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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Castro, Fidel (ißt am Nebentisch)



Dr. No-Sports
12.03.2002, 15:38
Vor nicht all zu langer Zeit hatte ich Gelegenheit in Havanna an einem offiziellen Dinner teilzunehmen. Der Abend war schön, viele elegant gekleidete Menschen an schön gedeckten Tischen. Ein Aperitiv wurde gereicht, da geht plötzlich ein Raunen durch die Menge, alle erheben sich, recken die Hälse, Applaus kommt auf:
Fidel Castro trifft ein. Er trägt Khakiuniform und schreitet, umringt von Leibwächtern, händeschüttelnd und grüßend an seinen Tisch. Direkt neben unserem.
Er setzt sich und dutzende Fotografen und Fernsehteams stürzen sich auf seinen Tisch, von den Leibwächtern nur mühsam im Zaum gehalten. Leider stürzen sie sich dabei an unserem Tisch vorbei und der Aperitiv landet auf meinem Hemd. Eine erstaunliche Zeit lang sitzt Castro ganz ruhig da und lässt sich abblitzen. Dann plötzlich nimmt er seine Serviette, entfaltet sie gemächlich und bindet sie sich vor´s Gesicht. Für seine Leibwächter ist das offensichtlich das Signal, die Meute nunmehr schnellstens zu zerstreuen. Sie tun das sehr effektiv und ein Schluck Wein leistet dem Aperitiv auf meinem Hemd Gesellschaft.
Immerhin, es wird ruhiger, der Blick auf den Comandante ist wieder frei und das Essen beginnt.
Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, Castro während des Essens zu beobachten.
Ich bin sicher kein Fidelist, aber es war schon faszinierend, zu sehen, wie er sich am Tisch angeregt unterhielt und ab und zu aufstand, um jemanden zu begrüßen oder sich mit irgend jemand Wichtigem zu unterhalten.
Er legte dabei seinen Gesprächspartnern stets die rechte Hand auf die Schulter, eine Geste, die gleichzeitig Vertraulichkeit und Abstand signalisierte.
Die Blicke aus seinen dunklen Knopfaugen waren hellwach und aufmerksam und alle, mit denen er sprach, zog er ganz offensichtlich in seinen Bann.
Es fiel nicht schwer, sich vorzustellen, welche Faszination er in jungen Jahren während der Revolution auf die Menschen ausgeübt haben muß.
Ich gestehe, ihm zuzusehen war ein Vergnügen, das nur dadurch getrübt wurde, daß uns andererseits stets einer der Leibwächter beim Essen zuschaute, dem man deutlich ansah, daß er nur darauf wartete, daß einer von uns aufspringt, um den Comandante mit der Dessertgabel zu erstechen.
Nach dem Essen irgendwann stand Castro auf, begab sich mit seinen Begleitern zum Podium, um sich zu verabschieden und bedauerte, daß er keine Zeit habe, noch eine Rede zu halten, merkte aber immerhin launig an, daß das für uns wohl eher eine Erleichterung sei.
Dann ging er, händeschüttelnd und die eine oder andere junge Frau küssend, hinaus, wo sein Wagen wartete und fuhr davon.

vir
12.03.2002, 15:59
Aber der Frass ist die USD 400 dann doch nicht wert, was?

Dr. No-Sports
12.03.2002, 16:12
Ja, und die Portionen waren viel zu klein und Pommes als Beilage haben auch gefehlt....

cosmokramer
12.03.2002, 16:16
Pommes fehlen in Kuba generell, sowie auch vernünftiger Käse.

DerCaptain
12.03.2002, 16:17
Da habt Ihr aber wirklich Glück gehabt. Fidel ist bekannt dafür (beispielsweise am Tag der Revolution) Reden nicht unter einer Länge von 5 Stunden zu halten.

Zum Beispiel hier. (http://www.anhalt.net/larana/texte/fidel.html)

Dr. No-Sports
12.03.2002, 16:34
Pommes und Käse dürften wohl die geringsten Probleme der Menschen dort sein. Es fehlt eigentlich an allem.
Z.Bsp. gibt es nicht mal Basismedikamente wie Antibiotika oder Insulin in ausreichender Menge.
Und daran ändern natürlich auch 7 Stunden Rede nichts.

Peter Bean
12.03.2002, 16:50
Was hat es mit den USD 400 auf sich? Gibt es jetzt etwa schon Dinners mit genervten Staatsmännern, bei denen sich der wohlhabende Europäer einkaufen kann? Habe ich das richtig verstanden oder verstehe ich nur noch kubanisch?

Freundlichst, Bean.

vir
12.03.2002, 18:38
PB, am Ende des alljährlich im Februar stattfindenden Havana-Festivals gibt es ein $-400 Galadiner mit Preisverleihung, Versteigerung und Ringelpiez mit Anfassen. Meistens tritt dann auch Fidel in Erscheinung. Das wird jedesmal gespenstisch, weil die Vollgefressenen dieser Welt, die in ihren Smokings und mit ihren riesigen Cigarren alle wie Karikaturen von Kapitalisten aussehen, völlig aus dem Häuschen geraten und länger und lauter applaudieren als je in Bayreuth.

Reno Schmittchen
12.03.2002, 20:43
Den Rest des Jahres stellt sich der Comandante wahrscheinlich vor, wie er diese Typen allesamt zum Zuckerrohrschneiden abkommandiert, und die Karikaturkapitalisten wünschen sich im Wall Street Journal die Schlagzeile, dass Castro einer vergifteten Olive zum Opfer gefallen ist. There's no business like showbusiness.

Dr. No-Sports
12.03.2002, 21:12
Huch, das Gespenst des dicken Kapitalisten mit Frack und Zylinder und der dicken Zigarre!!
Ich dachte schon das gibt´s gar nicht mehr und hier taucht es wieder auf....

Reno Schmittchen
12.03.2002, 21:25
No one expects the spanish inquisition.

Granuaile
12.03.2002, 21:27
Ehrfurcht erfüllt mich vor Ihnen, Dr. No-Sports, dass Sie diese letzte lebende Ikone des Kalten Krieges haben sehen dürfen...
Danke für diesen Bericht!

Aber als neugierige Zeitgenossin plagen mich dann doch noch ein paar Fragen:
- Trug er Uniform oder war er in zivil?
- Ist er dick?
- Sieht er alt aus?
- Was hat er gegessen?

Ach, ich möchte noch mehr hören/lesen... bittebittebitte erfüllen Sie mir diesen Wunsch?

Dr. No-Sports
13.03.2002, 09:31
Ja, ich glaube das war der größte Moment in meinem armseligen Kapitalistenleben.
Mein schönstes Ferienerlebnis, ganz bestimmt!
Leider habe ich kein Foto, wie mir der Comandante die Hand schüttelt, das hätte ich dann in meinem Kapitalistenbüro aufhängen können, damit die von mir ausgebeuteten Werktätigen auch sehen, daß ich Revolution voll gut finde....

Ich möchte die Antworten auf Ihre Fragen natürlich nicht schuldig bleiben, Granuaile:

- ER trug Uniform. Olivgrün. Ohne Mütze.

- Ich würde IHN eher nicht als dick bezeichnen. Vielleicht ist er grade auf Diät oder er ist Veganer geworden. Nichtraucher ist er ja schon lange.

- Ja ER sieht inzwischen schon alt aus. Sein Bart ist auch schon ein wenig struppig und faserig
aber die Augen sind immer noch wach und jung.

- ER aß Langusten, Crème doree, Ente, Käse und ein etwas undefinierbares Dessert. Was Revolutionäre eben so essen.
Ich glaube, er ist doch kein Veganer....

Windhund
13.03.2002, 09:49
Ich möchte mich dem Dank anschießen.
Unser letzter Revolutionsdinosaurier, die Welt wäre etwas grauer ohne ihn.

Er soll ja letztens bei einer seiner Dauerreden zusammengebrochen sein und mit dem Krankenwagen in das Hospital gebracht worden sein.
Als er dann nach 3 Stunden wieder in kam sagte er, es sei nur ein Test gewesen, was hier Passieren würde wenn er nicht mehr da währe.

Dr. No-Sports
13.03.2002, 10:02
Und da soll noch einer behaupten, Revolutionäre seien humorlos....

Hasta la victoria siempre!

Reno Schmittchen
13.03.2002, 11:12
Der Doc ist ganz sicher kein Kapitalist, sondern hat sich das als wahrer Aficionado vom Munde abgespart. Ich weiß das.

Windhund: der Zusammenbruch war im letzten Jahr, bei einer Endlosrede unter sengender Sonne. Da würden wir wahrscheinlich schon früher das Handtuch werfen. Es stimmt: für kurze Zeit ging sogar das Gerücht, er sei tot, und er hat danach gesagt, er wollte einfach mal sehen, wer sich alles so freut

Wen Fidels Outfit interessiert:

Windhund
13.03.2002, 12:34
Reno Schmittchen, ich bekannte ja bereits das ich Fidel mag.
Ja mehr noch, Bewunderung ist auch dabei .
Ich fürchte den Tag wo er nicht mehr ist.


spart schon lange auf den Kubatrip