PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Havel, Vaclav (Schlaflos in Prag)



potztausend
27.02.2002, 19:00
Jung sein, frei sein, billiges Bier trinken – nach Prag fahren. Gedacht, getan - drei Schulfreunde, Sommerferien 1990 und los. Post-Revolutionstouristen waren wir. Aber nicht die ersten. Überall waren Amerikaner, die „gerade ein Buch schreiben/ irgendwie hängengeblieben sind/ sich eigentlich als Dichter fühlen“. Wir waren einfacher gestrickt, tranken unser Bier und fühlten uns wohl. Zwischendurch erkundeten wir die Stadt, erhielten unmoralische Angebote und ließen uns von Geldwechslern mit polnischen Sloty bescheißen.

Mittlerweile war es Abend geworden, wir landeten auf einem riesigen Platz im Zentrum (nicht Wenzelplatz, sonder der andere, dessen Name ich vergessen habe). Vor einer großen weißen Barockkirche war eine Bühne aufgebaut, auf der allerhand buntes Volk auftrat. Wir schauten zu. Ein tschechischer Punk neben uns erklärte, dass dies alles Gruppen waren, denen das alte Regime (die Kommunisten) die Proberäume entzogen hätten. Nun spielten sie hier, um sie vom neuen Regime (dem bürgerlichen Forum (?)) wiederzukriegen.

Bei einigen Bands war nicht zu erkennen, wozu sie Proberäume brauchten. Aber es war lustig und wir blieben und tranken Wodka mit dem Punk und zwei Franzosen. Er war „irgendwie hängengeblieben“, hatte vorher Pornos gemacht und wollte eine Galerie eröffnen. Sie war seine Schwester und wollte tschechische Punks knutschen.

Irgendwann war es spät, so gegen halb zwei, aber es saßen noch viele Leute auf dem Platz. Plötzlich hielt ein 3er BMW am Taxistand in der Nähe der Bühne und Vaclav Havel stieg aus. Er war damals noch nicht Präsident, sondern Regierungschef und ziemlich klein. Er war allein, stellte sich zum Publikum und fing dann an, mit den Umstehenden zu diskutieren. Auch der Punk unterbrach sein Knutschen und mischte sich in die Diskussion ein. Havel blieb ungefähr eine Stunde, dann setzte er sich wieder in sein Auto und fuhr fort.

Wir waren schwer beeindruckt von dem Ereignis: sowohl von der plötzlichen Erscheinung als auch von der Nonchalance, mit der die Umstehenden dies zur Kenntnis nahmen. Als würde das ständig passieren. Der Punk erzählte uns später, dass dies in der Tat nicht ungewöhnlich sei. Havel lebte zu der Zeit noch in seiner Wohnung irgendwo in der Altstadt, litt unter Schlaflosigkeit und stromerte gerne nachts durch die Stadt und unterhielt sich mit seinen Mitbürgern. Ich war begeistert: So muss Demokratie sein! Ein gepflegtes Gespräch bei Bier und Punkmusik! Leider hat sich dieses Modell nicht überall durchgesetzt.

Elpenor
27.02.2002, 19:40
Altstädter Ring!
Schöne Szene, sehr schön erzählt, ein Bekannter von mir gab mal einem Gitarrenspieler auf der Karlsbrücke Geld, damit er selbst spielen könne. Er spielt nicht gut, nach einiger Zeit warf ein Passant etwas Geld in die Mütze des Gitarrenbesitzers. Als der Bekannte ihm zum Dank zulächeln wollte, konnte er vor Aufregung nicht weiterspielen. Der Spender war Vaclav Havel.

Als ich in zu Beginn der 90er öfters in Prag war, sah ich jedesmal ein Jazztrio auf der Straße mit einem sehr kleinen dicken glatzköpfigen Mann am Kontrabaß, der kaum an das obere Ende seines Instrumentes heranzureichen schien und bisweilen scattete.

Hilde
27.02.2002, 19:42
Potzblitz,

eine sehr angenehme Geschichte!