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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Mercury, Freddy stocksauer



Goodwill
12.04.2002, 19:25
Derjenigen gewidmet, die sich die Geschichte in der Gaststaette Prassnik zwischen zwei Schluck Bier reingezogen hat und die sinngemäß meinte: Schreib das doch auf.

Freddy Mercury war damals natürlich der King für mich. King of Schallplattenkiste, King of Bombastrockcomposing, King of Olympiahallenextase. Ich war Teil einer Massenhysterie. Wer bei “We Will Rock You" nicht in die Knie ging, auf den Boden klatschte und sich überhaupt bekloppt benahm also praktisch der ganze Rest der Menscheit - galt in meiner heißen Queen-Phase als unrettbar daneben.

Goodwill
12.04.2002, 19:29
Einzig das etwas zu exaltiert Glamouröse Mercurys, die selbstverliebte Hautenge seiner Bühnentrikots und sein Schnurrbart irritierten. Das passte nicht zu unseren abgewetzten Cord-Jeans, Asymmetrie-Frisuren und zu den Aufregungen, die die ersten aromatisierten Wilderdbeer-Tees in Mädchenzimmern bei uns verursachten. Als modisches, politisches oder heterosexuelles Rolemodel taugte Mercury nicht die Bohne. Das war allerdings nicht weiter tragisch, denn es gehörte nicht zu seinem Job, irdisch zu sein. Freddy Mercury lebte für uns irgendwo im Rockhimmel; unendlich weit oben. Ein Musikhalbgott, der ein Soundsonnensystem repräsentierte und alle Jahre wieder als Bühnenkomet sichtbar wurde. Anbetung? Irgendwie Pflicht. Weshalb mir die folgende Begebenheit auch lange sehr sehr peinlich war.

Lotta Krach
12.04.2002, 19:33
muckelt sich mit einem Schälchen Salzmandeln in die Ecke und wartet, daß der Film beginnt

Goodwill
12.04.2002, 19:36
Wir hatten in jenen Jahren einen Familienhund mit ausgeprägtem Charakter. Dazu kam eine schlechte Erziehung. Als Teenager hatte ich ein grundsätzliches Nicht-Interesse an der Disziplinierung anderer Lebewesen. Meine Sympathie galt mehr den Underdogs dieser Welt, zu denen ich mich irgendwie selber zählte. Und so kam es, dass unsere Hundedame den Umgang mit meinen Befehlen recht lax handhabte. Mal verschwand sie für einen halben Tag in einem Rapsfeld, um Hasen zu jagen. Mal plünderte sie am Baggersee die Picknickkörbe anderer Leute. Ein lässiger Hund. Nach einer Selbstbefreiungsaktion im Tierpark Hellabrunn (die im Tapir-Gehege endete und einen dorthin geflüchteten Bakiwa-Hahn das Leben kostete, 62,50 Mark), und nach einem anderen Vorfall, den der betroffene Rauhaardackel überlebte, kündigte uns allerdings die Hunde-Haftpflichtversicherung. Kein Mensch war bei all dem gebissen worden. Aber die Umarbeitung eines Nerz-Mantels in eine -Jacke war teuer geraten. Der Ärger drumherum war auch nicht zu verachten: Im Zuge eines verleumderischen Nachbarschaftsstreits verurteilte ein bayerischer Amtsrichter meinen Vater und unseren Kleinen Münsterländer schließlich dazu, eine große deutsche Schäferhundeschule zu besuchen. Ohne Erfolg. Soweit die wichtigsten Fakten.

Goodwill
12.04.2002, 19:40
Mir war an jenem Frühfrühlingstag eines mitlerweile unbekannten 80-er-Jahres eigentlich klar, dass es Schwierigkeiten geben würde. Einfach so vor einem Buchladen angeleint zu werden in der nasskalten Dauerzugluft vor dem Arabellahaus sitzen zu müssen, war nicht so das Ding für den Hund. Verhaltensforscher mögen das, was nun folgte, als Übersprungshandlung bezeichnen. Ich nenne es noch heute Rache.

Goodwill
12.04.2002, 19:41
Es lief zunächst so ähnlich ab wie immer: Kaum hatte ich den Hund begrüßt und los gemacht, setzte wohltemperierte Freude ein. Dann kam der ebenso bernsteinfarbene wie suchende Blick in die Runde. Nach ein paar Metern im freien Trab neben meinem Hollandrad, beschleunigte Jessie (gegen den Namen war ich immer! Weshalb ich lieber andere erfand. Weshalb der Hund noch weniger auf mich hörte) aufs schärfste. Ich begann mein Besänftigungs-Brüll-Programm, das aus dem Namen des Hundes und Worten wie “Fuß, hierher" usw. bestand. Vergeblich.

Goodwill
12.04.2002, 19:43
Ein Mann in Trenchcoat trat gerade aus dem Schatten, der den Eingang des Musicland-Studios in zu einer mysthischen Pforte in die Unterwelt machte. Ich hatte dort schon mal Monitorboxen mit der Aufschrift “The Rolling Stones" gesehen und berührt. Es hieß, Boney M und Donna Summer hätten dort aufgenommen; aber Deep Purple auch und vielleicht sogar Jimi Hendrix. Es war heiliges Land.

Und der Mann im Trench, der sich angesichts des Niesels an einem Regenschirm zu schaffen machte, und auf den nun eine Unannehmlichkeit zuraste, war Freddy Mercury.

Goodwill
12.04.2002, 19:44
Mein Hund zog die übliche harmlose Nummer ab, das heißt: Wau-wau-wau-wau aus vollem Lauf. Die Opfer erstarrten gewöhnlich zu Salzsäulen. Danach wurde schwanzwedelnd abgedreht. Ich war dann normalerweise damit beschäftigt, Entschuldigungen hervor zu stoßen, während sich die Angebellten um ihr Herzklopfen und ihren Adrenalinspiegel kümmerten.

Goodwill
12.04.2002, 19:49
Nicht so der Great Pretender. Denn Mercury setzte sich sofort zur Wehr. Von 0 auf 180 in weniger als einer Sekunde. Mit seinem Regenschirm stocherte er in Richtung Hund. Er stampfte auf, brüllte und brandheißer Zorn loderte über sein Gesicht. ³Shut up!" röhrte er den Hund an. Dummerweise machte das Spaß. Ein Mann mit Stock, mit Flattermantel und Stimme. Fein. Der Hund fing an, Herrn Mercury kläffend zu umtänzeln. Der drehte sich mit. Immer das Gesicht Richtung Hund. Ausfallschritte probend. Laut fluchend. “Bloody" und “shitdog" sind mir noch erinnerlich. Dazu machte er “schschsch" bzw. als Engländer natürlich “shshsh". Die freie Hand vollführte Herrenmenschengesten, mit denen man locker ein Stadionpublikum zum Schweigen bringen kann, aber keinen Hund. Freddy schimpfte, ich schrie, der Hund bellte. Eine Sternzeit verging.

Goodwill
12.04.2002, 19:52
Ich war mit meinem Fahrrad inzwischen auf wenige Meter an den Ort des Geschehens und damit an Mercury heran gekurvt. Endlich drehte mein dämlicher Hund ab, flüchtete vor der fauchenden Hundeleine. Ich sah die Hasenzähne, den Schnurrbart, rote Flecken und Zornesblitze. Ich war erledigt. Another one bites the dust. Ich stammelte immer wieder ³I´m sorry, so sorry". Wenn ich in der Aufregung gekonnt hätte, hätte ich geweint.

Mercury wendete brüsk, öffnete den Schirm und schritt von dannen. So endete diese persönliche Begegnung zwischen Fan und Star. Besonders meine Ansichten zur Hundeerziehung wurden dadurch einem gewissen Wandel unterworfen.

Angelika Maisch
12.04.2002, 20:21
der neue Goodwill. Das haben wir aber echt gebraucht heute, Goodwill. Sehr fein zu lesen.

Die Wucht
12.04.2002, 20:43
Bevor ich es zum Klaus-Cäsar-Effekt (x) kommen lasse, haue ich schnell mein Lob in die Tasten, von neurotisches-Tier-Halterin zu neurotisches-Tier-Halter. Toll, lustig, das Wochenende kann kommen! Aber ich glaub Dir nicht, dass Du geschrien hast.


------------------fussnote-----------------------------------------
(x) vor Begeisterung und Erheiterung nicht wissen, was schreiben, wie loben, wiederholtes Lesen macht es noch mehr unmöglich zu antworten; nicht mit Ehrfurchtsstarre zu verwechseln.

Klaus Caesar
12.04.2002, 21:06
Liebe Frau Wucht, wenn ich eine Webcam hätte, würden Sie nun einen vor Verlegenheit sanft erröteten Klaus Cäsar sehen können. Aber zurück zu Goodwills Geschichte: Ja, sehr prima. Schöner natürlich noch, wenn Jessie Freddie für einen Bakiwa-Hahn gehalten hätte, dann wäre Goodwill jetzt so berühmt wie Mark Chapman. Aber zurück zu mir: Vielleicht sollte ich doch demnächst mal meine Begegnung mit Michael Jackson aus dem Sack lassen?

Herr Weber
12.04.2002, 21:40
Goodwill, wusstest Du, dass Queen diese Geschichte verarbeitet haben? Auf dem "Tribute to Goodwill"-Album sind folgende Stücke enthalten:

Rain Must Fall
Bicycle Race
Dragon Attack
Flick Of The Wrist
The Hitman
Fight From The Inside
Ogre Battle
Sheer Heart Attack
Save Me
The Loser In The End
Mr. Bad Guy
Scandal

Bonustracks (nur auf Vinyl):
Death On Two Legs
Leaving Home Ain't Easy

Herr Cohn
12.04.2002, 23:28
Ah schön, Goodwill!

Etwas Klitzekleines möchte ich gern wissen, und zwar: Wie hat sich Herrn Mercurys "Shut up!!" angehört? Brüllt der Hunde anders an als Andere, so schmelzend metallisch wie auf den CDs?

DerSchorsch
13.04.2002, 01:12
Sehr fein, Goodwill.

Lenin
13.04.2002, 01:24
Ein Titan verliert auf Augenhöhe. Damit ist natürlich nicht der Autor gemeint. Goodwill zeigt mit einer weiteren Geschichte von herausragender Qualität, dass ein Erlebnis erst durch die gekonnte Beschreibung einen Wert erhält. Applaus!

Juri
13.04.2002, 11:19
Klaus Caesar blufft doch! zittert

--
Chapeau, Goodwill!

Lenin
13.04.2002, 11:38
Einen Bakiwa-Hahn kostet das Leben 62,50 Mark, das sind nach @mund Stoiber genau 122,239375 Euro.

DerCaptain
15.04.2002, 15:45
Goodwill, der Kerl postet immer seltener, aber wenn, dann, ja dann... oho! Sehr fein!

Yvonne Caldenberg
15.04.2002, 20:02
Mercury mit Stock, stocksauer und dann auch noch stockschwul. Nur gut, dass das Hündchen keine Stockente gekillt hat, das wäre etwas überdeterminiert und symbolisch gekommen. Bakiwa-Hahn - ein meisterhafter Erzählkniff. Respekt.

Und eine sehr lustige Geschichte. Hihi.

Mr. Knister
16.04.2002, 09:15
Richtig schön, Goodwill. Am schönsten: die Herrenmenschengeste, ja das passt.

Nicht so schön: Dass sich Ihre Ansichten zur Hundeerziehung einem gewissen Wandel unterwarfen. Ihr Hund ist mir sympathisch.

Pomito
16.04.2002, 10:25
Perfekt - und das sage ich nicht, weil ich mal in einer Queen-Playback-Band den Bassmann John Deacon verkörpert habe und immer noch die Basslinie von "Crazy little thing called love" exakt nachsummen kann. Deacon war mir immer sehr sympathisch, der ruhige Ausgleich zu den Egomonstern Mercury, May und (mit Abschwächung) Taylor.

Edding Kaiser
16.04.2002, 10:27
Ach, herrlich, Kinder!

Andrea Maria
16.04.2002, 10:59
So eine schöne Geschichte, Goodwill!

Goodwill
16.04.2002, 18:35
Ich fühle mich sehr geehrt. Nicht nur durch das Lob.
Wenn ich Herrn Webers Hinweis richtig deute, dann war dieses Hunde-Erlebnis für Herrn Mercury ungefähr genau so wichtig, wie es einst die Begegnung mit Frühling, Sommer Herbst und Winter für Herrn Vivaldi war. Der positive Einfluss, den mein Hund und ich auf die Musikgeschichte hatten, lässt sich möglicherweise nur mit dem von Angie und Michelle vergleichen. Die eine inspirierte bekanntlich Jagger/Richards zu einem hammertraurigen Lied, die andere Lennon/McCartney zu einem halbfranzösischen. Statt negativ zu wirken (siehe den Schneesturm, der Buddy Hollys Flugzeug zum Absturz brachte), hat die Naturgewalt meines Hundes nur massenweise Songs wie "Sheer Heart Attack" ans Licht der Welt getrieben. Damit kann ich leben.

Herr Weber
17.04.2002, 10:20
Goodwill soll der neue Sänger von Queen werden!!

Lenin
17.04.2002, 12:02
Das kann nur fordern, wer ihn noch nicht singen hörte.

Edding Kaiser
03.11.2002, 13:34
.

Edding Kaiser
27.06.2003, 11:18
.

Albin Kessel
05.03.2004, 11:08
!

fabchief
05.09.2006, 12:40
Na, weil der gute Mann heute 60 geworden wäre.

Wie sich die Zeiten ändern: Früher war er für mich der grösste. Vor ein paar Tagen habe ich dann eine alte Konzertaufnahme von Queen gesehen und ich fand die "Rampensau" Freddy, nun ja, eher peinlich.

Dolli Williams
05.09.2006, 18:05
Früher war ich der allergrößte Queenfan der Welt, wußte alles, kannte alles auswendig, wollte alles haben. (Unter meinen Devotionalien befand sich auch eine grauenhafte Picture-Shape-Disc mit widerlichen Coverversionen, die ich aus Versehen irgendwo bestellt hatte, nicht ahnend - der Bestellheftchentext war vertuschend formuliert - , daß es sich um Coverversionen handelte!) Daß ich einen Geburtstag vergesse, ach herrje, das wär mir vor 20 Jahren nicht passiert. Verliebt war ich allerdings in 1. Roger Taylor 2. Brian May 3. Freddie Mercury 12. John Deacon. Heute kann ich damit leben, also mit meinem damaligen Fantum, ist mir nicht peinlich. Such mir immer mal wieder neue Götter, aber ohne ewige Gefolgschaft zu geloben. So ist das, wenn man alt wird. Trotzdem: Fantum ist was Schönes, und ein bißchen kann ichs immer noch.