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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Raumkreuzer Orion-Crew (als Oligarchen verkleidet)



Puss
27.03.2002, 19:26
Es gab - und das ist noch nicht so lange her - ein gesellschaftliches Ereignis mit ganz eigenem Charme: der Premierenabend des Zirkus „Menschen, Tiere, Sensationen“ in der Berliner Deutschlandhalle. Hier versammelten sich alljährlich die westberliner Oligarchen. Eine Schicht, die das eingezäunte Berlin beherrscht hatte und deren Insignien prall gefüllte Lacoste-Hemden, Blazer mit goldenen Ankerknöpfen und grau beschläfte Fönfrisuren waren. Auch wenn in dem Jahr, aus dem ich berichten will (es war wohl 1995), schon viele Bastionen der westberliner Oligarchen gefallen waren, dieser Ort und dieser Abend gehörte ihnen. Besonders eindrucksvoll und typisch für die Spezies der westberliner Oligarchen war der Zermonienmeister. Ein braun gebrannter Mittfünfziger, der seine Eröffnungsrede mit schwülen Adjektiven parfümierte und dabei in Richtung des regierenden Oligarchen katzbuckelte. Die Rede des Mannes bezog sich auf den Zirkus und wie schön es doch sei, wieder wie ein Kind zu staunen, ah und oh zu rufen und dass er bzw. wir doch alle davon geträumt hätten - und es irgendwie immer noch tun - mit dem Zirkus durchzubrennen, Clown zu sein, zu lachen, wenn man doch weinen will oder auch umgekehrt usw. Dann fing der eigentliche Zirkus an, wirklich schön, aber für diese Geschichte nebensächlich. Im Anschluß an die Zirkusvorstellung ging es in die VIP-Lounge. Dazu muß man wissen, dass die Deutschlandhalle ein fabrikartiges und zeitlos hässliches Gebäude ist, in dessen Wandelgängen der Fußboden vor verschüttetem Dosenbier klebt. Ganz anders ist die Vip-Lounge. Hier hatten die Oligarchen ihre Pracht entfaltet: mit roten Wandtapeten, Spiegeln, vergoldeten Ornamenten und Kristalllüstern. Ein gut geführtes Freudenhaus im Bukarest des Jahres 1910 mag ähnlich eingerichtet gewesen sein. In der Mitte des Saals stand ein 20 Meter langes Büffet, an den Ecken waren Bierzapfsäulen installiert. Es war klar, was die Oligarchen jetzt wollten: Bier trinken, Büffet aufessen, Oligarchenfreundschaften pflegen. Doch zuvor musste noch ein Programmpunkt erledigt werden, da das Treffen der Oligarchen als Wohltätigkeitsveranstaltung deklariert war. Dafür hatte man eine Außenstehende, die Frau des damaligen Bundespräsidenten engagiert, die eine seltsame Krankheit namens Myzovidose o. s. ä. besiegen wollte. Was genau diese Krankheit so gefährlich macht, bzw. was Frau Herzog dagegen zu unternehmen gedachte, war leider nicht zu verstehen, denn die Oligarchen kämpften bereits geräuschvoll um günstige Positionen am Büffet und den Bierzapfsäulen. Schließlich fiel der offizielle Startschuß und es begann ein Drängeln, Kauen, Schlürfen und Knuffen wie man es selten erlebt. Ich zog mich später mit meiner Bekannten in ein Separée zurück und beobachtete von dort aus den nächsten Akt: nach Beendigung des Mahls lachten die Oligarchen entweder dröhnend oder mauschelten flüsternd. Ich malte mir aus, welches Geld wohl gerade in welche Kassen umgelenkt würde, welche windigen Bauprojekte man anschubste und welches Skandälchen einvernehmlich unter dem Teppich verschwand. Ich war fasziniert und hätte den Abend schon zu diesem Zeitpunkt als gelungen verbucht als plötzlich... Da saß doch Atan Shubashi, Astrogator des schnellen Raumkreuzers Orion! Und neben ihm Mario de Monti, Frauenheld und Armierungsoffizier der Orion! Und das war doch Tamara Jagellovsk vom Galaktischen Sicherheitsdienst! Sie waren wohl durch eine Krümmung des Raum-Zeit-Kontiniuums in die VIP-Lounge geraten und hatten sich notgedrungen als Oligarchen verkleidet. Man sah ihnen an, dass sie ihrer Tarnung nicht trauten. Doch auch Zuversicht spiegelte sich in ihren Zügen, denn es war klar, dass sie gerettet würden. Commander Cliff McLane würde die Tür aufstossen, den Strahler in der Hand, und sagen: „Ganz ruhig, ihr Oligarchen, ich bin nur gekommen um meine Mannschaft hier raus zu holen.“ Dann: „Tamara, Atan, Mario, los!“ Daraufhin würden sie alle zusammen aus dem Saal stürmen, die Schergen der Oligarchen hinterher, der schnelle Raumkreuzer Orion, gelenkt von Maschinist Hasso Sigbjörnson, würde auf dem Dach der Deutschlandhalle landen, die Crew in letzter Sekunde an Bord hechten und alle sich auf den Weg zur Raumbasis machen.

Klingeltonk
27.03.2002, 21:32
Ich find es schön.

(und ich bin aus der Generation Enterprise)

Kony Faehre
27.03.2002, 22:49
Ich sag lieber doch nichts dazu.

vir
28.03.2002, 12:34
Sechs Wochen Zeit genommen - und siehe da, es ist was schönes bei rausgekommen, auch wenn ich den Schluss nicht verstanden habe. Ich habe mir jetzt der Einfachheit halber vorgestellt, dass da der Lummer halbnackt an einer riesigen RKO-Antenne hochklettert während ein bucklicht Männlein mit einer Laserpistole auf ihn ballert.

Egal, "prallgefüllte Lacostehemden" konnte ich mir sofort sehr gut vorstellen. Willkommener Einstieg, Puss. Aber, sag mal, fehlt da nicht ein Buchstabe an Deinem Spitznamen?

Tigerin
28.03.2002, 14:17
Herrliche Geschichte! Ich liebte diese Fernsehserie - schon die blosse Erwähnung ruft Kindheitserinerungen wach - heisse Sommerabende mit der Familie vor dem Fernseher.

Die Schilderung der Berliner Oligarchenversammlung ist sehr schön und atmosphärisch, schade finde ich ein wenig, dass da nicht noch ein paar Absätze eingefügt wurden. Ist aber nur ein ganz kleiner Makel.

MarkusB
29.03.2002, 10:11
Schließe mich dem Lob an - aber OLIGARCHEN in Berlin klingt ein bißchen lustig. Sind doch alles ziemlich kleine Lichter. Gehen Sie mal nach Russland, da gibt's noch "richtige" Oligarchen.

Pauli
29.03.2002, 10:39
Schöne Schilderung. Und Orion 8 war eine feine Sendung.

Herr Cohn
30.03.2002, 03:12
Aber rassistisch waren sie doch, Herr Shubashi, Atan und auch die blonde berlinernde Tamara. Ich hab's an den heißen Sommerabenden genau gehört. Da wurde über gewisse Frogs hergezogen. Die seien böse an sich. Sowas sagt man nicht.

DerCaptain
31.03.2002, 00:56
Ach, Herr Cohn, frogs oder Klingonen, sind doch alle böse, scho recht, aber 'Der schnelle Raumkreuzer Orion' war klasse.

Peinlich ist mir dagegen die pfeilgenaue Beschreibung der Berliner Schunkel- und Kungelgemeinschaft; ich mein manchmal, der Kölsche Klüngel ist eine billige Kopie der Berliner Subventionsanwanzer. Gräßlich. Jetzt sind wir pleite, Diepgen & Landowsky lernten sich schon im ASTA der FU damals kennen und zogen ihren Riemen konsequent weiter über Jahrzehnte.

Sowas hat nur in Berlin richtig funktioniert.

Angelika Maisch
31.03.2002, 01:42
Dennoch, es handelt sich immerhin um eine recht gelungene Geschichte. Erst wollte ich sie nicht lesen, wegen des Pseudonyms, welches mir wenig unterhaltsames versprach.
Dann gab ich mir aber einen Ruck und sah mich angenehm enttäuscht. Wollte ich nur kurz anmerken.

Frau H aus B
31.03.2002, 02:07
Mich stoert beim Lesen dieses Textes sehr die permanente Wiederholung des Wortes "Oligarchen". Vermutlich Absicht, das macht es aber nicht besser.

DonDahlmann
31.03.2002, 15:26
Mir geht dieser "Oligarchen = dooe, schlechte, fette, hässliche, schlimme, böse Menschen" Ton auf die Nerven. Das mag ja alles stimmen, aber auf die Nerven geht er mir trotzdem.

michakra
19.04.2002, 00:37
Mukoviszidose heißt die Krankheit. Abkürzer dürfen auch Muko sagen. Ist ein zäher Schleim, den mancher Körper wegen Fehlers im Zellenbauplan produziert und Organe wie die Lunge arg in die Bredouille bringt.

Weils beim Drängeln, Schlürfen und Mauscheln etwas laut war.