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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Derwall, Jupp



dasjatoll
27.02.2002, 17:44
Ein neun jähriger Junge hat nicht viele Vorbilder. Vor allem nicht damals, Anfang der 80er, als das bewegte Bild von nur drei staatlichen Fernsehanstalten durch die Sturm anfällige Hausantenne ins Zimmer wehte. Der Seh-Tatort war zentral und die Fernbedienung (so weit vorhanden) dem Willen des männlichen Familienoberhauptes unterstellt. Keine Playstation, kein Bravo TV, kein Internet und keine Programmauswahl. Fußball wurde gespielt und ansonsten gesehen. Die Bunte verstand man nicht und die Gala gab es nicht. Kein idealer Nährboden für ein gesundes Prominenten Wachstum. Bis auf eine Ausnahme, Häuptling Silberlocke, der Bundestrainer mit den gut gescheitelten Silberfischchen. Ständig musste ich an ihn denken, im Bad, bei meiner imaginären Nominierung für die WM und natürlich abends beim Fernsehen. Ein wahrer Gott, allgegenwärtig und doch nicht von meiner kleinen, überschaubaren Welt. Der Zufall meinte es gut, er wollte es, dass unser Nachbar Chef vom Playboy war. Niedliche Hasenkonterfeis schmückten deshalb viele Gebrauchsgegenstände in unserem Haus, Badetücher, Tassen .... Auch unser Nachbar liebte Fußball, hatte jedoch nicht die Fernbedienung, sondern zwei VIP Tickets für das Olympiastadion zwischen seinen Fingern. Eines Tages nahm er mich mit zum Stadion. Wer gegen die Bayern spielte, wie das Spiel ausging, wie das Wetter war – keinen blassen Schimmer. Ich erinnere mich nur daran, dass auf einmal Jupp Derwall vor mir stand, unser Teamchef, mein Idol, der Mensch, der eigentlich gar nicht existierte. Unser Nachbar kannte ihn persönlich. Ehrlich gesagt hat mich das sehr überrascht und die einzige logische Erklärung war die, dass auch Jupp durch die Häschen vom Nachbarn bestochen wurde. Hatte der Häuptling etwa das selbe Handtuch im Bad mit dem ich mir morgens mein Gesicht abtrocknete? Unglaublich, ein Schauder lief mir über den Rücken. Alles weitere - ein Zustand vollkommener Trance, ich und Jupp schüttelten sich die Hände, ein Handschlag, der die 60.000 Fußballfans verstummen ließ und ehe ich mich versah: war der magische Augenblick auch schon wieder weggekickt. Mein Innerstes war aufgewühlt, ich hatte kein Foto, keinen Beweis, kein Autogramm. Aber einen Händedruck. Von diesem Moment an wusch ich mir nicht mehr die Hände – über zwei Wochen - bis zum nächsten Freibad-Besuch bei 30°C – eine sehr schwere Entscheidung - Anfangs schwamm ich mit nur einer Hand, reckte die andere in die rettende Sonne, bis Christian mich untertauchte. Die Sau. Vor dieser schrecklichen Attacke war die Welt noch in Ordnung, ich erzählte allen von der überirdischen Begegnung mit unserem Bundestrainer und ließ wirklich alle (die wollten, nun gut, manchmal überredete ich auch welche) mit einem Handschlag an meinem Glück teilhaben.

le_reptile
27.02.2002, 17:51
eine kindheit zwischen bunny-handtüchern und bundestrainern: kann man dein elternhaus als filmkulisse mieten, für die anstehende verfilmung von "es geht voran?"

vir
27.02.2002, 18:17
Ständig musste ich an ihn denken, im Bad,

Und was hast Du dabei gemacht, Du Ferkel?

dasjatoll
27.02.2002, 18:18
lieber le_reptile

aber nein doch, du musst doch keine miete zahlen. bring einfach ein handtuch mit aufgedrucktem bundestrainer mit.

Liebe grüße vom Land, du hast ja recht
dein dasjatoll