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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Kant, Hermann (ehemaliger Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes)



Herr Uffelmann
22.04.2002, 09:28
Kant, Hermann, ehemaliger Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes
liest, schweigt und hört nicht gut

Er ist zurückgekehrt in seine Heimatstadt, ein Sohn Hamburgs, 1928 hier geboren. Klein und ganz grau im Gesicht sitzt er da, angestrengt, ein rötlicher Ausschlag zieht sich von der Stirn bis zum Mund. Hermann Kant, gibt sich souverän, ist nervös und wird heute aus seinem neuen Roman „Okarina“ vorlesen. Gastgeber und Veranstalter ist die HEW, die Hamburgische Electricitäts-Werke AG, die „lieber keine Mark(!) in die Werbung stecken, sondern mit den Hamburger Lesetagen ein Stück Kultur fördern möchten“, wie uns der Herr von den Stadtwerken zur Begrüßung wissen lässt. Zu Kants Person und zum Buch hat er nicht viel zu sagen, und das sagt er auch. Kant ignoriert ihn, ein Zuschauer ruft: „ist vielleicht auch besser so“, Gelächter aus dem Publikum, Durchschnittsalter um die Fünfzig, schon jetzt hängt ein Wir-Gefühl in der Luft. So ist das wenn Kant liest, hatte ich vorab aus Zeitungsberichten erfahren.
Kant hat sein neues Buch mitgebracht, den Nationalpreis erster Klasse der DDR, dazu den, für Kunst und Literatur, ebenso wie den Orden der Völkerfreundschaft des Obersten Sowjet der UdSSR, hat er nicht mitgebracht.
Der Mann, der von 1978 bis zur Auflösung der DDR Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR war, Abgeordneter der Volkskammer und ab 1986 Mitglied des Zentralkomitees der SED, sitzt jetzt im Dokumentationszentrum der zerbombten Nikolaikirche in Hamburg, es richt nach Erde und alter Geschichte, das Kellergewölbe hängt voller alter Fotos, Leichenberge im verbrannten Hamburg, Bebilderungen des faschistischen Weltverbrechens und den Folgen des Feuersturms.

Kant überrascht mit seiner Textauswahl. Ursprünglich und wie angekündigt, habe er erzählen wollen von der DDR in den Fünfzigern, eben gerade habe er aber noch seine Pläne geändert, untergebracht sei er in einem Hotel nahe der Alster und auch sie, ja Hamburg kämen in seinem Buch vor.
Statt DDR-Geschichte jetzt also Kants Besuch auf der gefrorenen Alster, 1995.
Sein neuer Roman beginnt und endet mit dieser Belanglosigkeit, Kant liest in atemlosen Staccato, seine langatmigen Satzmonster, angefüllt mit zahlreichen Kantschen Wortspielen, zwingen zu konzentriertestem Zuhören. Im Buch erfährt Kant während einer Autofahrt gen Osten vom eiskalten Vergnügen auf der Alster, die Erinnerungen an dieses Vergnügen seiner frühsten Kindheit lassen Kant den Wagen wenden, er fährt zurück, gen Westen, zurück zur verlassenen Heimat und verblassenden Erinnerungen.

Und er begibt sich auf dünnes Eis.
Eine Warmwetterfront zieht auf, die Polizei ruft aus einem Helikopter zum Rückzug, Hamburg verlässt das Eis, nur Kant, nein, jetzt wo er den weiten Weg gefahren ist, kämpft sich in entgegen gesetzte Richtung durch die Flüchtigen. Allein auf dem Eis und doch nicht allein, tauchen die Geister der Vergangenheit auf und leisten Kant Gesellschaft. Der Zuhörer erfährt von einem Herrn Wolf B., den Kant auf dem Eise zu erkennen glaubt, freilich nur an seiner mitgeführten Gitarre. Ein gewaltiger Lacher, der Höhepunkt der Lesung, es wird getuschelt, Schenkel geklopft. Immer weiter spinnt Kant sein „satirisches“ Kabinettstückchen, rempelt Augstein an, den großen Verleger, und sogar der Geist Lessings gibt eine lässige Kufe auf der langsam schmilzenden Fläche.

Stefan Heym, wird nicht gesehen auf dem Eis, er war, wie Biermann und neun weitere Schriftsteller der DDR, Opfer der Ausbürgerungspolitik an der Kant, als Präsident des Schriftstellerverbandes 1979 maßgeblich beteiligt war. Die Übersiedlung des Schriftstellers Reiner Kunze in die Bundesrepublik kommentierte Kant damals mit den Worten: „Kommt Zeit, vergeht Unrat“
So gesehen wäre es jetzt eigentlich an der Zeit, das Schenkelklopfen einzustellen und nachzufragen, noch 10 Minuten Verbalakrobatik, dann ist Kant zurück aus der Heimat und wieder Zuhause, in seiner bescheidenen Datsche.
Die Lesung ist zu Ende, tosender Applaus.

Kant erhebt sich, ja es dürfe jetzt gefragt werden:“...wenn den überhaupt Fragen sind, das ist ja schon die erste Frage.“, kumpelhaftes Lachen, Kant zeigt auf seine rechte Ohrmuschel und sagt: „nur würde ich drum bitten, Fragen vorab auf Papier zu formulieren, es gibt Stimmen die dringen einfach nicht durch meine Hörhilfe.“, er grinst, „oft schon habe ich Fragen beantwortet, die mir gar nicht gestellt wurden.“

20 Sekunden gibt uns Kant und der unbeholfene Herr von der HEW um Kritisches mit nicht vorhandenem Stift auf nicht mitgebrachtes Papier zu bringen, dann:“also keine Fragen, gut, ich signiere Ihnen jetzt gerne meine Bücher“
Die Besucher der Lesung stürmen zum Pult, erinnern sich dann doch, bilden eine lange Schlange und warten geduldig.

Meine Freundin (Ost) beendet die Suche nach einem Stift, ich (West) beende die Bügelarbeiten an einem alten Kassenbon und wir gehen.

Keine Fragen mehr.

kathi m.
22.04.2002, 09:38
Wunderbar wie alles von Ihnen, Herr Uffelmann!

Danke!

Tristram Shandy
22.04.2002, 09:57
"Die Aula" ist ein fantastisches Buch. Da ist mir alles, was der Herr Kant sonst gemacht hat, egal.
Auch "Der Aufenthalt" ist toll.
Wenn man sie als Teenager liest - man möchte beinahe zum Sozialisten werden, so toll sind sie.

Zerebrum
22.04.2002, 10:15
uffelmanisch und sehr, sehr schön, herr uffelmann.

schöne passage der schwerhörigkeit: "oft schon habe ich Fragen beantwortet, die mir gar nicht gestellt wurden."

danke dafür.

Mr. Knister
22.04.2002, 10:49
Danke, Herr Uffelmann. Im übrigen bin ich Tristram Shandys Ansicht: Kant war großartig.

Herr Uffelmann
22.04.2002, 16:20
Vielen Dank für Ihre lobenden Worte.

Spannend fand ich es, gleich zwei positive Anmerkungen zu Kant, bzw. zu seinem Werk vorzufinden.

Im Vorfeld der Lesung wurde im Freundeskreis eifrigst diskutiert. Keiner meiner "Ost"-Freunde war zum Besuch der Lesung zu bewegen, aus sehr unterschiedlichen Gründen, von Ablehnung bis kalter Wut reichte der Katalog.

Tristram Shandy
22.04.2002, 17:31
Wahrscheinlich würde ich die Wut verstehen, käme ich aus dem Osten. Komme ich aber nicht. Deshalb habe ich zu Kant einerseits eine ästhetizistische Beziehung: Als Schriftsteller top.

Andererseits gibt es aber auch natürlich eine politische Beziehung. Für mich, 17, gab es an Informationsquellen über die DDR nicht wesentlich mehr als das, was Eltern und Lehrer einem erzählten. Und das war bilige West-Propaganda.
"Die Aula" ist der gelungene Versuch, mir als Wessi zu erklären, wie man nach 1945 einen neuen deutschen Staat gründen wollte, der sich der Frage nach dem "Wie konnte es dazu kommen?" offen stellt.
Dass es dann ins komplette Gegenteil umkippte, O.K. - aber die Aufbruchstimmung der DDR-Frühzeit wird in der "Aula" faszinierend beschrieben.
Ich liebe dieses Buch.

Valmont
22.04.2002, 17:50
Herr Uffelmann, das ist grandios! Diese eindrucksvolle Schilderung der bockig-verzagten Lesehaltung Kants! Diese fahle Tristesse der Kontakt- und Bedeutungslosigkeit! Diese zarte Bitternis! Wundervoll getroffen. Besser gehts nich, wirklich. Feuilletons der Welt, schaut auf diesen Uffelmann!

supersonic scientist
22.04.2002, 18:18
Ganz richtig, valmont!

Nur... gehoert diese Geschichte nicht auch viel eher in ein Feuilleton als in ein Pappenforum?

Ist nur so eine Frage.

Valmont
22.04.2002, 18:38
Hm, Herr Scientist, ick wééß ja ooch nich! Gutes Feuilleton hat jedenfalls maximalen Unterhaltungswert. Und das beherrscht der Herr Uffelmann auf's Virtuoseste! Und von daher gilt: der Herr U. schmückt das Forum, absolut. Und kein aufmerksamer Pappe würde dementieren wollen, dass die posts des Herrn Uffelman einen gewissen Süchtel-Faktor aufweisen. Der Junge hat's drauf, ohne Zweifel - und ich würde stolz sein, auf ein derartiges stilistisches Repertoire zurückgreifen zu können. Kann ich aber nicht. Daher: Uffelmann's best, fuck the rest!

Filippo Lippi
22.04.2002, 18:46
wittert

Flipper
22.04.2002, 18:50
nickt Filippo beipflichtend zu.

Der Bierbaer von Sevilla
22.04.2002, 18:59
Joder! Kommt her, Fischamigos, ich schmeiß Euch eine Runde Corona ins Becken, dann rutscht der Genießer gleich nochmal so gut. Ayayay! Caramba!

Der Bierbär von Sevilla
22.04.2002, 19:04
Wer sind Sie denn? Eine billige Fälschung aus Fernost, scheint mir. Nicht mal für den Umlaut hat es gereicht.

Wenn die Herren Meeressäuger mir bitte in den Loungebereich folgen wollen? Ich habe Getränke kaltgestellt.

poldi
22.04.2002, 19:17
zurück zu kant! herr uffelmann, ich habe mir viel besser und einiges ganz genau vorstellen können. danke für diese geschichte.

DerCaptain
23.04.2002, 00:46
Valmont, schleimen Sie hier nicht rum. Sie schreiben gut, aber das berechtigt noch nicht zu solchen Äusserungen.

Uffelmann ist hier auf Probe, nicht mehr lange, aber immerhin; Sie sind noch Gast.

supersonic scientist, das Pappenforum hier ist Feuilleton, nix anderes.

Glauben Sie im Ernst, es geht hier um Prominente?

Herr Cohn
23.04.2002, 01:10
Hab mich seit vier Tagen auf diese Geschichte gefreut, und da steht sie nun! Ah, wie vornehm schreibt der Uffelmann. Wie gut kommt das rüber. Kant, das mickrige Männlein. 'Die Aula' mag sehr gut sein, aber wenn man den Kant dann vor sich hat - ich habe ihn mal an einem 1. Mai in Ostberlin gesehen, dort signierte er Bücher, gleich neben dem Wurschtstand. Ich habe ihn lange beobachtet, erst respektvoll, dann mit Misstrauen. Er sah wie ein trockener misanthropischer Knochen aus, dem Alles egal war, Leute erst recht.

Frau H aus B
23.04.2002, 01:40
Uffelmann's best, fuck the rest!

Kann man das ernsthaft "Schleimen" nennen? "Kamikaze" wuerde es besser treffen.

DerCaptain
23.04.2002, 01:54
Ich finde, Valmont wäre eine Bereicherung für das Forum. Wär schade, wenn er sich durch doofe Bemerkungen ins Abseits manövriert.

P.S. Weil Uffelmann längst etabliert ist, einfach durch Stil & Klasse. Sich da anbiedern ist unstilish....

Valmont
23.04.2002, 01:54
Mes amis, mir scheint, Ihnen ist der Ursprung des f***-Zitats nicht so recht gegenwärtig. Jedenfalls fordert das zartfleischige Bild von der "lässigen Kufe auf langsam schmilzenden Eis" die Abwandlung der "Time"-Überschrift eines Artikels über Kati Witt doch geradezu heraus, oder? Nicht? Hm.

DerCaptain
23.04.2002, 01:56
Bitte? Wie?

Herr Genista
23.04.2002, 01:57
schmelzt dahin

Edding Kaiser
23.04.2002, 02:08
Das heisst "schmilzt".

geht weg, weit weg. Dahin, wo ihn niemand findet.

Frau H aus B
23.04.2002, 02:10
"Schmülzt" heeßt ditte!

Edding Kaiser
23.04.2002, 02:15
"Scha-mülzt" wenn schon.

Herr Cohn
23.04.2002, 03:03
SAchmülßt.
Valmont, Ihre zartfleischige Nasenscheidewand tut mir leid, nein nicht hm.

DerCaptain
23.04.2002, 09:52
Könnten wir mal wieder auf das leidige Thema 'Darf man Autor vom Werk trennen und das eine Scheisse und das andere gut finden?' zurückkommen? DankeBitte.

poldi
25.04.2002, 10:32
darf? frage lautet wohl: kann frau/man die autorin/den autor von ihrem/seinem werk trennen, und sorry, diese frage muss ge-gendered sein.

"le style, c'est la femme / l'homme."

hach, ich soll PACKEN und nicht POSTEN.

Herr Uffelmann
25.04.2002, 12:25
Zumindest Kant selbst scheint kaum in der Lage, sich von seinem Frühwerk zu trennen, geschweig den zu reflektieren über Vergangenes und Heutiges. Er sieht sich als Opfer, beschimpft sein einsames Leben auf der Datsche im Osten, viel lieber würde er in "Hamburg oder Berlin leben", so Kant gegenüber der Welt. Was Ihn am Umzug hindert, die Antwort bleibt Kant schuldig.
Die Frage, die sich stellt, ist nicht die, nach Trennung von Werk und Autor, meines Erachtens ein Ding der Unmöglichkeit.
Die Frage ist, gibt es eine Trennung zwischen literarischem Schaffen und ideologisch verblendetem Lebenswerk? Was erwarten wir den noch von Kant? Abbitte und neue Bücher, in anderem Tenor? Oder besser nichts?

Tristram Shandy
25.04.2002, 15:33
Ein Ding der Unmöglichkeit, Uffelmann? Das scheint mir nicht so:
Es gibt doch sicher wunderbare Menschen, die komplette Idiotentexte geschrieben haben. Genau so gibt es richtiggehende Arschlöcher, die wunderbar schreiben können.
Und was ist mit Texten, bei denen man de Autor überhaupt nicht kennt?
Überhaupt, woher "kennt" man einen Autor, wenn nicht aus anderen Texten, die über Texte handeln, die über Texte handeln etc.?

Meines Erachtens gibt es sowieso überhaupt NUR Texte, der Autor verschwindet hiner ihnen komplett und ist irrelevant.

Und deshalb ist mir Herr Kant auch so egal, solange ich seine Texte schätze.

Herr Uffelmann
25.04.2002, 15:43
Richtig und auf den Punkt. Jedes Wort.

Klasse, danke Tristram Shandy, ich schätze Ihren Text und seinen Autor.


ärgert sich, nicht selbst drauf gekommen zu sein, der

frosch2
25.04.2002, 16:10
Herr Uffelmann, Sie werden mir unheimlich. Sind SIE der gesalbte Sohn Gottes, unser Messias? Ist es endlich soweit, hat das Warten und Hoffen ein Ende? Ist das Pseudonym Jesus frei?

vir
25.04.2002, 17:06
Pardon, Uffelmann, wenn Kant sich "souverän" gab, wie haben Sie dann bemerkt dass er gleichzeitig "nervös" war?

Tristram Shandy
25.04.2002, 17:31
Weil er sich eben nur souverän gab.

Herr Uffelmann
25.04.2002, 17:34
Virchow,
kennen Sie das nicht, den Versuch Haltung zu wahren, Selbstsicherheit zur Schau zu tragen, Mitmenschen etwas vorzugaukeln zu wollen, und das Unvermögen, die eigene Körpersprache zur Zusammenarbeit zu überreden. Dem aufmerksamen Beobachter entgeht sowas nicht.

poldi
26.04.2002, 21:49
das mit ideologie öffentlich überdenken ist viel verlangt, wenn es in einen akt des glaubens münden soll - einer religion, zb der des kapitals, ab- und zuschwören.

die aula steht in meiner liste nicht absolvierter pflichtlektüren im unteren drittel.

auch wenn ich gerne der korrekten schulweisheit folgen würde, dass der text die exklusive information über den autor ist, kann ich mich doch persönlichen eindrücken schlecht entziehen. das beginnt bei lesungen (inwiefern waren sie übrigens zufällig dort, herr uffelmann, das war nicht so klar - vielleicht ist es auch hier in diesem forum nicht mehr so wichtig).

lerne ich den autor / die autorin eines textes persönlich kennen, kann ich deren texte einfach nicht so lesen wie vorher - egal ob das romane oder postings sind.