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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Menasse, Robert (und der Schatz vom Wörthersee)



Traumpflücker
18.04.2002, 19:00
Robert Menasse und der Schatz vom Wörthersee

Ich kann mit Prominenten nicht. Wahrscheinlich weil ichs selber gerne wäre. Tiefenpsychologisch lasse ich meine Raster durchlaufen: Schrei nach entzogener Mutterliebe? Definitiv. Im Kindergarten nie von der Tante Otti gelobt? Kann sein. Immer der letzte beim Milchpackerl? Höchstwahrscheinlich.

Am ersten Tag im Wiener Filmcasino: Drehbücher werden von Schauspielern in einem Kino vorgelesen. Irgendwer kennt wen, derjenige kennt wieder alle und so reden wir beim Buffett meist über eben dieses und mir schwirrt der Kopf vor lauter Namen, doch ohne Fernseher läßt man mir hier keine Chance: Während sich alle „Schloß am Wörthersee“ Stars den Mund über Autogrammjäger zerreißen, versagt ihnen die teuer versicherte Zunge einem Ignoranten gegenüber völlig. Ich kenne einfach keinen der hier Anwesenden, außer der methusalemisch alten Burgschauspielerin und den Wussows, weil die doch schließlich jedes Kind kennt. Eigentlich wollte ja keiner von ihnen so recht da sein, da kein Geld dafür rausschaute. Einer raunt mir zu, der Abend habe für alle mit einer Hintertür begonnen, und durch eben diese entferne ich mich geschickt, den Zirkus hier fliehend.

Einfach wegzustehlen wäre dann doch zu einfach, wird mir am nächsten Tag gewahr, und, wenn man die eine Tür leise hinter sich zumacht, knallt einem die nächste, vermeintlich offene mit aller Intensität auf die freche Clownsnase. Ich steuere aufs Café Sperl zu, einem Literatencafé, das sich angenehm vitalisierend von der sonst so langsam, verspielten Kunstszene Wiens abhebt. Vom Interieur hebt sich auch ein Freund ab, den ich von der Straße sichte, mich mit ihm durch Handzeichen verständige, er tippt gerade etwas in seinen Apple. Chat mit Japan und Aiko, die eigentlich schon ins Bett will, und das, obwohl wir doch gerade eben aufgestanden sind!! Solch bohemienhafter Lebenswandel läßt sich nicht einmal durch den Unterschied der Zeitzonen verschleieren und um gleichsam doch noch etwas Zeit aufzuholen, steuere ich zielgerecht auf den Eingang zu. Gestikulierend steht ein Mann rechts vor der Eingangstür in dezentem Schwarz, nur seine Tonsur bildet einen angenehmen Kontrast zum sonstigen dunklen Erscheinungsbild.

Ich sehe nur ihn allein und das auch nur halbbewußt und kurz streift mich der Gedanke: Wieder so ein Irrer, der Selbstgespräche führt, oder redet er doch mit seiner Freisprechanlage?, doch so quasi auf halbem Weg meines Pawlowschen Gedankengangs und tatsächlich schon auf halbem Weg den Gestikulierer passierend, sehe ich in der Türschwelle (und die ist in diesem Lokal nicht zu kurz) den Gegenredner und mich trifft der in schönem Wienerisch hingeworfene Satz: „Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte“ von dem Schwarzgekleideten und mit einem höfliche Lächeln das nicht eben originelle Sprichwort replizierend, gleichzeitig lässig zurückblickend, bleibt mir nichts Anderes übrig als zu erkennen, daß ich mich soeben an meinem Lieblingsschriftsteller Robert Menasse vorbei ins Café Sperl gedrängt habe. Alle Notfallspläne vergessen, gehe ich ins Lokal und komme nicht einmal auf den Gedanken, ihm die Schwingtür offenzuhalten.

Während er sich in dieses Lokal vertagt und in die Gedankenwelten des 16. Jahrhunderts, einem seiner Vorfahren ist sicher vergleichbar Empörendes mit einem Knappen passiert, vertage ich mich um einen Vierteltag vor nach Japan und mein Freund zaubert noch einen leeren Zettel aus seiner Jackentasche – eines Autogramms wegen – doch da hat schon eine junge Frau mit Haselnußaugen dem Meister gegenüber Platz genommen, Aiko meint auch, daß man da wirklich nicht stören sollte.

Brad Snyder
18.04.2002, 23:08
Halb zog es sich, halb sank ich hin. Mein Favorit: ... doch so quasi auf halbem Weg meines Pawlowschen Gedankengangs und tatsächlich schon auf halbem Weg den Gestikulierer passierend, sehe ich in der Türschwelle ... – sehr schön, vielen Dank.
Aber lassen Sie sich mir derart künstlerischen Beiträgen nicht von einem gewissen Tritram osä. erwischen; da reagiert er höchst allergen.

DerCaptain
19.04.2002, 00:31
Traumpflücker, das war ein feiner Einstand. Lassen Sie sich nicht verschrecken hier, nur weiter so.

Und passen Sie auf Lob von der falschen Seite auf....

pawlow
22.04.2002, 21:24
Ja, ich kenne das Gefühl immer der Letzte bei den Milchpackerl gewesen zu sein- mein Therapeut arbeitet da schon zwei Jahre daran.
Ansonsten: geschmeidiges Erzählwerk von löblichster Qualität Herr Traumpflücker