Tod und Verwesung überall, die faulenden Früchte, das zerquetschte Gemüse, die blutigen, toten Tiere, die versehrten Menschen. Schließlich der tote Piccoletto, ein Knabe, Lustobjekt der Marktbeschicker: Sein verletzter Körper wird in einer Prozession über den Markt getragen. So landet er bei den Fleischhauern, die ihn zwischen abgetrennten Tierköpfen und Rosenkränzen aufbahren. Ein paar Leute verlassen die Lesung vorzeitig. Kopfschütteln und offensichtlicher Ärger darüber, sich das Buch schon vor der Lesung gekauft zu haben.

Am Ende stehe ich bei ihm, als Letzter in der kleinen Reihe der Signierwilligen. Er schaut mich an, nicht unfreundlich, aber abwesend. „Soll ich Ihren Namen schreiben?“ „Nein“, sage ich, „Ihrer langt.“ Er lächelt, zum ersten Mal an diesem Abend.