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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Buster, Dolly (redet nicht viel)



christoph
16.03.2002, 12:28
Vorgestern Abend traf ich Dolly Buster an einem Ort, an dem dieser Tage alles zu finden ist, was aus schwierigen Umständen noch das Beste machen möchte:

Der Cebit. Dolly war geladen und gebucht auf der Standparty eines Geschäftspartners von uns, und dieser Geschäftspartner hatte gesündigt. Er war seinen Verpflichtungen uns gegenüber nicht ganz nachgekommen, er wußte das, ich wußte das, und nun hieß es gutes Wetter machen, denn niemand verdirbt es sich gerne mit den Streitkräften des Imperiums. Als ich in meiner Funktion als Lord Vaders Scherge am Vormittag auf seinem Stand vorbeikam, fiel er mir geradezu um den Hals, drückte mir ein VIP-Bändchen in die Hand, heute Abend wolle man erst einmal ein Bier zusammen trinken, Dolly Buster wäre auch da, und übers Geschäft könne man dann morgen sprechen. Gut, dachte ich mir - sie beginnt schon zu wirken, die Dunkle Seite der Macht.

Der Abend kam, eine Band spielte Die Stimmungshits der Rhythmundblues-Musik versetzt mit Kölschen Klassikern, und bei Ankunft wurde ich sogleich in den ersten Stock des Standes gewinkt. Dort an der Bar sah ich Dolly. Sie saß, war ganz unbeweglich und schwieg.

Mit den Promis, aber gleichermaßen auch mit körperlich Enstellten und attraktiven Frauen, ist es ja allgemein so, daß man nicht starren möchte. Starren ist generell unhöflich, und vor allem empfinde ich es so, daß sich der Starrende selbst erniedrigt damit. Sofort und durch nichts berechtigt stellt sich durchs Starren ein Oben und Unten ein. Der Starrer drunten möchte sich etwas nehmen, nämlich den Anblick und die Nähe der Berühmtheit dort oben. Aber er muß es nehmen wie ein Almosen, denn er hat im Gegenzug nichts zu geben, weil der Promi einzigartig, er selber aber nur einer von Vielen ist. Es ist peinlich, ein erwachsener Mensch zu sein und doch seine Neugier nicht zügeln zu können und sich dadurch in die Rolle eines Bettlers zu begeben. Deswegen zog ich schnell ab mit meinem Plastikbecher Bier, schaute sie nur aus den Augenwinkeln an und heuchelte Unbeteiligtheit.

Ein lächerlicher Versuch, denn natürlich war es so, daß in dieser sog. "VIP-Lounge" alle Anwesenden außer den Kellnerinnen und eben Dolly männlichen Geschlechts waren. Alle. Das ist nicht gut, auch, wenn das in der Überzahl nette Kerle waren. Denn alle, in Anzüge und Krawatten gekleidet, schauten aus dem einen Augenwinkel hinüber zur Bar - und aus dem anderen zu den übrigen Männern. Guckt der? Sieht der womöglich, daß ich gucke? Und schauten schnell wieder weg zu ihren Gegenübern und nahmen einen Schluck Pils und lachten über etwas ganz anderes.

Mittendrin: Der umtriebige Sales Manager unseres Geschäftspartners, der aus seinem Zugpferd nun etwas machen wollte. "Kommen Sie, kommen Sie, lassen Sie sich ein Autogramm geben!" lud er die versammelten Häscher des Imperators ein, schwitzend, zog den einen am Ärmel hinüber an den Hocker, auf dem Dolly unbeweglich und wortlos saß. Ich sagte Hallo, legte die Karte auf den Tisch: "Bitte `Für Christoph´ draufschreiben".

Das war nun der erste Moment, in dem ich sie wirklich anschauen konnte, denn sie war abgelenkt. Sie trug eine enge weiße Hose und eine bauchfreie weiße Bluse mit einem Dekolleté von etwa einem Quadratmeter. Ihr monumentaler Busen war dick bestäubt mit silbernem Glitter. Ihre aufgespritzten Lippen waren dunkelrot gestrichen und mit schwarzem Stift umrandet. Ihr Teint war weiß und weich wie Brotteig, und ihre Fußnägel schwarz lackiert. Das Haar trug sie in H2O, ihrer Wespentaille schien eine Rippe zu fehlen, und die Fingernägel waren künstlich. Vor mir saß eine Person, die aussah, als hätte man sie aus Knetgummi geformt. Irgendjemand hatte da vor sich hingeknetet, dann und wann am Bauch etwas Gummi weggenommen und es an der Oberweite angepappt. Weil - ein Knetgummifrauchen muß ja nicht echt aussehen, da müssen die Proportionen nicht stimmen, es ist doch nur Knetgummi, nur ein Spaß also. Und nur eine Knetgummifrau darf so ganz und gar anders, einsam und abgetrennt von der Welt aussehen wie diese hier. Weil sonst könnte man das Mitleid gar nicht aushalten, wenn sie echt wäre und Gefühle hätte.

- Sie unterschrieb, ein einstudiertes Autogramm mit einem großen Herzchen quer über den Namen, und ich fühlte mich genötigt, ein wenig Smalltalk zu machen, weil man das einfach tut, wenn man neben einer Frau an der Bar steht. Man darf ihr doch auf keinen Fall das schreckliche Gefühl geben, aus Knetgummi zu sein! Ich fragte, ob sie lange gebraucht hätte, diese Unterschrift zu lernen, sie mißverstand mich und sagte in ihrer etwas lispelnden, tschechischen Stimme, die hätte sie doch schon tausende Male gemacht. Ich dankte, ging und verstaute die Karte in meinem Rucksack unter der Rubrik "Absurditäten der Computerbranche". Sodann trank ich mehr Bier und beobachtete, wie sich ein anderes Mitglied der Sturmtruppen nicht entblödete, eine Serie Fotos von sich mit ihr machen zu lassen. Er grinste, sie stand neben ihm regungslos und stumm wie ein Kinoaufsteller. Später stand ich an der Brüstung und schaute herunter auf die Leute unten, die mitsangen bei den Hits der Kapelle, da wurde Dolly von dem Umtriebigen und einem weiteren Anzugträger, ihrem Manager wahrscheinlich, herangeführt wie ein Pferd. Sie wurde neben mich gestellt, fast erwartete ich, daß man sie anbinden würde, lächelte mich kurz an, dann tat sie ihre Pflicht und zeigte sich den Hinaufschauenden. Ich sah hundert Gesichter entzückter Herablassung. Schau mal, die Knetgummifrau bewegt sich!

Als sie ging, stand ich gerade an der Treppe, und sie sagte zu mir Tschüß. Über der Bluse trug sie ein Mäntelchen mit Pelzbesatz, das auch zugeknöpft die Oberweite und den Glitterstaub mit Sternchen nicht bedeckte. Warum... Mir war die Stimmung verhagelt, und ich bin bald gegangen. Mehr fällt mir nicht ein.

Christian Zeiser
16.03.2002, 12:48
Dolly Buster als Mensch gewordene Knetgummipuppe, einsam, weil niemand sich mit ihr normal unterhalten kann. Traurig. Gefällt mir.

MarkusB
16.03.2002, 15:04
Dolly Buster als Werbeträger - fällt denen wirklich nichts besseres ein, oder versuchen die nur, sich dem Niveau ihrer Kunden anzupassen?

DerCaptain
16.03.2002, 17:03
UNFICKENGLAUBLICH.
Knetgummifrau - wie macht Christoph das nur immer?

vir
16.03.2002, 17:58
Unglaublich, diese wie hingeworfenen Kleinigkeiten, z.B., "Später stand ich an der Brüstung"! Ich bin hingerissen.

Herr Cohn
16.03.2002, 20:34
Traurig und sehr beeindruckend, Christoph. Weia, warum hat sie das aus sich gemacht.

Ruebenkraut
16.03.2002, 21:23
Wollen Sie es wirklich wissen, Herr Cohn?
Es ist ein Wort mit vier Buchstaben, fängt mit "G" an und hört mit "d" auf.

pepicek
16.03.2002, 22:21
Wirklich beendruckend ist Dolly auf tschechisch. Da kann man vor lauter ungezwungener Erotik kaum die Finger vom Abzug halten. Inbesondere wenn Sie sich mit Martina Navratilova vergleicht. Unbeschreiblich.

D. John
18.03.2002, 14:22
Mehr fällt Ihnen echt nicht ein?
Na, ich finde, das Hier war mehr als genug!

applaudierend ab.

Mr. Knister
18.03.2002, 14:34
Hinter D. John her, zustimmend nickend, gleichfalls applaudierend.
Fein, ganz fein. Dankeschön.

Windhund
18.03.2002, 14:50
Eine tolle Geschichte aber
wirklich traurig.
Bei der Beschreibung von Dolly Buster, sah ich Förmlich einen havarierendes Imperiales Schlachtschiff ins Nichts gleiten.

Dr. Jekyll
18.03.2002, 14:51
Verehrter Cristoph, wie Ihnen bekannt sein dürfte, bin ich sehr an der Wirkung verschiedener Substanzen auf den menschlichen Organismus (und, ja: auch auf die Seele) interessiert. Meine eigenen Forschungen haben noch nicht zu befriedigenden Ergebnissen geführt, soviel aber ist mir bekannt, dass der Satz "das Haar trug sie in H2O" einigermaßen befremdlich ist. Trug jene von Ihnen geschilderte Dame das Haar wirklich in Wasser? Oder meinten Sie nicht vielleicht doch, die Dame trug ihr Haar weißblond gefärbt, bzw. ausgebleicht von Wasserstoffperoxid (H2O2)?
Verzeihen Sie meine Akribie, aber als Naturwissenschaftler bestehe ich auf äußerst präzise Angaben. Nicht selten hat ein winziger Fehler in einer Formel oder die kaum nachweisbare Verunreinigung eines Stoffes eine chemische Reaktion in nicht vorhersagbarer Weise beeinflusst.

Gruß
Henry Jekyll

DerCaptain
18.03.2002, 15:00
Ist das jetzt Klugscheisserei oder eine gelungene Genista-Parodie? Ich weiß nicht, ich weiß nicht...

D. John
18.03.2002, 15:36
Schaut nochmal durch die halboffene Tür rein, beäugt Dr.Jekyll von oben bis unten

Beides, würde ich sagen!

Schließt die Tür wieder.

christoph
18.03.2002, 15:57
Manchmal könnte ich weinen über das intellektuelle Wurmloch, das fast täglich weitere Bruchstücke meiner ohnehin schon immer beschämend geringen Chemie-Schulkenntnisse ins Jenseits saugt. H2O2 natürlich. Wieder mal ein klarer Fall von gewollt, aber nicht gekonnt meinerseits.

Gesenkten, rot angelaufenen Hauptes ab